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Montag, 31. Januar 2022

Kleine deutsche Sprachkunde 3: Die Tücken der Partizipialkonstruktion

 "Die vergnügt zahlreiche Lieder singenden Kinder" waren schon dem "Stilpapst" Ludwig Reiners ein Gräuel. In seiner ebenso vergnüglichen wie lehrreichen "Stilfiebel", aus der X Generationen von Autoren, Journalisten und Deutschlehrer erfahren konnten, was sie für gutes Deutsch tun können, kommt dieses putzige Beispiel dafür, wie man es NICHT machen sollte, ganz vorne beim Thema Partizipien. Gegen das "gelobte Land" oder die "strahlende Sonne" hat niemand etwas einzuwenden. Doch wer ein Partizip durch unnötig vors nächste Substantiv geschobene Wörter schwer verständlich und kompliziert macht, schreibt nur altmodisch. Manche Partizipien kann man streichen; sie sind überflüssig, weil sie doppelt moppeln. Es ist schlechter Stil von Bürokraten, von einer "getroffenen Feststellung" zu reden, die mitnichten das Gleiche ist wie "ein getroffener Hund", der bellt. Überhaupt hat sich der Heilige Bürokratius im Kanzleideutsch mächtig ausgetobt, weshalb sich dort so viele schlechte Stilbeispiele (bis hin zu Stilblüten!) finden. "Gemachte Erfahrungen", "unternommene Maßahmen (anders als "unterlassene Hilfeleistungen") oder "geltende Bestimmungen" und "erwiesene Ausdauer" sind einfach Nonsens. Weg damit!

Ein Paradebeispiel noch, und dann höre ich auf: "Die an sich sehr zu lobende Bemühung um die Benutzung von Partizipien führt zu sehr zu tadelnden unbedeutenden Formen, wenn sie in dieser ungeschickt zu nennenden Weise ausgeübt wird". - Viel schlimmer geht´s nimmer. Da ist auch noch eine völlig überflüssige Menge von Wörtern auf -ung drin. Tipp: Wer´s nicht kann, lasse es bleiben. Man kann fast alles einfacher und eleganter sagen als mit derart umständlichem Geschwurbel. Der oder die "Auszubildende" war Reiners noch unbekannt. Die erste Auflage seiner "Stilfibel" erschien 1963. Er würde im Grab regelrecht rotieren, wüsste er von den Auswüchsen des Genderns" durch angeblich geschlechtergerechte Partizipien wie "Studierende", die grammatikalisch korrekt nur für Studentinnen und Studenten während der Tätigkeit des Studierens gilt - und sonst nichts. So eine Sprache wird niemandem gerecht und gehört weder in Richtlinien noch in Empfehlungen selbst ernannter Sprachreglerinnen oder Regler. Dazu wäre noch viel zu sagen, aber ich halte es mit Reiners selbst: "Fasse Dich kurz".

Donnerstag, 27. Januar 2022

Herausragendes Sachbuch: "Die Hydra des Dschihadismus" von Asiem El Difraoui

Asiem El Difraoui: "Die Hydra des Dschihadismus", Entstehung, Ausbreitung und Abwehr einer globalen Gefahr. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021, 367 Seiten, 24,00  €

ISBN 978-3-518-42564-0.
 

Der vielfach ausgezeichnete Journalist und Dokumentarfilmer Asiem El Difraui, Jahrgang 1965, war als Sohn eines Ägypters und einer deutschen Mutter schon immer ein Reisender und Mittler zwischen den Kulturen. Er wuchs in der Nähe von Frankfurt am Main auf, studierte in London und Kairo Soziologie, promovierte in Paris und spricht neben Arabisch und Deutsch fließend Englisch und Französisch. Er schrieb und schreibt für ARD, BBC und CNN, gehört zu den führenden Experten zum Thema Dschihadismus, berät die deutsche und französische Regierung. Viele der bekanntesten Theoretiker, Prediger, Attentäter und Drahtzieher des extremradikalen Islamismus hat er persönlich interviewt. Spätestens seit der erneuten Machtergreifung der Taliban in Afghanistan 2021 zeigt sich der ganzen Welt, wie quicklebendig die Hydra des Dschihadismus ist, der wie der mythischen Schlange immer neue Köpfe wachsen, wenn man einen abschlägt. Nur mit Gewalt ist ihr nicht beizukommen.

Difraoui hat die unübersichtliche Szene übersichtlich und spannend beschrieben. Er traf Kampfgefährten von Osama bin Laden in Khartoum und PR-Strategen, die in Berlin-Charlottenburg IS-Propagandavideos produzierten. In Kriegsgebieten wie Bosnien, dem Irak  oder Afghanistan, aber auch in Paris quasi vor seiner Haustür hat er persönlich den Terror der Islamisten gegen die Bevölkerung erlebt. Kenntnisreich und anschaulich schildert er, wie der Dschihadismus entstanden ist, wie seine Denkmuster und seine Propaganda sich verändert haben und woraus die Hydra ihre Kraft bezieht. Was macht die todbringende Ideologie des aggressiv-missionarischen Islamismus auch für junge Menschen in Europa so attraktiv? Welchen Anteil daran hat der Westen selbst an ihrem Erfolg? Welchen die Medien? Und wie lässt sich vielleicht die Macht der Hydra brechen?

So, wie es bis jetzt versucht wird, ist der "Krieg gegen den Terror" jedenfalls nicht zu gewinnen - Sogar Leser, Politiker, Wissenschaftler und Journalisten mit Erfahrung auf diesem Gebiet werden von Difraouis Buch immer wieder überrascht sein, der die Entwicklung seit dreißig Jahren beobachtet. Besonders verdienstvoll ist die Identifizierung arabischer Reiz- und Schlüsselwörter, die auch einer Klientel ohne arabische hilft, zu verstehen, wann die Alarm-Signale anspringen sollten. Es sind arabische Fachwörter für Feindbilder der Islamisten (den "Dschihad" kennt inzwischen jeder): 

"Kuffar" ist ein verächtliches Wort für Ungläubige, in den Augen der Fanatiker auch Juden, Christen und vor allem Jesiden. "Rafida" sind Abtrünnige und Ketzer, im sunnitischen Islam auch alle Schiiten. "ghulat" sind religiöse Abweichler, die nicht der radikalen Deutungen der Dschihadisten folgen. "Und takfir" meint die Verbannung, den Ausschluss aus der Gemeinde der Rechtgläubigen und Rechtgeleiteten. Hört man als Beamter, Sozialarbeiter oder Helfer bzw. Lehrer so reden in einer Moschee oder unter Flüchtlingen im Deutschkurs, die plötzlich arabisch sprechen, sollte man darauf bestehen, dass deutsch gesprochen wird.

Besonders verdienstvoll ist außerdem, dass der Autor auf Regionen- Rückzugsräume und Entwicklungen hinweist, die bisher weder Politik noch Ermittler oder Presse nachhaltig auf dem Schirm haben: Die Sahelzone etwa und mit dieser weite Teile Afrikas. Man denke nur an die Eroberung und Verwüstung der Kulturstadt Timbuktu, die Schutzgeld-Industrie der Miliz Abu Sayyaf und Konsorten in abgelegenen Feriengebieten verschiedener Inselgruppen Südostasiens. Da sind fast immer Widerstandsbewegungen gegen autoritäre Regime mit Auslöser, die aus religiösen oder rassistischen Gründen ganze Bevölkerungsgruppen diskriminieren und radikalisieren. Das geschah in Tschetschenien, mit den Fulbe und bei Boko Haram in Schwarzfrika, den Tuareg in Mali oder den Sunniten im schiitisch dominierten Irak. Auch Erdogans faschistoid-paranoider Kurdenhass oder der Stellvertreterkrieg zwischen Saudis und iranischen Mullahs im Jemen, das Assad-Regime in Syrien oder die Verfolgung der Muslimbrüder Ägyptens radikalisieren bzw. instrumentalisieren Menschen, die sich aus Hoffnungslosigkeit von der Hydra verführen lassen. Und dann wirft sie sie weg.

Die sozial vernachlässigten Migranten im Ruhrgebiet, in Berlin oder in Frankreich, Belgien und Großbritannien sind kaum weniger gefährlich als die rechtsradikal-nationalistisch aufgehetzten Corona-Demonstranten und Impfgegner in Ostdeutschland. Und immer besteht der Humus für die Prediger des Hasses aus Armut, Perspektivlosigkeit und fehlender Bildung. All diese Wurzeln trocken zu legen ist mühsam und mindestens so teuer wie die Energiewende, die "grüne Transformation" von Verkehr und Industrie oder die Bekämpfung der Pandemie, aber es ist möglich. Es wird nicht schnell gehen und einen langen Atem verlangen, doch es gibt keine Alternative. 

Schließlich gilt es, 30 Jahre Fehlentwicklungen zu korrigieren. Der Verdacht ist nicht vom Tisch, dass die Demokratien des Westens nicht unbeteiligt sind an diesen Fehlentwicklungen. Das beginnt mit dem Kolonialismus und endet noch nicht mit der skrupellosen, zynischen Instrumentalisierung von Flüchtlingen und Migranten als "Waffe" durch Autokraten wie Lukaschenko, Putin und Erdogan. Wenn wir erpressbar geworden sind, dann weil wir seit langer Zeit mit gespaltender Zunge reden und weil uns Handelsbeziehungen wichtiger sind als Menschenrechte. Und weil unsere Regierungen seit Jahrzehnten mit zweierlei Maß messen. Erst wenn das aufhört, auch wenn es um alte Freunde wie die USA oder Israel geht oder um die gesetzliche Gleichbehandlung von Christen, Juden und Muslimen in Deutschland, kann die Hydra des tödlichen Dschihadismus wirklich austrocknen.

 

Dienstag, 25. Januar 2022

Groß denken: Volker Brauns "Große Fuge"

Volker Braun, geboren 1939 in Dresden, hat sich als Lyriker mit 82 Jahren mal wieder neu erfunden: Sein Gedichtband "Große Fuge" ist nur 52 Seiten schmal (Suhrkamp Verlag, 16,- €) und doch ein poetisches Schwergewicht: 

                                              ein Trampelpfad

Aus den Systemen. Das ist deine Kunst jetzt,

Allein zu sein, mit allen, und ernst

Auf dich gestellt wie der Stein, der Halm

Und mitzudenken mit den Gebirgen und Meeren.


Einerseits naheliegend, dieses Zurückgeworfensein auf sich selbst in Zeiten der Pandemie und Lockdowns, andererseits doch dieses Mitdenken der Natur im Kampf gegen Klimawandel im Kleinen (Stein, Halm) wie im Großen (Gebirge, Meere). Da ist jemand nach wie vor hellwach als Zeitgenosse und nach wie vor fähig, mit wenigen Worten Großes auszudrücken ganz ohne falsches Pathos. Brauns Sprache ist hohe Kunst, der Anspruch des Dichters universal, bei aller persönlichen Bescheidenheit. Wer, wenn nicht der Dichter, kann der unfreiwilligen Isolation in seiner Schreibklause die "Reise ins Innere" und etwas Kreatives abtrotzen. Das wussten schon die Mystiker.

Der Titel erinnert an die "Todesfuge" von Paul Celan - angesichts der Millionen von Toten durch Covid 19 weltweit ist der Vergleich mit dem Holocaust der Nationalsozialisten kein Größenwahn, auch wenn das Virus ein Virus ist und keine Verbrecherbande. Die Opferzahlen bewegen sich in Dimensionen, die Leugnung und Verharmlosung der Pandemie und den agressiven Kampf gegen staatliche Schutzmaßnahmen aus der Sphäre von Privatmeinung oder Meinungsfreiheit herausfallen lassen. 

Mit dieser Art von "Requiem" ist dieses Buch sicher eines der ersten Kunstwerke, die sich ernsthaft und nachhaltig dem Thema annähern. Doch mehr als eine vorläufige Annäherung kann es nicht sein, zu vieles ist auch für wache Zeitgenossen oder gerade für sie noch unbekannt. Und Volker Braun ist niemand, der ohne Faktenwissen auch nur eine Zeile schreibt. Jeder seiner Verse hat eine faktische Grundierung. Spekulation ist seine Sache nie gewesen, schon zu DDR-Zeiten nicht ("Training des aufrechten Gangs").

Unüberschaubar sind politischer Aufruhr und Wetterwandel, vielleicht werden sie es bleiben. Nur Lyriker wie Volker Braun beobachten weiter, wie sich die Dinge entwickeln. "Die Stadt ist ruhiggestellt wie ein Pestpatient", notiert er, "Entmenschte Straßen, wie befreit / von der Krätze der Kunden": ein Vokabular zum Fürchten für Zustände zum Fürchten. Und dann: "Die Kanzlerin rät von sozialen Kontakten ab". Wortgewaltig, scharfsinnig, tiefschürfend. Das sind Gedichte, die einen umhauen können.


Donnerstag, 6. Januar 2022

Kleine deutsche Sprachkunde 2: Babysprech bei Erwachsenen

Nicht verboten, nur doof: Babysprech unter Erwachsenen. Ausdrücke "supertoll" oder "meeega!" gehören dazu. Wollen sich die Benutzer bloß mit den Ausdrücken jugendlicher Begeisterung unbewusst auch die eigene Jugend erhalten? Sehr besonders sind schon wieder "Kindi" statt Kindergarten, "Kita" für die (zugegeben) hässliche Kindertagesstätte. Fachleute sprachlicher Unsäglichkeiten streiten noch darüber, ob etwa "Späti" auch in diese Gruppe von Vokabeln gehört. Hat man Kleinkinder zum Schnaps holen in die "Spätverkaufsstelle" für Vergessliche und Schichtarbeiter geschickt? Waren es Alkoholiker oder Verkäufer, die den Knirpsen statt der Scheibe Wurst an den Fleischtheke ein Probefläschchen Jägermeister geschenkt haben, oder war es schlichte Faulheit? Doch weder alkoholischer Kindesmissbrauch noch Maulfaulheit ist ein akzeptabler Geund für diese Sprachverhunzung. Obwohl ich auf Faulheit als Hauptursache tippe. Eltern biedern sich ja auch nicht mit den lieben Kleinen an, wenn die erzählen, wo sie den Tag so verbringen und womit. Sie finden das nur lustig und haben alles Recht der Welt dazu. Aber wie um Himmels Willen kommen sie darauf, damit die Kolleginnen und Kollegen bei der Arbeit zu behelligen? Und warum verbitten sich die nicht einfach diesen Quark? - Sie haben vielleicht die Kinderlein kennen gelernt und finden sie süß, ok. Vielleicht finden sie aber weder die Kids noch solche Wörter süß. Und dann? Ich jedenfalls finde solche albernen Ausdrücke NICHT SÜSS, sondern in den Öffentlichkeit genauso deplatziert wie intime Schlafzimmersprache im Büro. Übrigens: Jugendliche mögen es meistens nicht, wenn Erwachsene "ihre" Sprache imitieren. Zu Recht: Es es ist Anbiederung und peinlich.