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Donnerstag, 26. November 2020

Der Umgang mit Kunst und Kultur ist respektlos und demütigend!

Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Staatstheater, die jetzt bis Januar schließen müssen: Lasst den Kopf nicht hängen! Ich danke Euch sehr fürs bisherige Durchhalten, für all die kreativen Ideen und Extra-Bemühungen, die wunderbaren Produktionen. Eine Politik, die sich nur nach statistischen Algorythmen richtet, opfert Sport und Gastronomie den Kitas und die Kultur den Schulen. 

Diese Heilige Kuh wird zudem unprofessionell, stur und ohne Phantasie und Kreativität gemanagt. Das macht mich wütend, weil man jetzt sehen kann: All diese faulen Kompromisse funktionieren nicht. Die Chance, winterliches Stoßlüften durch Raumluftfilter zu ersetzen, wurde ignorant und arrogant verschlafen. Kinder müssen Masken tragen und in der Schule möglichst Abstand halten, werden aber auf dem Schulweg in überfüllte Busse und Bahnen geschickt und dürfen oft ihre Freunde nicht sehen. Die Bundesregierung gibt 5 Milliarden für Laptops, aber es gibt kein einheitliches Lehrprogramm, viele Schulen haben immer noch kein WLAN und viele Lehrer können mit den Geräten nicht umgehen - falls die denn überhaupt geliefert wurden. Niemand traut den Lehrern zu, den Unterricht kompetent coronagemäß zu organisieren, dabei kennen sie die Verhältnisse vor Ort am besten. Ganz im Gegenteil: Man verbietet es ihnen oder lässt sie bei der Technik hängen! Und dafür nimmt man immense psychische und emotionale Kollateralschäden in Kauf. 

Die Kultur bleibt ein Jahr ohne Publikum, ohne reguläre Einnahmen, ohne echte Wertschätzung und Respekt. Denn was ist respektvoll an den Almosen, die weder zum Leben noch zum Sterben reichen und fürs Nichtstun ausgezahlt werden, wenn jeder Daimler-Monteur und jede Bürokauffrau in Kurzarbeit mehr bekommt? Was ist respektvoll an der Einstufung als "nicht systemrelevant" und der Gleichsetzung mit "Spaß"? Es ist eine einzige bittere Demütigung für Künstler, die ihre Arbeit mit heiligem Ernst machen! Und sie ist doppelt kränkend, wenn gleichzeitig Geschäfte und Marktbuden, Friseursalons und Nagelstudios offen bleiben. Es ist ungerecht, so ein Sonderopfer für so lange Zeit nur von einer Branche zu verlangen, die dabei kaputt geht oder irreversiblen Schaden nimmt, psychisch und finanziell. 

Ganz zu schweigen von den Schäden, die der ausbleibende Trost der Menschen durch Live-Begegnungen mit Musik, Tanz, Theater, Literatur und Kunst hinterlässt, die fehlenden Anregungen aus den Gesprächen und Diskussionen hinterher. Richtig, Kunst und Kultur sind Orte der Begegnung. Aber das sind Schulen auch, nur dass sich im Konzerten oder im Theater bisher keine nachweisbaren Infektionen ereignet haben. Politiker sollten das nicht vergessen im "Land der Dichter und Denker"!

Dienstag, 24. November 2020

CDU-Korruption bei Luftfiltersystemen?

In der "Stuttgarter Zeitung" lese ich, warum es 6 Monate gedauert hat, bis es in Baden-Württemberg offizielle Stellungnahmen oder auch nur Informationen in der Tagespresse über Raumluftfilter gab: Parteifreunde und ministeriale Netzwerker von Susanne Eisenmann (CDU) haben den Mantel des Schweigens (und teils auch der Desinformation) über eine Entwicklung gebreitet, deren Prototyp offenbar einen Vorteil bei der Markteinführung haben sollte. Dabei wurden zwei Hersteller bereits existierender Luftfiltersysteme aus der Region geflissentlich übergangen, die längst in Serie Geräte produzieren, die wohl mindestens so gut und außerdem preiswerter sind als die "Karlsruher Sensation". So läuft das hier, sogar in Pandemiezeiten! Der Redakteur Andreas Pflüger hat vorbildlich recherchiert, was wirklich gelaufen ist und warum einige Unternehmer jetzt ziemlich sauer auf die Ministerin sind, die schon drei Mal von ihnen eingeladen wurde und die bis heute nicht einmal auf die Einladungen geantwortet hat. Dafür haben aber nun die CDU-Politiker Andreas Deuschle, Tim Hauser und Michael Brucker eine Pressemitteilung verschickt, in der sie erklären, die Anschaffung des Aerobuster des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) sei "für die Schulen in der Region ein absolutes Muss". Dazu kommt der Hinweis, das Kulturministerium von Eisenmann stelle 40 Millionen Euo für coronabedingte Ausgaben der Schulen zur Verfügung. Doch: Wieso soll es Geld nur nur für Schulen geben, warum nicht auch für Clubs, kleinere Theater, Kabaretts, Musiksäle? Die sollen wohl selber sehen, wo sie bleiben. Leider weiß aber bisher auch kein Schulleiter, wie er an Geld aus diesem Topf herankommen könnte. Tja, da dachte Frau Eisenmann wohl, dafür sei noch reichlich Zeit. Immerhin härtet Stoßlüften bei Minustemperaturen bekanntlich ab. Hier Pflügers Bericht:
 
https://www.stuttgarter-zeitung.de

Luftreiniger aus dem Kreis Esslingen: Das Licht, das Viren tötet
Von Andreas Pflüger 19. November 2020 - 16:08 Uhr
Eine „Erfindung“ aus Karlsruhe ist dieser Tage groß gefeiert worden: ein Gerät, das mittels UVC-Licht Viren abtötet. Dabei werden in Nürtingen und in Owen solche Luftreiniger längst produziert.

Die einen verbauen Ventilatoren in Fenster und Klimaanlagen, andere stellen Luftreiniger mit Filtereinsatz auf, wieder andere öffnen die Fenster sperrangelweit – und sitzen in der Kälte. Um Coronaviren abzutöten, die sich ja offenkundig über Aerosole verbreiten, gibt es unterschiedliche, mehr oder weniger taugliche Methoden. Kürzlich gab das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) bekannt, mit dem Aerobuster eine „Erfindung“ gemacht zu haben, die durch Hitze und UVC-Licht 99,8 Prozent der Viren deaktiviere. Nun will man rund 100 Prototypen der mobilen Anlage in Stehlampen-Form fertigen und einen Partner in der Industrie suchen. Jedoch stellen zwei Firmen aus dem Kreis Esslingen solche Geräte – mit mindestens dem gleichen Wirkungsgrad – bereits in Serie her.

Den Steritube von IST Metz aus Nürtingen gibt es schon lange und der Airtube, der bei LED24-7 in Owen produziert wird, ist unter dem Label UVC Clean ebenfalls seit Monaten auf dem Markt. Das technische Prinzip der Apparate ist ähnlich: Die belastete Luft wird fortlaufend angesaugt und in einem Metall­zylinder mit UVC-Licht bestrahlt, das die DNA der Viren zerstört. Die gereinigte Luft wird dann, ebenso regelmäßig, in den Raum zurückgeblasen. Die wartungsfreien Systeme arbeiten zuverlässig, wie Studien belegen.

Georg Rössler, der Geschäftsführer von UVC Clean, wunderte sich deshalb auch über die Nachricht aus dem Badischen: „Aus meiner Sicht ist das ein schöner Nachbau. Wir haben 450 unserer Airtubes in unterschiedlichen Formen und Größen allerdings längst im Einsatz.“ Noch mehr erstaunt war Rössler über die vom KIT verkündeten Materialkosten von 50 Euro: „Das ist für mich fern jeder Realität.“ Allein eine Qualitätslampe, wie UVC Clean sie verwende, schlage mit 100 Euro zu Buche, ergänzt er. Nach Auskunft des KIT kostet deren Leuchte nur zwölf Euro.

Andreas Bosse, der bei IST Metz die Bereiche Marketing und Kommunikation verantwortet, ist angesichts von Billig­angeboten ebenfalls skeptisch: „Es kommt darauf an, ob man etwas fürs gute Gefühl haben will oder ein Gerät, das wirklich funktioniert und etwas nützt.“ Der Geschäftsführer Christian Metz setzt deshalb auf die langjährige Erfahrung seines Unternehmens und der Tochterfirmen: „Mit der Entkeimung durch UVC beschäftigen wir uns schon ewig, etwa bei der Trinkwasseraufbereitung, unter anderem in Metropolen wie Paris und San Francisco.“ Für IST Metz sei deshalb auch die Luftdesinfektion kein Problem, zumal sich Viren leichter unschädlich machen ließen als Bakterien oder Pilze, fügt der Chef von gut 600 Beschäftigten hinzu.

Wie eine solche „individuelle Lösung“ aussehen soll, die vom Besprechungszimmer bis zur Messehalle reichen kann, dürfte sich schon in Kürze zeigen. Das Inselbad in Nürtingen-Zizishausen soll die erste öffentliche Covid-Free-Air-Einrichtung im weiten Umkreis werden.

„Für uns ist das ein Pilotprojekt und wir sind froh, dass gerade an unserem Stammsitz ein Oberbürgermeister und der Geschäftsführer eines kommunalen Betriebs schnell erkannt haben, wie wichtig es ist, gerade in solchen Zeiten, einen sozialen Treffpunkt so sicher wie möglich zu machen“, lobt Andreas Bosse. Im Inselbad würden mobile Steritubes jedoch weniger benötigt. Hier kämen die Pipes direkt in die Lüftungsanlage. „Unser Maßstab ist es jedenfalls, in der Halle Außenluftqualität zu bieten“, sagt Christian Metz.

So gut man bei IST Metz auf das schnelle Handeln der Stadt zu sprechen ist, so wenig Verständnis gibt es für die zögerliche Haltung der großen Politik: „Wir sind mit vielen Institutionen und Bildungseinrichtungen im Austausch und haben auch mit unterschiedlichen Parteivertretern gesprochen“, betont der Geschäftsführer. „Es gibt aber scheinbar keine bis wenig staatliche Förderung, die gezielt diesen Bedarf abdecken könnte.“ Georg Rössler macht seinem Ärger weit weniger diplomatisch Luft: „Wir haben Frau Eisenmann drei Mal zu uns eingeladen, damit sie sich die Produkte von UVC Clean anschaut, haben aber bis heute keine Antwort bekommen.“ Und jetzt springe die hiesige CDU urplötzlich auf die Filter aus Karlsruhe an und erkläre diese zur Ultima Ratio. Rösslers Groll wurde ausgelöst durch eine Presseerklärung der Esslinger Christdemokraten Andreas Deusch­le und Tim Hauser sowie des Ostfilderner CDU-Chefs Michael Brucker. Das Trio bezeichnet „die Anschaffung des in Baden-Württemberg entwickelten Aero­busters für die Schulen in der Region als absolutes Muss, sobald der Filter auf dem Markt ist“. Deuschle verweist zudem darauf, dass das Kultusministerium den Schulen 40 Millionen Euro für corona­bedingte Ausgaben zur Verfügung stelle.

Davon hat Georg Rössler zwar auch gehört. Seine Nachfrage bei den Schulen habe jedoch ergeben, dass noch kein Rektor wisse, wie an dieses Geld ranzukommen sei. Und was der UVC-Clean-Geschäftsführer noch weniger versteht: „Da wird auf eine Option gesetzt, die noch gar nicht verfügbar ist und von der am Ende keiner weiß, was sie kostet.“ Mindestens gleichwertige Alternativen gebe es bereits, mit denen selbst eine steigende Nachfrage rasch bedient werden könne. Da ist Rössler froh, dass der freie Markt funktioniert: „Wir statten mit unseren verschiedenen Airtubes unter anderem gerade den Club Schräglage in Stuttgart aus und zwar so, dass eine vollständige Luftreinigung nachweislich gewährleistet ist.“

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Montag, 16. November 2020

Aus meinem Bücherregal: "Mortal Engines" von Philip Reeves

 

- Krieg der Städte (333 Seiten, 12 €)

- Jagd durchs Eis (360 Seiten, 12 €)

- Der Grüne Sturm (381 Seiten, 12 €)

- Die verlorene Stadt (574 Seiten, 14 €)

Irgendwann in einem Jahrtausend nach unserer Zeitrechnung hat der britische Autor und Illustrator diesen opulenten Vierteiler von SF-Romanen angesiedelt, deren flotte deutsche Übersetzungen von Nadine Püschel und Gesine Schröder bei Tor im S. Fischer Verlag erschienen sind. Teil I beginnt lapidar mit dem Satz: "Es war ein dunkler, böiger Nachmittag im Frühling, und im ausgetrockneten Bett der Nordsee eröffnete London die Jagd auf eine kleine Schürferstadt." Rein sprachlich steht diese Dystopie mit sachlichen Beschreibungen und sarkastisch.knappen Dialogen in der besten Tradition britischer Thriller. Schon Wetter und Landschaftsbilder rufen eine Stimmung hervor, die uns an den warmen Ofen ins warme Licht einer Leselampe auf den gemütlichen Lesesessel zieht. Grusel-Zeit im Corona-Herbst.

Nach dem 60-Minuten-Krieg, einem verheerenden Schlagabtausch mit satellitengesteuerten Atomwaffen und Designerviren, den nicht einmal die historischen Bücher und Medienarchive das Wissen aus den Zeiten davor überlebten, haben sich die Städte mit gigantischen Motoren und auf überdiemensionalen Raupenketten in Bewegung gesetzt: In etwa wie Disneyland-formatige Nachbauten der Originale mit symbolträchtigen Gebäuden auf fünf bis neun Decks, die sich aus statischen Gründen nach oben verjüngen, machen diese Gebilde Jagd aufeinander. Denn eine Volks- oder Betriebswirtschaft im heutigen Sinne gibt es nicht mehr, keine sichere Ernährung durch eine geregelte Industrie, Landwirtschaft, Tierzucht und Fischerei. Denn landwirtschaftliche Siedlungen sind statisch, weil Pflanzen und Tiere Land benötigen und sich niemals im großen Stil mobil organisieren lassen. Alle einst funktionierenden Ökosysteme sind beim Teufel, die Menschen leben von Raub, Plünderung, Abfallverwertung (auf höchstem Niveau!), Piraterie, Spionage und Kopfgeldjagd bzw. Sklaverei, Schmuggel und eine seltsame Untergrundwirtschaft. 

Das ist das System des "Städtedarwinismus", seit Jahrhunderten etabliert: Fressen und gefressen werden, eine Subsistenzwirtschaft mit Beute auf der Basis permanenter Kriege. So will es die "Liga", ein loser Verbund mobiler Städte ehemaliger Industriestaaten, der sich zum Schutz gegen die asiatischen, fanatisch islamistischen Truppen des "grünen Sturms" gebildet hat. Der entstand - ebenfalls vor Jahrhunderten - als Schutzmacht großer landwirtschaftlicher Siedlungen und Produktionsgenossenschaften auf dem eurasischen Festland. So heißt einer der großen, ideologisch überhöhten Gegensätze in Philip Reeve´s Universum Mobil gegen Stationär, ökologisches Leben gegen mechanisches, Freiheit gegen Tradition. Kommt Ihnen seltsam bekannt vor? - Richtig, das ist die Absicht des Autors.

Ähnlich wie bei Karl May Araber und Kurden, Indianer oder Banden weißer Gesetzloser leben die Menschen in Stammes- und Clanverbänden in permanenten Kleinkriegen um Ressourcen. Natürlich gibt es Cognayc und Whisky, Dosenfraß und Feinkostläden, Edelboutiquen sowie Waffen, Munition, Diesel, Benzin, Elektrizität, aber das kostet Unmengen. Es gibt Geld, es gibt Handwerk und Mechanik, aber alles nur auf einem vor-digitalen und vor-atomaren Niveau. Vereinzelt haben geniale Erfinder Funde aus den alten Zeiten wieder nutzbar gemacht und in den Dienst autoritärer Oberbürgermeister an der Spitze historischer Gilden gestellt. Am Tag der Jagd auf die kleine Stadt, die am Küstensaum nach Salz schürfte, lernen die Leser drei Hauptpersonen kennen: Tom, Historikerlehrling dritter Klasse, Londons Chefhistoriker Valentine, ein ebenso charmanter wie rücksichtsloser Machtmensch, und die junge Hester mit einem von Brandnarben entstellten Gesicht, die versucht, sich mit einem Messer für den Mord an ihrer Mutter an Valentine zu rächen. Und sie lernen ein gnadenloses Klassensystem kennen, das in London herrscht.

Denn Valentine ist nicht nur der berühmteste Archäologe und oberste Historiker der Stadt, er ist es auch deshalb, weil er seine bedeutendsten "Old-Tech Funde" aus prähistorischer Zeit als "Plunderer" erbeutet und dabei eine ganze Familie ausgelöscht hat - die Familie von Hester mit dem verbrannten Gesicht. Die hat sich fangen lassen, um an Valentine heran zu kommen. Tom, der die Zusammenhänge nicht ahnt, wird zufällig Zeuge des Attentats, rettet Valentines Leben und wird von diesem Halunken gleich mit in den Abfallschacht geworfen, den Hester zur Flucht benutzt hat. Im "Draußen", im Roman gleichbedeutend mit Hunger, Dreck und Gefahr, kann angeblich niemand überleben. Doch Hester hat genau das gelernt, und damit beginnt eine ungewöhnliche symbiotische Beziehung. Sie überleben, indem sie trotz anfänglicher Aversionen zusammenhalten und ihre Vorurteile überwinden. Dialogprobe:

"Er hat dich runtergeworfen, oder? Bloß weil du mit mir gesprochen hast." 

"Das ist gelogen!" sagte Tom wieder.

"Ach ja?", fragte Hester. ... Dann wandte sie sich ab und marschierte weiter.

Tom beeilte sich, sie einzuholen. "Ich komme mit! Ich muss auch wieder nach London! Ich kann dir helfen!"

"Du?" Hester lachte heiser und spuckte vor seinen Füßen aus. Ich dachte, du bist Valentine treu ergeben. Und jetzt willst du mir helfen, ihn umzubringen?"

Das kann ja heiter werden. Im Lauf von 1.648 Buchseiten werden Tom und Hester nicht nur ein Paar, sondern erleben auf dem Weg in ihr labiles Glück eine Menge haarsträubender Abenteuer. Besonders gruselig sind die Episoden mit dem Killer-Roboter Shrike. Der Android mit künstlicher Intelligenz hat einst Hesters Mutter als Leibwächter gedient, wurde dann als Beute stillgelegt und ganz neu auf die Menschenjagd programmiert - eine richtige Armee auf nur zwei Beinen. Als Luftschiffer und Händler lernen Tom und Hester den ganzen Planeten kennen - von den Eiswüsten des Nordens bis zu den Dschungeln Südostasiens und den Freihäfen der Himmelsfahrer oder den Unterwasserstützpunkten den "verlorenen Jungs", einer besonders üblen Piratenbande. Der manipulative Chef dieser Truppe hat Waisen aufgenommen und geschult, deren Eltern bei seinen Raubzügen nach Old-Tech ums Leben gekommen sind. Für sie ist er der einzige Halt, Ernährer, Lehrer, Heilsbringer und Oberguru. Die Kindersoldaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas lassen grüßen. 

Tom uns Hester verbringen glückliche Jahre in Kanada, in den Ruinen einer kleinen landwirtschaftlichen Siedlung am Ende eines Fjordes, bauen Wein an, gehen fischen, führen eine Reparaturwerkstatt. Aber als ihre Tochter von den "verlorenen Jungs" entführt wird, müssen sie ihr kleines Paradies noch einmal verlassen. Schluchz. Aber gut geschrieben. Mehr wird aber nicht verraten. Man muss bloß wissen, worum es geht. Und mehr als eine grobe Orientierung kann diese Rezension auch nicht sein. Es ist übrigens ein großer Gewinn, dass der Brite Philip Reeves, der mit seiner Familie im Dartmore National Parl lebt, seine Romane mit sprechenden Cover-Zeichnungen selbst illustriert. Das riecht ein bisschen nach dem Stil alter Landser-Heftchen, hat aber einfach Charme. Das rein Mechanische solcher Abbildungen überfordert die Phantasie nicht, sondern bringt das Kopfkino erst richtig zum Laufen.

 


 












Mittwoch, 11. November 2020

Für eine Europäische Union der Poesie: Andreas-Gryphius-Preis für Traian Pop

 

Der angesehene Andreas-Gryphius-Preis der Künstlergilde Esslingen geht 2020 an Traian Pop. Die Verleihung war für den 6. November im Gerhart-Hauptmann-Haus Düsseldorf geplant und musste wegen der Pandemie verschoben werden. Der Andreas-Gryphius-Preis würdigt in erster Linie das Gesamtwerk und wurde erstmals 1957 in Düsseldorf verliehen. Seit 1990 wird er von der Künstlergilde Esslingen in Glogau (heute Głogów, Polen) vergeben, wo Andreas Gryphius (eigentlich Andreas Greif) 1616 geboren wurde und bis zu seinem Tod im Jahre 1664 lebte. In diese Zeit fiel auch der Dreißigjährige Krieg, dessen Verheerungen Gryphius und sein Werk wie die gesamte europäische Kultur jener Zeit geprägt haben. Andreas Gryphius war ein deutscher Dichter und Dramatiker des Barocks. Vor allem wegen seiner wortgewaltigen Sonette, die „das Leiden, Gebrechlichkeit des Lebens und der Welt“ zum Thema haben, gilt Gryphius als einer der bedeutendsten Lyriker des deutschen Barocks.

Mit dem Literaturpreis werden Autoren und Übersetzer ausgezeichnet, deren Publikationen deutsche Kultur in Mittel-, Ost- und Südosteuropa reflektieren und die zur Verständigung zwischen Deutschen und ihren östlichen Nachbarn beitragen. Der Preis war ursprünglich als Kind von Willy Brandts Ostpolitik mit 25.000 DM dotiert. Hinzu kam ein mit 7.000 DM dotierter Sonderpreis, der auch als Stipendium vergeben werden konnte. Als Folge von Sparmaßnahmen musste 2000 die finanzielle Unterstützung der Künstlergilde durch das Bundesministerium des Innern bzw. den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien eingestellt werden. Der Preis wurde daher bis 2008 nicht mehr vergeben. Seit 2009 ist der Preis zwar nicht mehr dotiert, kann aber mit Unterstützung einer privaten Stiftung immerhin wieder jedes Jahr verliehen werden. Eigentlich wäre das ein dringender Sanierungsfall für die Bundes-Kulturbeauftragte Monika Grütters.

Das Innenministerium ist heute gewiss die falsche Adresse für die Finanzierung eines so renommierten und traditionsreichen Literaturpreises. Doch mit etwas gutem Willen müsste sich in Berlin wieder eine angemessene Finanzierung de Preises finden lassen. Geehrt wird damit schließlich auch das Andenken eines Literaten, der ein hoch gebildeter, mehrsprachiger Grenzgänger im deutsch-polnischen Grenzgebiet war, der auch mehrjährige Erfahrungen in Italien und auf Reisen durch Frankreich und die Niederlande gesammelt hatte. Seine Literatur war in einem heute vielfach übersehenen Sinne gesamt-europäisch.

Insofern trifft die Wahl des Preisträgers Traian Pop einen Intellektuellen, der auf Rumänisch und Deutsch veröffentlicht hat, aber weit über den literarisch so fruchtbaren Kontext der Rumäniendeutschen hinausweist. Natürlich verlegt Pop fast die gesamte Riege deutschsprachiger Autorinnen und Autoren, er denkt und handelt jedoch größer – bis hin zum finanziell lebensgefährlichen Größenwahn: 2018, als das kleine Georgien Gastland der Frankfurter Buchmesse war, erschienen im Pop Verlag 26 (!) aus dem Georgischen übersetzte oder deutsch-georgische Bücher, so viele wie in keinem der deutschen Großverlage. Seit längerer Zeit nimmt Pop aber auch literarische Schätze von Autorinnen und Autoren ins Programm, die praktisch vor seiner Haustür leben, wie Peter Frömmig oder Imre Török, der aus Ungarn stammt.

Er befindet sich jetzt in angesehener Nachbarschaft zu früheren Preisträgern wie Edzard Schaper, Horst Lange, Siegfried von Vegesack, Sigismund von Radecki (1957), Heinz Piontek, Carl Dedecius, Horst Bienek oder Oskar Pastior. Wolfgang Koeppen, Günter Eich und Walter Kempowski. Sein Name steht auch in einer Reihe mit Karin Struck, Saul Friedländer, Siegfried Lenz, Hans Sahl, Ulla Berkewicz, Günther Anders, Hans-Werner Richter, Ottfried Preußler, Ota Filip oder Helga Schütz und Peter Härtling. Damit ist er wirklich auf dem literarischen Olymp großer Europäer angekommen.

Dabei lebt der 1952 im rumänischen Kronstadt (Brașov) geborene Autor und Verleger Pop erst seit 1989 in der Bundesrepublik Deutschland. Zuvor war Pop, der unter anderem am Deutschen Staatstheater Temeswar gearbeitet hatte, verschiedentlich mit dem Ceaușescu-Regime in Konflikt geraten. Der Autor Traian Pop hat mehrere Lyrik- und Prosabände in rumänischer und deutscher Sprache vorgelegt. Er wurde für sein Werk bereits mehrfach ausgezeichnet, darunter mit dem Preis des Rumänischen Schriftstellerverbandes (2002). Seit 2003 hat er sich auch als Verleger verdient gemacht, er verlegte u. a. Arbeiten von Ana Blandiana, Jan Cornelius, Dieter Schlesak und William Totok. Das ist in der Tat ein Gesamtwerk, das mit dem Andreas-Gryphius-Preis vielleicht endgültig den längst überfälligen Schritt vom schwäbisch-rumäniendeutschen Provinzbiotop zur Ruhmeshalle allgemeiner Anerkennung und zum verdienten finanziellen Erfolg tun kann. Zu wünschen wäre es ihm.

Bio-Bibliographie: Der Schriftsteller, Verleger, Übersetzer und Journalist Traian Pop Traian wurdde 1952 in Kronstadt/Brașov, Rumänien geboren. Während des Studiums und danach freiberufliche Mitarbeit bei Rock- und Jazz-Musikgruppen sowie beim Deutschen Staatstheater Temeswar (als Toningenieur, Texter, Bühnenarbeiter). Parallel dazu Veröffentlichung aufmüpfiger Texte in studentischen und anderen Zeitschriften. Viele Buchpublikationen. Einige Theaterstücke, u. a. „Die Stadt der Lügenzwerge“ (Dramatisierung für das Puppentheater Temeswar 1989, wurde nach kaum zehn Vorstellungen verboten) und „Schöne Aussichten“ (wurde kurz vor der Uraufführung verboten). Nach dem Sturz des Diktators Nicolae Ceauşescu war Pop von Dezember 1989 bis Januar 1990 Mitglied des ersten Redaktionsteams der Tageszeitung „Temesvar“. Lebt seit 1990 in Ludwigsburg bei Stuttgart. Literaturpreise: u. a. Preis der Akademie für Wissenschaft, Literatur und Kunst beim Internationalen Buch-Salon, Großwardein/Oradea 1999, Poesie-Preis der LiterArt XXI (The International Association of Romanian Writers and Artists Inc.) 1998/1999, Preis des Rumänischen Schriftstellerverbandes, Temeswar/Timișoara 2002. Kurzfilm „Traumdiktat“ nach dem Gedicht „Wer keinen blassen Schimmer hat“, Poscimur Produktion (2004). Zuletzt auf Deutsch erschienen: Schöne Aussichten (2005), Die 53. Woche (2013), Bleierne Flügel (2017). "Absolute Macht", Gedichte Deutsch / Rumänisch (2018).

 



Mittwoch, 4. November 2020

Luftnummer: Jetzt werden Luftfilter öffentlich diskutiert - nach zwei Monaten!

Nach zwei Monaten ist das Themas in der Tagespresse angekommen, d.h. auch in der Landespresskonferenz Baden-Württemberg! Hier soll auch mal etwas Positives stehen.  Immerhin äußern sich mit einem Mal auch Forscher positiv über HP14-Filter, und die Kultusministerin Susanne Eisenmann erklärt, das Kabinett tage inzwischen in einer maschinell luxuriös gereinigten Luft. Man bedauert allgemein begrenzte Hersteller-Kapazitäten, die leider nicht in der Lage seien, kurzfristig 50 000 Schulklassen mit mobilen Luftreinigern zu versorgen. Doch die sinnlos durch Abwarten und Taktieren verlorene Zeit hat Menschenleben gekostet. Deshalb ist das alles so lustig auch wieder nicht. - Eine echte Luftnummer eben.