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Mittwoch, 18. Juli 2007

Ein Kolibri - Marica Bodrozic und ihre Lyrik 07

SWR2 Buchkritik 17.7.2007
Marica Bodrozic:
“Ein Kolibri kam unverwandelt“
© Widmar Puhl (4´30)

O-Ton 01 Bodrozic, Leseprobe 01 – 0´09
Mit der Stimme küssen, das muss ein Anruf sein.
Ein Parlograph des Herzens, ganz nah und ganz Vogel
zugleich.

Wenn die Berliner Autorin Marica Bodrozic über so etwas Alltägliches schreibt wie ein Telefongespräch, entsteht ein erotisches Gedicht mit philosophischen Fußnoten. Sie findet sinnliche Bilder für abstrakte, sogar technische Vorgänge, webt Leichtigkeit in Schwermut, hebt das banal Persönliche durch Rhythmus und Tonfall ins Liedhaft-Allgemeingültige. Der Lyrikband „Ein Kolibri kam unverwandelt“ ist schmal: Gerade mal 87 Seiten, aber die haben es in sich.

O-Ton 02 Bodrozic Leseprobe 02 – 0´30
Das vielfache Küssen verlängern, die Masten sich selbst
Überlassen.... Das holt die Stimme
alles wieder zurück. Die Traumnachbarschaft seiner Stirn!
Und mit ihr die Vorstellung: die Bilder des geliebten
Menschen ruhten sich jetzt in unserer Schlafhand aus,
kämen endlich nach Hause und frühstückten mit uns,
an unserem Tisch, an dem auch die Krumen
Liebe fürs Fliegen sind.

Die Autorin ist 1973 in Kroatien geboren und kam mit zehn Jahren nach Deutschland. Sie studierte in Frankfurt am Main – Slawistik, vergleichende Kulturwissenschaften, Psychoanalyse. Sie sucht die Auseinandersetzung mit ihrer Herkunft, aber sie will auch ganz im Hier und Jetzt ankommen, in der deutschen Sprache. Für ihren ersten Erzählband „Tito ist tot“ erhielt sie 2002 gleich mehrere Preise. 2005 erschien bei Suhrkamp auch ihr Roman „Der Spieler der inneren Stunde“. Dabei hat sie, wie so viele Autoren, mit Gedichten angefangen. Jetzt also deren Veröffentlichung, mit dem Erfolg der Prosa im Rücken:

O-Ton 03 Bodrozic – 0´13
Weil sie einfach ganz tief zu mir gehören und weil ich immer Gedichte schreibe. Weil im Grunde genommen meine Art, die Welt zu erleben, eigentlich ständig in Rhythmen zu denken ist. Und da bleibt es nicht aus, Gedichte zu schreiben.

Damit ging die mehrfach preisgekrönte Suhrkamp-Autorin zum Otto Müller Verlag in Salzburg. Dort hat man vielleicht mehr Sinn für ihre geistigen Wurzeln. Die verraten sich weniger im Migrantenschicksal und mehr durch Widmungsgedichte, etwa für die Mystiker Teresa von Ávila und Johannes vom Kreuz.

O-Ton 04 Bodrozic – 0´16
Diese beiden Menschen waren große Liebende, große Liebende des Wortes, große Menschen auch. Das muss einen Echoraum in jedem Menschen hinterlassen, der etwas mehr wissen will von der Welt. Und für mich ist Welt eben nie nur die äußere Welt.

„An die Seligmachung“ will sie schreiben. Liebe und Wissen sind ihre großen Themen, Freiheit, Einsamkeit, Erinnerung und Tod. Licht und Farben spielen eine große Rolle bei Marica Bodrozic, eigene Wortschöpfungen, erfrischend oft eine Portion Ironie. Ihre Bildmagie zeigt Nähe zu Else Lasker-Schüler, Rose Ausländer, Sarah Kirsch. Im Unterschied zu denen aber verbindet diese Autorin ihr Gefühl fast immer mit einem Element des Erzählens.

O-Ton 05 Bodrozic – 0´21
Ich kann nicht anders. Es treibt mich dazu, und es gibt so eine metaphysische Erfahrung: Dass das Geschichtenerzählen und das Gedicht, also der Gesang, ganz tief zueinander gehören, und dass das der Ursprung aller irdischen Sprache ist. Und deswegen gehört das Erzählen für mich auch immer in die Gedichte hinein.

Ihre Kronzeugen sind die Ilias von Homer, das Rolandslied, das Nibelungenlied, Hölderlin, der Große Gesang eines Pablo Neruda: Große Dichtung, Kollektivbesitz, Weltkulturerbe, undenkbar ohne den hohen Ton, den Stefan George und Durs Grünbein so in Verruf gebracht haben. In guten Gedichten aber rechtfertigen Inhalte diesen Ton und nehmen oft eine unerwartete Wendung.

O-Ton 06 Bodrozic Lesung 03 – 0´34
…Jeder Zeh ein Kitzelgebiet
aus der Zeit vor der Zeit, bevor der Eiszeitmensch
sich in seine Zukunft als Somali, Kroate, Ägypter und
Astronaut aufmachte. Andernorts hinter den Milchstraßen,
Korrespondenzen. Und all dieser Verkehr von Wörtern
und Hufen und Stillehöfen und Liebesfäden. All dieses
eine Wir, an dem jeder ausgesprochene, jeder ausgedachte
Buchstabe mitwebt. Engel, Mensch, Tier, verwaist
in der Einöde der Zeit.

Marica Bodrozic:
“Ein Kolibri kam unverwandelt“, Gedichte. Otto Müller Verlag, Salzburg, 87 Seiten, 17 €.

Montag, 16. Juli 2007

Rossini in Wildbad - wieder Belcanto satt

Bad Wildbad - so schön der Ort, so hässlich der Name. Hier hat Gioacchino Rossini einmal im Hotel Bären zwecks Kur im Thermalbad logiert und eine Oper vollendet. Hier haben auch wir wieder einmal eine gute Nacht verbracht. Davor eine Oper, danach schön essen, nach einem guten Frühstück einen Ausflug nach Bad Liebenzell und dann noch eine Oper - früh genug, um noch bei Tageslicht wieder nach Hause fahren zu können.
Durchrauscht von dem kleinen Flüsschen Enz, ist das Schwarzwaldstädtchen wirklich in einer Viertelstunde zu Fuß durchmessen. Ein bisschen Einkaufszone noch Enz-abwärts vom "Bären" aus rechter Hand, eine kleine Kurpromenade zur Linken flussaufwärts, das ist es schon. Seit sieben Jahren besuchen wir hier schon das kleine, aber feine Festival "Rossini in Wildbad" - sozusagen Belcanto zum Anfassen. Jedes Mal werden hier eine oder zwei Opern von Rossini aufgeführt: Meist kleinere Werke, die mehr oder weniger in Vergessenheit geraten sind, oder größere, die selten gespielt werden. Dazu kommen Opern von Rossini-Zeitgenossen und Konzerte. Als wir den Tipp mit Wildbad von Freunden bekamen, fand alles noch im alten Kurhaus statt. Inzwischen hat sich das geändert. Es gibt mehr Auswahl, und von Heilbronn, Pforzheim oder Karlsruhe aus ist Wildbad jetzt auch mit der Straßenbahn zu erreichen. Das bringt neues Publikum und mehr Umsatz in die Stadt, hat aber - gottseidank - bisher am Charakter des Festivals nichts geändert. Alles ist klein und überschaubar geblieben. Kein großer Rummel, Künstler zum Anfassen und billige CDs zum Einkaufen - man kann in Rossini buchstäblich baden.

Seit 2005 ist auch das historische kleine Kurtheater wieder restauriert, gleich am Fuß des Hügels an der Enz, auf dem das Kurhaus steht. Da unten passen nur 150 Besucher hinein, aber immerhin dirigieren hier Berühmtheiten wie der Rossini-Papst Alberto Zedda. Und auf der Bühne kann man Opernstars der Zukunft erleben. Wer hier singt, gehört zu den Besten aus der großen Zahl begabter Nachwuchs-Opernsänger, die aus aller Welt kommen und hier an Workshops mit den großen (natürlich italienischen) Meistern teilnehmen. Zwei Spielstätten also und überall Nähe oder Enge - wie man´s nimmt.

Das Kurhaus selbst, für uns immer noch der Kern des Festivals, fasst gerade mal 400 Leute, hat keinen Orchestergraben und eine so kleine Bühne, dass bei größeren Opern nur halbszenische Aufführungen möglich sind. Bei dem Regietheater-Unfug, der in den meisten großen Opernhäusern sonst verbreitet ist, empfinden wir das nicht als Schaden. Hier konzentrieren wir uns auf die Musik. Und der ist man wegen der Enge näher als irgendwo sonst auf der Welt. Wer in der ersten Reihe sitzt, könnte dem ersten Geiger auf die Schulter klopfen oder dem Dirigenten was flüstern, wenn er sich traut (tut man aber nicht!).

In diesem Jahr haben wir wieder Rossini satt erlebt - am ersten Tag die Farsa "La scala di seta" (Die seidene Leiter), eine knapp zweistündige Kurzoper mit nur zwei Akten, und am zweiten die neapolinanische Opera buffa "La gazzetta". Beides Verwechslungskomödien, beide typisch Rossini, beide hingebungsvoll gesungen und gespielt - aus voller Seele und ohne irgendwelchen Krampf.

In der "Scala di seta" boten Marina Zyatkova (Sopran) und Ricardo Mirabelli (Tenor) in den Hauptrollen nicht nur eine schauspielerisch reife Leistung, sondern fielen auch durch Treffsicherheit selbst in schwierigsten Passagen auf, an denen es bei Rossini niemals mangelt. Aber auch alte Bekannte konnten wir wieder erleben, wie Luisa Islam-Ali-Zade, die schon oft in Wildbad sang. Allein ich habe sie dort schon in den Rossini-Opern "Le Comte d´Ory", "Maometto secondo" und "Ciro in Babilonia" erlebt. Der absolute Rising Star dieses Jahres dürfte wohl der Tenor Michel Spyres als weltfremd verliebter Alberto in "La gazzetta" gewesen sein. Von diesem Sänger wird man sicher noch viel hören. Dieser Meinung war übrigens auch der Kritiker der "Stuttgarter Zeitung". Wildbad ist immer eine Reise wert, wenn im Juli zwei Wochen lang das Rossini-Festival lockt. Ganz nebenbei gesagt, aber nicht unwichtig: Während überall sonst die Eintrittspreise für gute Musik explodieren, ist Wildbad absolut bezahlbar geblieben. Das betrifft sowohl die Oper als auch das Hotel "Bären".
Mehr über Rossini in Wildbad auch in meinem Podcast mit Musikproben und vielen Mitwirkenden, die erklären, warum sie Wildbad so lieben.
Aktuelle Auskünfte zu Programm, Karten und Festival: www.rossini-in-wildbad.de