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Sonntag, 28. Oktober 2018

Globaler Markenwahn in Metzingen

Obelisk des 21. Jahrhunderts
Nieselwetter bei 3 Grad. Ich brauchte neue Unterhosen und wollte keine 36 Euo pro Stück ausgeben. Also haben wir für je 10 € ein Busticket gekauft und sind nach Metzingen gefahren, das schwäbische "Outlet City". Da hat vor Jahrzehnten die Textilfabrik Hugo Boss angefangen, mit einem Fabrikverkauf. Auf Englisch heißt das "outlet" (Auslass, Abflussrohr, Ventil; gemeint ist also eher Ware zweiter Wahl, Remittenden oder Überproduktion). Das klingt in meinen Ohren immer noch irgendwie unappetitlich nach "künstlicher Darmausgang" oder wenigstens "vom LKW gefallen". Stinkt aber nicht, sondern lockt als Geschäftsmodell einer Kleinstadt am Albtrauf inzwischen ganze Busladungen aus dem benachbarten Ausland, aus deutschen Landen ohne so eine Einrichtung und sogar aus Polen an. Massenhaft Inder, chinesische und reiche saudische Touristen inklusive.
 
Nur bemerkt anscheinend kein Aas, dass die Unternehmen längst eigens Outlet-Ware herstellen lassen, sozusagen Eigen-Fakes: Sieht alles genau so aus wie das Original, kommt aus dem gleichen Laden, ist aber deutlich billiger und daher schlechter (mal in der Verarbeitung, mal einfach bloß geschmacklich). Da ist es dann trotz allem noch total hirnrissig, eine Handtasche bei Burberry für 900 € zu kaufen, die bei Wertheim oder in der Filiale 1100 kosten würde).

Die "Lieblings-Handtasche" meiner Frau von Prada (die einzige ohne Flitter und anderen Kleinmädchenkram) würde 1200 Euro kosten, hat aber leider weder Innenfächer noch Henkel, die groß genug wären, um die Tasche bei Bedarf mal zu schultern. Also lässt sie das Teil bei einer ihr bekannten und sehr freundlichen Leder-Fachfrau in der Stadt für 200 Euro nach Maß und in der Farbe ihrer Wahl herstellen. - Ätsch, Markenlabel! Vermutlich tun viele Chinesen hier genau das Gleiche: Anregungen holen, Fotografieren  und zu Hause dann alles besser bzw. billiger selber machen lassen.

Da ist etwas wirklich Seltsames entstanden: Aus "Hugo-Boss-City" wurde ein globales Markendorf, seit ich zuletzt vor 25 Jahren dort war (meine Unterhosen hatte ich zwischenzeitlich in Bayern gekauft). Jetzt ist da eine Versammlung aller großen Handelsnamen zu bestaunen: Luxus und Überfluss ohne Ende (und ohne Sinn & Verstand) in einer biederen, eher ärmlichen Provinz. Robert Gernhardt hat mit Blick auf diese Stadt "hässlich" auf "verlässlich" gereimt. Passt.

Ganz in der Nähe liegt Weltkulturerbe, in Blaubeuren mit der sagenumwobenen Donauquelle "Blautopf" und der Steinzeithöhle "Hohle Fels" im Lonetal. Da haben Forscher der Universität Tübingen die bisher ältesten Skulpturen und Musikinstrumente der Welt ausgegraben. Ob die Touristen auch mal da hin kommen? Das Urzeitmuseum in Blaubeuren zeigt z.B. die 30 000 Jahre alte "Venus vom Hohle Fels" eine rituelle Frauenenfigur aus Mammut-Elfenbein, die Figurine eines Mannes mit Löwenkopf und Flöten aus Schwanenfederkielen und Knochen. Für mich unfassbar der Kulturschock, all das auf engstem Raum nebeneinander zu erleben.

Jetzt also kommt die internationale Shopping-Gemeinde her und finanziert die SUVs der braven Schwaben. Dazu passt irgendwie, dass es in "Outlet City" kein vernünftiges Restaurant gibt, sondern bloß Fastfood, Lindt-Schokolade und ein italienisches Pizza-Lokal, das aussah, als sei es zu. Der Teufel trägt bekanntlich Prada, und hier kann er sich neu einkleiden. Nicht bloß mit dem einen, sondern auch mit allen anderen. Aber sein Motto lautet: "Bitte lass nur Dein Geld da und dann verschwinde möglichst schnell wieder..." 

 Dabei wären ja gerade kalte Tage ideal für eine Wohlfühl-Gastronomie, die Kunden länger festhält. Aber nix da. Hier ist man praktisch und sonst gar nichts. Selber schuld. Wir sind dann zum Essen und Kaffeetrinken heim gefahren. Wie man an der Protz-Architektur sehen kann, geht es hier weder um Reichtum noch um Armut, Gastfreundschaft oder Fremdenfeindlichkeit, guten oder schlechten Geschmack. Nur ums schnelle Geld, den kurzfristigen Konsum. Tiefgaragen und Parkplätze für den schnellen Abtransport von Waren und Kunden sind vorhanden.

Donnerstag, 18. Oktober 2018

Junge Bloggerinnen machen Poesie

Faten El Dabbas

Am vergangenen Freitag habe ich eine wunderbare Lesung syrischer und deutscher Autorinnen und Autoren gehört, organisiert  von Maria Tramountanis Bloggergruppe literallypeace. Trotz Cannstatter Volksfest war das Kulturkabintt im gleichen Stadtteil voll! Da sage noch einer, die junge literarische Bloggerszene würde niemanden interessieren.
Mehr davon unter  https://www.facebook.com/literallypeace/

Star des Abends war die Berliner Rap-Poetin Faten El Dabbas (28) aus Palästina. Sie wurde in Pirmasens geboren und kam als Einjährige mit ihrer Mutter nach der Scheidung nach Berlin. Faten schreibt seit dem Abitur, hat Jura und Politikwissenschaft studiert und arbeitet in Teilzeit beim Auswärtigen Amt. Ihre Texte erzählen von Sehnsucht und Wut, Heimat und Heimatlosigkeit, Liebe, Freundschaft und immer wieder vom Islam und von Deutschland. Ich vermute nach der kurzen Begegnung an diesem Abend, dass sie wohl kaum etwas schlimmer findet als Klischees. Einigen Schwaben ist sie übrigens durch zwei Auftritte beim Weltethos-Festival in Tübingen bekannt.Ihr erstes Buch heißt bezeichender Weise "Keine Märchen aus 1001 Nacht". http://fatenel.de/index.html