Gitarrist Alon Wallach und Sylvia Lustig |
Kaum zu glauben: Christliche Choräle, jüdische Cantigas und arabische Gesänge können einem wunderschönen und zugleich spannenden Verbund ergeben. Beim interreligiösen Chorlabor der internationalen Bachakademie Stuttgart trat Bernhard König mit den Sängern, die an diesem spannenden Workshop teilnehmen, am 27. Mai den bisher schönsten und umfangreichsten Beweis für diese These an. Juden, Christen und Muslime singen hier gemeinsam und vereinen die musikalischen Schätze aller drei Religionen und mehrerer Kulturen. Den Auftakt zum diesmal zweiteiligen ganztägigen Workshop machten Alon Wallach und die Sopranistin Sylvia Lustig mit dem Thema "Sephardische Musiktraditonen". Die sephardischen Juden sind im Gegensatz zu den mittel-und osteuropäischen Chassidim jene Juden, die rings ums Mittelmeer leben, seitdem sie 1492 von den christlichen Königen aus Spanien vertrieben wurden. Sie hatten unter teils muslimischer, teils christlicher Herrschaft 1000 Jahre auf der iberischen Halbinsel gelebt und maßgeblich zu der dortigen Hochkultur des Mittealters beigetragen. Sie waren Künstler, Philosophen, Ärzte, Wissenschaftler, Ingenieure und Händler von Weltruf. Ohne sie stand Spanien rasch am Anfang eines langsamen Niedergangs, den nur das blutige Raubgold aus Lateinamerika noch eine Zeitlang verlangsamen konnte. Diese stolzen Sephardim haben die spanische Musik geprägt, aus der sich auch heute noch der Flamenco und zahllose Volkslieder speisen.
Alon Wallach |
Bezeichnend auch eine Anekdote, die Wallach erzählte: Neulich habe die baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Öney bei einer Veranstaltung mit ihm den Hinweis vermisst,welche großherzige Aufnahme die Sephardim auch in Istanbul gefunden hätten. Auch das musikalische Leben dieser Weltstadt verdankt den Sephardim wesentliche Impulse. Darauf, so Wallach, wolle er nun auch gebührend hinweisen.
Es ist aber auch umgekehrt: Wie viele Einflüsse aus allen Bereichen der islamisch, jüdisch und christlich besiedelten Welt die Sephardim im Lauf der Zeit aufgenomen haben, lässt sich bei vielen Romances, Cantigas und Coplas deutlich hören. Wie alle Volkslieder sind diese Liedformen einer permanenten Entwicklung durch Interpretation ausgesetzt, die nicht nur durch die Umgebung, sondern auch von Zeit und Geschichte beeinflusst wird. Juden. Christen und Muslime haben also vermutlich schon längst mehr gemeinsame Musiktraditionen, als den meisten bewusst ist. Auch Lustig und Wallach interpretieren - und dabei kann es durchaus vorkommen, dass Texte und nach Renaissance klingenden Melodien durchaus unterschiedliche Entwicklungen nehmen - mal getragen oder melancholisch, mal voller Lebensfreude.
Samir Mansour |
Samir Mansour, der zweite Referent dieses Tages, gab eine Einführung in die Grundlagen der arabischen Musik - notgedrungen, da dies hier ein Chorlabor ist, auch der arabischen Sprache. Das erste Stück, das er vorstellte, heißt "Ya Rabb" (Oh Gott = OMG in der Facebooksprache). Das Lied handelt davon, dass die Menschen Gott nicht begreifen, ganz gleich ob sie gebildet und ungebildet sind. Auch wenn er uns ständig Zeichen sende, blieben wir ihnen gegenüber doch taub und blind. Vier Zeilen in arabischer Sprache waren zu lernen, und dann 87 Takte im Zweivierteltakt.
Frauen, die diesmal in der absoluten Mehrheit waren, singen bei dieser (wie in Persien und in der Türkei) einstimmigenMusik gewöhnloich die hohen Lagen, abwechselnd mit Männern in mittlerer und tiefer Tonlage. Um das Experiment praktisch durchführen zu können, mussten die Frauen auch die mittlere Tonlage übernehmen, während die zahlenmäßig deutlich kleinere Gruppe der Männer nur im Bass sang. Das Ergebnis konnte sich ebenfalls hören lassen - auch weil Mansour größere Schwierigkeiten gekonnt mied.
Mansour hat palästinensische und arabische Wurzeln, stammt aus Damaskus, lebt seit 13 Jahren ebenfalls in Stuttgart und hat klassische Musik studiert. Bevor er auch als Lautenist Unterricht in arabischer Musik zu geben begann und einen deutsch-arabischen Chor gründete, war er Tuba-Spieler! Viel größer kann eigentlich musikalische Mehrfachbegabung kaum sein. Und wie bisher alle Referenten machte er den Sängern des Chorlabors ein dickes Kompliment für ihre schnelle Auffassungsgabe und stimmliche Qualität. Es ist immer wieder erstaunlich: Da kommt ein wildfremder Mensch und verteilt Noten, unter denen Texte in einer Fremdsprache stehen - und in kaum einer Stunde singt der Chor das vom Blatt, als ob die Leute schon seit Wochen oder Monaten nichts anderes täten. Das ist einfach beeindruckend.
Höhepunkt des Tages war ein Experiment, bei dem der chrstliche Choral "Ich weiß, woran ich glaube" mit einem muslimischen Solo des türkischen Bassbaritons Ahmet Gül (eines der treuesten Chorlabor-Mitglieder) und mit dem hebräischen Lied "Eli, Eli" zu einem Medley von 5:30 Minuten wird. Auch wenn noch nicht alles vollständig ist und dem Arrangeur Bernhard König noch einige Ergänzungen vorschweben: Das sind die Augenblicke, wo Projektleiter König zu ganz großer Form aufläuft, und für die seine Sänger sich so viel Arbeit machen. In der Mittagspause gab es wieder ein interkulturelles Büffet und angeregte Diskussionen. Und wieder gab es neue Gesichter, mit denen man sich bekannt machen wollte. Denn hier trifft man wirklich interessante Leute!
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