Seiten

Donnerstag, 6. Juni 2013

Ein hauchzartes Nichts voller Träume

Walle Sayer: Strohhalm, Stützbalken. Gedichte. Klöpfer & Meyer, Tübingen, 120 S., 16 €

Um es geich zu sagen: Nur der Titel gefällt mir nicht - zu akademisch, und dann noch ein Brems-Komma drin. Das entspricht meines Erachtens nicht im Mindesten der wunderbaren, teils minimalistischen Poesie, die das Buch enthält.
Det Titel besteht aus zwei (!) Zeilen des programmatischen Gedichts "Notizen für eine Laienpredigt", das sich im Grunde liest wie eine Anleitung zum Verfertigen von Gedichten. - Zumindest von Gedichten dieser wunderbar dichten, kompekten, aphoristisch verknappten und doch bildreichen Sprache, mit der Walle Sayer eine ganze Welt im Kleinen baut. Seine Lyrik ist ausgesprochen reif, wenn man darunter versteht, dass sie nicht nur Zufallsfunde oder spontane Gedankenblitze sind, sondern Frucht eines intensiven Nachdenkens über Wahrnehmung und Sprache und beharrlicher Arbeit daran: trittsicher.
Dieser Autor arbeitet nach überprüfbaren Maßstäben. Er schaut aufmerksam hin und baut seine in der Regel reimlosen Verse dann im Wissen um die multiplen doppelten Böden der Sprache. Er macht keine überflüssigen Worte. Seine Worte sind Taten. Das ist alles handfest, geerdet in der schwäbischen Heimat und im Dialekt, ohne daran zu kleben. Es hat Hand und Fuß. Kein Larifari.

Deshalb möchte ich das titelgebende Gedicht  hier einmal vollständig zitieren und kommentieren -pars pro toto, als Beispiel für das, was ich meine, damit niemand meint, ich schwätze Journalistenlyrik:

Anhäufeln,
zusammenstupfen.

Quellwasser
aus einem Sektglas trinken.

Glocken, ertaubt
von ihrem eigenen Geläut.

Der unentzifferbare Sockelspruch:
Ebarm dich meiner.

Strohhalm,
Stützbalken.

Der Wicht
in allem Wichtigen.

Dreispurige
Sackgassen.

Dieses Anhäufeln und Zusammenstupfen ist genau das, was Sayer mit Wörtern macht: ein handwerklicher, fast landwirtschaftlicher Vorgang, der Spreu vom Weizen trennt und ein gerüttelt Maß anbietet, ohne Leerphrasen. Die Lyrik, gar der "hohe Ton" (den ich persönlich auch mag, dem ich aber chronisch misstraue) ist auch bei ihm des leicht altmodischen Luxus verdächtig, ein Sektglas halt, womöglich noch geschliffen. Aber drin ist Wasser - bei Sayer nicht nur aus ökologischen Gründen kostbarer noch als Schampus, wie kommt´s?
Weil seine Gedichte nicht besoffen von der eigenen Schönheit sind, seine Verse keine klingende Schelle, kein hohl tönendes Erz. Stoßrichtung: zurück aufs Wesentliche (unentzifferbare Grundsätze des Erbarmens, Hoffens und Glaubens etwa). Strohhalm eben, Stützbalken: etwas, woran man sich im Zweifel eben auch halten kann. Woran sich der Dichter zumindest hält - mit nachhaltigem Erfolg.
Doch kaum ist es heraus, das simple Wort zum großen Gedanken, da kommt schon die Warnung davor, der Prophet möge sich bloß nicht zu wichtig nehmen, sonst wird er zum Wicht. Und das Spiel mit Wörtern: Großspurig, einspuren, zweispurig - seine Sackgassen nennt er gar dreispurig. Da klingt nicht nur an, was ich schon über die mehrfachen doppelten Böden der Sprache wie der Wahrnehmung schrieb, sondern auch ein feiner Humor. Ein ausgewiesener Fachmann des lyrischen Sprechens pocht nicht auf irgend eine Mission, sondern bezeichnet seine Anleitung zum Gedichtdemachen selbstironisch als "Notizen für eine Laienpredigt". Aber immerhin. Selten sind Notizen so ausgefeilt. Natürlich ist das nur meine ganz persönliche Sicht auf diesen Text. Aber Unsinn ist es sicher nicht. Das alles steckt drin, und sicher noch einiges mehr.
Und so geht´s weiter über120 Seiten. Das kann man nicht alles hier wiedergeben, das hieße abschreiben. Aber der Hinweis sei gestattet, dass diverse Lobredner schon Recht hatten mit Bemerkungen wie "profane Erleuchtung" oder "Die Kunst, aus Sprache Stille zu formen". Es ist, richtig, "Stille, die einen Schatten wirft". Ich würde sogar sagen: Stille, die spricht. Wally Sayer schreibt Verse, die einem Leser helfen können, Stille zu finden, stille zu werden, in sich selbst und in die Dinge hineinzuhorchen. Das ist nicht wenig in dieser lauten Zeit. Wie hat ein heller Kopf im Verlag dazu formuliert: "Vor fünfhundert Jahren hätte man vielleicht noch ein Kloster gegründet" - wenn man so tickt.
Meditativ ist dieses Schreiben, doch auch ganz von dieser Welt und mittendrin. Deshalb liebe ich diese Gedichte. Ob ein Pappkarton, der zum Rückzugsort im Kinderzimmer wird, ob Kindheitserinnerungen oder Landschaftsbilder, Reisenotizen, Historisches, Beobachtungen im Bus oder das sogenannte Wirtschaftsleben, ob Traum, Natur oder Familiendinge, Kunst und wasweißich noch: alles wird hier mit einem leichten Drall aus dem Alltag ins allgemein Gültige erhoben, ohne uns mit Bedeutung zu erschlagen. Und es darf sogar durchaus unterhalten wie "ein Nikolaus, zum Osterhasen ungeschult". Ein hauchzartes Nichts sind diese Verse, voller Träume und Dinge zum Entdecken.


Keine Kommentare: