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Montag, 30. März 2020

Ritt über den Bodensee

174 Seiten, 18,80 €

Ein wichtiges Buch - trotz erheblicher Schwächen

Als "Ritt über den Bodensee" bezeichnet der Volksmund ein extrem riskantes Unternehmen, nach einer Ballade von Gustav Schwab über einen Mann, der den großen See einmal zu Pferd überquert haben soll, als der See zugefroren war (was ohnehin sehr selten vorkommt). Es ist ein enormes Verdienst des Ludwigsburger Verlegers Traian Pop, zur Frankfurter Buchmesse 2018, als Georgien das Gastland war, eine ganze georgische bzw. kaukasische Bibliothek mit 26 Bänden veröffenlicht zu haben. Er hat damit den Blick mit einer Intensität, Breite und Tiefe auf dieses Land und seine Literatur gerichtet, zu der keiner der großen deutschsprachigen Verlage fähig war. Doch vor mir auf dem Tisch liegt zum Einlesen die "zweite, überarbeitete und ergänzte Ausgabe dieser "kurzen Einführung in die georgische Literatur", die Stärken und Schwächen hat. Ich plädiere dafür, die Schwächen zu verzeihen, weil die Stärke dieses Buches für mich klar überwiegt: Es gibt dergleichen (noch) nicht in deutscher Sprache. Dabei beleuchtet dieses Buch das Entstehen und die Vielfalt einer Literatur am Rand Europas, wo einmal seine Mitte war.
Die eine Schwäche, die wohl am meisten ins Auge fällt, ist rein sprachlicher Natur. Das Buch hätte meines Erachtens eine sorgfältigere redaktionelle Überarbeitung verdient. Die bisherigen Arbeitsdurchgänge waren wohl doch zu sehr von Eile geprägt. Vielleicht haben auch zu viele Köche bzw. Köchinnen den Brei verdorben: Auffallend ähnlich sind jedenfalls die Armut des Vokabulars bei allen Autorinnen und Autoren und einige geradezu "typische" Stilmängel dieses Sammelbandes. An den Autoren liegt das kaum.
Dr. Maka Elbakidse ist als Komparatistin, stellvertretende Direktorin des Schota Rustaweli Instituts für georgische Literatur der Universität Tbilissi und Chefredakteurin einer wissenschaftlichen Zeitschrift hervorragend qualifiziert. Ähnlich würde ich ihren Kollgen Gaga Lomidse einschätzen, der am gleichen Institut promoviert hat, oder Irma Ratiani, die Leiterin des Instituts. Auch die Referenzen von Dr. Miranda Tkeschelaschwili, wissenschaftliche Sekretärin an eben diesem Institut, oder Dr. Marine Turaschwili, Leiterin des Folklore-Archivs am Schota Rustaweli Institut, lesen sich makellos. Doch schon die Bezeichnung "Folklore-Archiv" lässt nicht an seriöse Volkskultur denken, sondern eher an Oktoberfest-Sänger wie DJ Ötzi oder den kunsthandwerklichen Kitsch, den bayerische Souvenierläden anbieten. - Eine Kleinigkeit, gewiss. Aber durch solche Petitessen gerät hier permanent Großes in ein völlig falsches Licht. Die Wortwahl ist eben nicht egal. Ich vermute sogar angesichts der häufigen nationalen und historischen Bezüge der beschriebenen Literatur, dass es um nationale Identität durch Literatur geht, und dafür ist "Folklore" wirklich kein passender Ausdruck.
Dazu kommen Probleme mit Syntax und Semantik. Ein (harmloses, kleines) Beispiel dafür mag genügen. Der letzte Satz im sonst guten Vorwort von Irma Ratiani lautet: "Wir hoffen, dass die Mission dieser im Rahmen des Projektes geleisteten Arbeit erfolgreich sein wird". Dabei geht es um die durchaus verdienstvolle und legitime Aufgabe, "einerseits nicht-georgischen Studierenden der georgischen Kultur deren spezifische Natur aufzuzeigen, andererseits die Stellung der georgischen Literatur in der literarischen Welt zu definieren." - Selbstverständlich ist diesem Anliegen Erfolg zu wünschen, aber welcher "Mission" bitte? Auch dass die Texte vom erwähnten Schota-Rustaweli-Literaturinstitut als Teil eines Projekts "Rolle und Stellung der georgischen Literatur in der Weltkultur" für ein Programm "Georgisch als Fremdsprache" entstanden sind, ist eine sinnvolle Information. So erhalten die Leser eine Einordnung des Niveaus, das erwartet werden darf.
Da alle AutorInnen des Sammelbandes ausgewiesene Spezialisten mit eindrucksvollen Publikationslisten sind, vermute ich die Übersetzerinnen Manana Paitschadse und Maja Lisowski als Urheberinnen der sprachlichen Schwächen. Beide Germanistinnen stammen aus Tbilissi, sind also keine deutschen "native speaker". Da ist es keine Schande, wenn ihre Texte vor dem Druck in deutscher Sprache einer gründlichen Korrekturdurchsicht bedürfen. Hätte es die gegeben, dann stünde im ersten Kapitel mit der interessanten Beschreibung der Entstehung Georgiens im Spiegel georgischer Schriften nicht "Die Mehrheit der Quellen behauptet, das Goldene Vlies sei ein auf Fell geschriebenes Buch". Korrekt dürfte es wohl heißen "ein auf Tierhaut oder Pergament geschriebenes Buch." Doch Schluss mit der Beckmesserei.
Richtig spannend ist zu lesen, wie eng die Verbindung mit Griechenland durch die Sagen um Jason, Medea und das Goldene Vlies war - eine Sagenwelt, die auch hier jeder einmal wahrgenommen oder doch wenigstens gestreift hat. Mythen und Märchen Georgiens sind  eng mit denen anderer Kulturen verzahnt. Märchenerzähler und mündliche Traditionen, wie sie in orientalischen Ländern immer noch verbreitet sind, spielen in der Grenzregion zu arabischen und ehemals osmanischen Kulturen eine große Rolle. Dass die vielfach preisgekrönte Autorin Nino Haratischwili aus Tbilissi nach der Heiligen Nino benannt ist. Soie war die erste Missionarin, eine große Gelehrte und Klostergründerin. Die griehisch-orthodoxe Kirche nennt sie "Erleuchterin Georgiens" und stellt sie den Aposteln gleich. Das kann in der Macho-Kultur dieser Region nicht genug betont werden. Ihrem Wirken und desen Folgen ist das Kapitel über die Ursprünge der georgischen Schrift im 5. Jahrhundert gewidmet. Der Einfluss griechisch-orthodoxer Missionare und Missionarinnen im Land am Kaukasus war enorm, wovon noch viele denkmalgeschützte Kirchen erzählen. Bedeutende Zeugnisse georgischer Klöster als Kulturzentren gibt es außerdem in der griechischen Mönchsrepublik auf dem Berg Athos, im berühmten Katharinenkloster auf dem Sinai und im Kreuzkloster zu Jerusalem.
Wie im 12. und 13. Jahrzundert nach dem Muster der Heiligenbiographien die ersten weltlichen Ritter- und Liebesromane entstanden, beschreibt Maka Elbakidse. An erster Stelle steht hier das bekannte Epos "Der Recke im Pantherfell" von Schota Rustaweli. Der Autor dieses Buches, der Wesir (Finanzminister) der für ihn unnahbaren Königin Tamar, schaffte es mit seinem Werk auch in europäische Übersetzungen. Vielleicht war die Hauptursache die sprachliche Qualität und die Ähnlichkeit mit der höfischen Kultur des europäischen Mittelalters. Von dieser Arbeit aus den Jahren 1189 - 1207 gibt es etliche Abschriften, die als besondere Beispiele schönen georgischen Schrift und Buchkunst gelten. Darin zeigt sich drucksvoll, wie sich vor allem im "goldenen Zeitalter" der georgischen Literatur (12./13. Jh) westliche und östliche Traditionen verbinden. Höhepunkte der höfischen Literatur in Georgien waren darüber hinaus Werke der Dichterkönige Teimuras I. und Artschil, die beide starke Einflüsse aus Persien aufnahmen und politisch erfolglos blieben.
Vom 13. zum 17. Jahrhundert lebte Georgien unter mongolischer bzw. persischer Herrschaft, weshalb der georgische Buchdruck erst im 17. Jahrhundert begann. Kurios: Das erste auf Georgisch gedruckte Buch kam aus Italien, weil König Teimuras beim Papst nach Verbündeteen suchen ließ, als die Perser sein Land überfielen. Er fand keine Hilfe, weckte aber das Interesse von Missionaren, die neben der Bibelübersetzung auch ein Wörterbuch in Auftrag gaben. Auch eine romantische Literatur entstand im 19. Jahrhundert in Georgien, doch die Namen ihrer doch recht heterogenen Vertreter sagen uns hierzulande nichts, und ihre Vorbilder waren kein Deutschen, sondern Russen oder Briten. Gemeinsam war allen nur ein Nationalismus, der sich zwar in der Abgrenzung gegen osmanische, persische und russische Besatzungen historisch erklärt, aber für sich genommen noch kein Qualitätsmerkmal ist.
Die georgische Moderne, die Sowjetzeit und die postsowjetische Literatur in Georgien wären für hiesige Leser vielleicht besonders interessant. Leider bräuchte es dazu mehr Informationen als schier endlose Aneinanderreihungen von Namen. Die Vertreter nahezu aller Stilrichtungen werden lediglich erwähnt, nicht einmal Lebensdaten oder Zitate geben eine Kostprobe oder einen Eindruck davon, was diese Autorinnen und Autoren eigentlich zu bieten haben. Schade, könnte man meinen. Aber vielleicht ist gerade das ein Grund, weitere Bücher der "kaukasischen Bibliothek" beim Pop-Verlag genauer unter die Lupe zu nehmen. Da schlummern sicherlich noch einge Schätze.

Mittwoch, 18. März 2020

Antiquiert? - 100 MB als Grenze für Video-Upload im Blog

Da ich zwei Lesungen aus dem Gedichtband "Suleikas rebellische Kinder" wegen Corona absagen musste, würde ich gern Interessenten per Video einen kleinen Ausgleich geben. Leider gibt es für meinen altersschwachen Laptop keine vernünftige Schneide-Software mehr, so dass ich nichts bearbeiten kann. Daher kann ich nur ungleiche Happen anbieten. Google setzt dafür eine lächerliche Grenze von 100 MB. Deshalb geht das bei einem kurzen 6-Minuten Video mit 560 MB nicht. Eine halbstündige Lesung ist schon kurz, geht aber gar nicht. Wieso wird Literatur dermaßen eingeschränkt und Musik wie üblich nicht? Jedes blödsinnige Filmchen und jeder Porno geht, nicht aber Literatur. Ich fordere dringend Abhilfe von Google durch angemessene Streaming-Kapazitäten bis zur Länge eines Sinfoniekonzertes. Das ist eine Frage des Respektes und ein lebenswichtiger Beitrag für soziales und kulturelles Miteinander, gerade jetzt

https://www.youtube.com/watch?v=iHDHqOXt0o0&fbclid=IwAR1opHEIF7sSIoEAyHV7MozOnibb9Gtvu2VlHTxZoH3b8L9tg49_lcCVobs

Inzwischen sind zwei längere Videos über insgesamt 30 Minuten bei Youtube zu sehen / hören. Da gibt es zwar viel Mist, aber eben auch sehr viel Gutes. Versucht es einfach mal (aber bitte mit Kopfhörer):
 Widmar Puhl Youtube - Google-Suche

Freitag, 13. März 2020

Corona ist für die Kultur der GAU

Einen schlimmeren Schlag als die Folgen der Corona-Pandemie gegen die freie Kulturszene der Welt hat es noch nie gegeben. Man muss sich einmal vor Augen halten, dass Kultur immer, selbst in Zeiten von Krieg und Verfolgung, weil sie sich daran sie sich aufrichten konnten. Jetzt sperrt man Millionen in Quarantäne oder lässt sie "freiwillig" zu Hause in Isolationshaft - auch in Europa, auch bei uns in Deutschland. Sogar im Warschauer Ghetto gab es Theater, literarische Lesungen und Konzerte. Kultur war und ist überlebenswichtig für uns Menschen. Nun aber hagelt es Verbote und Absagen von Konzerten, Festivals platzen, Lesungen fallen aus, Schulen und Universitäten schließen z.T. auf unbestimmte Zeit. Inzwischen sprechen verzweifelte Behörden auch Besuchsverbote für Krankenhäuser und Altenheime aus. Menschen, die Trost und Zuwendung brauchen, stößt man damit in die brutalste mögliche Isolation. Weiß eigentlich jemand, was man diesen Menschen antut? Meine Katzen gehen ein wie die Primeln ohne Streicheleinheiten und Hautkontakt. Und wir Menschen sollen auf "soziale Kontakte verzichten"? Geht´s noch?! Man darf ja verzweifelt sein, aber nicht dumm und herzlos. So war das zwar alles nicht gemeint, aber es gilt in dieser Lage auch, auf eine sensible, respektvolle Wortwahl zu achten.
Zur Bedeutung von Kultur als Überlebensmittel gibt WIKIPEDIA folgenden Tipp (ich kenne den Film und mehrere Bücher zum Thema):
Roberta Grossman: Das Geheimarchiv im Warschauer Ghetto. Der Film erzählt die Geschichte des Untergrundarchivs Oneg Schabbat, das Emanuel Ringelblum zusammen mit Helfern im Ghetto mit dem Ziel aufbaute, der Nachwelt ein möglichst authentisches Bild vom Leben im Ghetto und von den Verbrechen der nationalsozialistischen Besatzer zu geben.

Besonnene Behörden, Kirchen und Sozialträger reagieren deshalb mit Augenmaß und nicht hysterisch. Leider jedoch reagieren sie nicht einheitlich. Es geht nicht um totale Isolation, sondern um Verantwortung und Disziplin, die auch gegen asoziales und gemeingefährliches Verhalten (z.B. so genannte "Corona-Partys") polizeilich durchgesetzt werden muss. Bösartig oder leichtsinnig - so etwas geht gar niucht. Soziales Miteinander und Kultur sind auch virtuell, online und mit einer gewissen Sicherheitsdistanz möglich. Wie in alten Zeiten haben Italiener die Serenade von Balkonen und aus offenen Fenstern wieder entdeckt. Die Stuttgarter Staatsoper gibt auf ihrer Homepage kostenlose Streamings der wichtigsten Aufführungen. Mehr davon!
Was die Bekämpfung des Virus mit uns macht, haben nicht einmal der Kalte Krieg oder der islamistische Terror geschafft. Bleibt die logische Frage, ob jemand das gewollt haben könnte. - Nicht so viellleicht, aber zumindest als Szenario für biologische Kriegsführung, das durch einen Fehler nach hinten losgegangen ist (durch einen Irren, einen Fanatiker, einen saublöden Unfall?). Ich will hier keineswegs Verschwörungstheorien verbreiten, aber ich bin de gewohnt, Dinge (auch Fragen) zu Ende zu denken. Dass sich jetzt China und die USA gegenseitig der Verursachung beschuldigen, hilft nicht weiter. Zu offensichtlich ist auf beiden Seiten die Propaganda. Aber die Ursache wird wohl herauskommen, da bin ich ziemlich sicher.

Kultur-Staatsministerin Monika Grütters machte sich als erste Politikerin in Deutschland stark für den Schutz der Schwächsten im Kulturbetrieb, inzwischen folgen Markus Söder, Kirchen, Sozialkasser, Gewerkschaften wie ver.di, selbst diverse Ministerpräsidenten (Kretschmann) und sogar Wirtschaftsminister Altmaier. Nicht die Staatstheater und Staatsgalerien gehen kaputt, wenn sie ein paar Wochen oder Monate nichts verdienen, sondern zuerst die Existenzen von freien Autoren, Musikern, Schauspielern, Kabarettisten und anderen Kleinunternehmern bzw. Selbständigen, auch Handwerker - zusammen sind es Millionen.
Ein günstiger Kredit rettet diese Leute nicht, wenn reihenweise bezahlte Einkommensquellen bis hin zu Seminaren wegfallen, ohne dass die Institutionen wie VHS, Universität oder FHS etwa freien Dozenten, die sie von heute auf morgen feuern, bezahlte Online-Seminare zur Kompensation anbieten. Hier herrscht der wilde Westen, und niemand kriegt es mit. Das ist einer Kulturnation unwürdig, die sich "Land der Dichter und Denker" nennt und gerade mit viel Pomp den 250 Geburtstag Ludwig van Beethofens Hegels und Hölderlins feiert. Da muss sich einiges ändern. Und die Spitze des Schriftstellerverbandes (VS) macht da hauptsächlich ehrenamtlich einen Super-Job: Sie gibt Handreichungen zur Dokumentation und späteren Abrechnung von Honorarausfällen, ermittelt Ausfälle, verhandelt mit Politik und Sozialpartnern (etwa der VG Wort).

Der Autor Jando stellt diese Fragen ebenfalls, und ich unterstütze seine Initiative:
Innerhalb kürzester Zeit ist das öffentliche Leben in Deutschland im Ausnahmezustand angekommen und die offiziellen Vorgaben zwingen zum Rückzug in die eigenen vier Wände. Was aus Verantwortungsbewusstsein für die Gesellschaft richtig ist, kann für den Einzelnen zur Belastungsprobe werden, egal ob er oder sie per Verordnung in Quarantäne oder im Home-Office festsitzt, die Kinder betreut, zu einer Risikogruppe gehört oder einfach aus freien Stücken Zuhause bleibt.
„Das erste, das Flöten geht, ist der Gemeinsinn“, stellt Autor Jando fest. „Dabei ist gerade in schwierigen Zeiten der Zusammenhalt gefragt. Kultur ist eine wichtige Inspiration und Katalysator. Wenn beides praktisch kaum noch möglich ist, müssen wir eben neue Wege gehen, um miteinander in Verbindung zu bleiben, zu trösten, Mut zuzusprechen und Ideen auszutauschen.“ Deshalb hat der Autor eine Kultur-Challenge „Gemeinsam gegen Corona“ ins Leben gerufen. Via Social Media lädt er per Live-Stream zur virtuellen Lesung in sein Wohnzimmer ein und wird als besondere Überraschung Passagen aus seinem noch nicht veröffentlichten Buch vorlesen. Damit seine Idee eine große Öffentlichkeit erreicht, Mitmacher animiert und einen gesellschaftlichen Impuls auslöst, nominiert er vier weitere Kulturschaffende, seinem Beispiel zu folgen. „Ich hoffe auf einen positiven Impuls für alle, die zuhören und zuschauen. Und auf Support für die Kollegen aus der Kultur, Autoren und Dichter, Musiker und Sänger, Schauspieler und Tänzer, die unter den Schließungen besonders leiden.“
Kultur-Challenge – gemeinsam gegen Corona: virtuelle Lesung mit Jando am 18.+19.3 ab 19.00 Uhr auf https://www.facebook.com/jando.autor

Schloss Fest Spiele Ludwigsburg 2020

Künsterisch wertvoll: Das Programmbuch


Ein Fest der Künste, Demokratie und Nachhaltigkeit


Die Ludwigsburger Schlossfestspiele starten mit einem komplett neuen Team neu durch. Am Mittwoch gab es dazu eine gruselige Pressekonferenz, weil jeder im Raum wusste, dass jetzt jederzeit jede Veranstaltung abgesagt werden kann. Aber der neue Intendant Jochen Sandig macht gute Miene zum bösen Spiel und will erst mal sein erstes Jahr überstehen. Symptomatisch ist, dass das Festival jetzt "Internationale Festspiele Baden-Württemberg" heißt. Trotz Corona versucht Jochen Sandig, sie zu einem zu einem Fest für alle Künste, Demokratie und Nachhaltigkeit umzubauen. Seymptomatusch für diesen Neuanfang ist auch das tolle Programmbuch, ein wirkliches, tatsächliches Buch zum Aufheben.
Innovative und gattungsübergreifende Formate sollen Musik, Tanz, Literatur und Bildende Kunst miteinander verbinden. Typisch dafür sind Projekte, die zur Beteiligung der Zuschauer oder zum Diskurs einladen und neues Publikum neugierig machen. Auffallend im künstlerisch gestalteten Programm mit wunderbaren, poppigen Falschfarben-Fotos sind große Opern in kleiner Besetzung, herausragende Kammermusikabende, viele deutsche Erstaufführungen, mehr als nur eine Hommage an Beethoven, gefragte Stars und junge Talente, berühmte Ensembles und (gottlob!) das traditionelle Festspielorchester. Schönes Detail am Rande: Das Festival ist absolut paritätisch mit Männern und Frauen besetzt, auch das Team der MacherInnen.
Intendant Jochen Sandig (links) und sein Team

2020 finden die Schlossfestspiele vom 7. Mai bis 28. Juni in Ludwigsburg und Baden-Württemberg statt, so Corona das zulässt. Der Vorverkauf hat jedenfalls gestern schon mal begonnen.
Schloss Fest Spiele: Wie ein Dreiklang in der Musik die harmonische Gleichzeitigkeit von Tönen bedeutet, so sollen die drei Begriffe Schloss Fest Spiele als gleichberechtigtes Miteinander für dieses Festival stehen: Vom barocken Schloss und seiner Festkultur geht es aus, und im freien Spiel mit den Künsten setzt sich die Gesellschaft mit sich selbst auseinander. Jochen Sandig als Kopf des Ganzen hat da mächtig gewirbelt.
Intendant Jochen Sandig


Der Mann ist in der Regionalen, überregionalen und internationalen Kulturszene bestens vernetzt, mit Politikern übrigens auch (was nicht schaden kann!). Er bringt eine große Portion Neugier mit, ist offen und eloquent, sympathisch und überzeugend - das braucht man an dieser Stelle.

Künste, Demokratie und Nachhaltigkeit zusammen

Zum Beginn des neuen Jahrzehnts 2020 hat sich das Team der Ludwigsburger Schlossfestspiele aktiv für den Wandel entschieden: Motiviert durch die globale Agenda 2030 der Vereinten Nationen, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren gegründet wurden, hat man die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung als Orientierung auf dem Weg zu mehr Gerechtigkeit und Menschlichkeit übernommen. Jochen Sandig und seine Leute möchten den Wandel zur Nachhaltigkeit mit ihrem Programm mitgestalten und dafür Menschen in Bewegung setzen. Sie stellen während des Festivals und schon vorab im Programmbuch ihren Partnern, Künstlern und Wegbegleitern drei Fragen: Wo stehst Du? Was bewegt Dich? Wohin gehen Wir? Nicht, das jeder das schon wüsste. Aber man wird ja mal fragen dürfen.
Für die Schlossfestspiele gibt es aber auch schon Antworten: Ihr Zentrum ist Ludwigsburg, sie wollen ihre 88-jährige Tradition mit Utopien verbinden und gemeinsam mit Künstlern und Publikum eine zukunftsfähige Gesellschaft gestalten. Heißt: Reiserkosten minimieren, Vernetzung mit anderen lokalen Partnern in der Fläche maximieren. Und wenn Corona die physische Begegnung ausbremst, dann wird eben virtuell aufgerüstet - mit Live-Streams und Medianpartnern.
Der Bundestag hat im November 2019 für drei Jahre eine einmalige Förderung der Ludwigsburger Schlossfestspiele von 3 Mio. Euro beschlossen. Dieses Geld aus der Poilitik für Kultur dient der Verknüpfung der Themen Demokratie und Nachhaltigkeit mit konkreten künstlerischen Projekten. Die Hälfte des gplanten Umsatzes ist zwar schon erwirtschaftet, aber dieses Geld könnte auch, ganz platt gesagt, Überlebenshilfe sein.
Zu dieser politischen Perspektive passt die Schirmherrschaft: Bundespräsident a.D. Prof. Horst Köhler ist Ehrenbürger der Stadt Ludwigsburg und hat an der Entwicklung der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen mitgewirkt. Er und seine Frau Eva Luise Köhler übernehmen als Paar die Schirmherrschaft der Schlossfestspiele gemeinsam.

Programm

Das Programm der Ludwigsburger Schlossfestspiele konzentriert sich im Wesentlichen auf die Wochenenden von Mai und Juni (meist Donnerstag bis Sonntag). Es bietet mit "Veranstaltungspaketen" auch den Gästen von auswärts Planungshilfen für eine kompakte Kulturreise in die barocke Residenzstadt als Fest für alle Sinne. Man kann aus über 50 Veranstaltungen mit über 70 Vorstellungen wählen.
Die Liste der eingeladenen Künstler ist prominent und lang: Sasha Waltz, die Sopranistin Marlis Petersen, das Mandelring Quartett, der RIAS Kammerchor und René Jacobs, die Instrumentalisten Isabelle Faust, Sol Gabetta und Kristian Bezuidenhout, das Tanztheater Wuppertal (Pina Bauschs »Vollmond«), die Gaechinger Cantorey mit Hans-Christoph Rademann, der Dirigent Teodor Currentzis, der Bariton Dimitris Tiliakos, Blockflöten-Meisterin Dorothee Oberlinger mit dem Ensemble L’arte del mondo, Choreographin Lucinda Childs, der Pianist Jan Lisiecki und das Chamber Orchestra of Europe, die Gambistin Hille Perl mit Ensemble, die Dirigentin Alondra de la Parra, die Einstürzenden Neubauten, der Cellist Nicolas Altstaedt mit dem Pianisten Alexander Lonquich, der Tänzer und Choreograph Israel Galván, derr Bariton Christoph Prégardien und das Oberon Trio, die Dirigentin Anu Tali, die Sopranistin Catherine Foster, die Junge Deutsche Philharmonie, die Accademia del Piacere, Vokalsensembles wie Amarcord und Calmus Ensemble, die Urban Strings, das Ensemble Connaught Brass, der Virtuose Tamás Pálfalvi, der Tänzer Edivaldo Ernesto und die Perkussionistin Robyn Schulkowsky sowie das Festspielorchester. Voriges Jahr im September wusste noch niemand, ob es überleben würde.
Besondere Veranstaltungs- und teils auch Beteiligungsformate sind u.a. der Kulturumzug beim "Europa Wander Konzert", die Fassaden überwindende »Pixelsinfonie«, das weltweite Hausmusik-Projekt »Piano City«, das gemeinschaftliche Tanzen mit Circle Time Dabke in ganz Baden-Württemberg und das »Internationalen Straßenmusikfestival«. Für Familien eignet sich insbesondere das Konzert »The Silence of Sound«, und natürlich gibt es wieder beliebte Klassik Open Air mit Feuerwerk.
Entdeckungen und Raritäten gibt es reichlich, z.B. die Opera miniatura »La Bohème«. Filmkunst und Musik verbinden sich bei »Moving Picture 946-3« von Gerhard Richter und Corinna Belz, bei Luftaufnahmen der Erde des Umweltaktivisten J. Henry Fair sowie bei einem Saz Musik Fest.
Um gesellschaftspolitischen Austausch geht es bei der Tagung des World Human Forums sowie beim Projekt Welt BürgerInnen, einem neuen, künstlerisch-musikalischen Resonanzraum für aktuelle Fragestellungen. Zwei Kunstinstallationen, »The Bell Project« von Hiwa K und das Musikprojekt »Traces« der Stuttgarter Künstlerin Nevin Aladağ, flankieren die Festspiele zum Teil noch mehrere Monate länger. Wir werden immer wieder von dieser Festival hören bzw. lesen. So oder so. Versprochen.

Weitere Infos zum Programm gibt Pressefrau Christine Diller:
https://www.schlossfestspiele.de/de/index.htm
Ludwigsburger Schlossfestspiele gGmbH
Internationale Festspiele Baden-Württemberg
Palais Grävenitz
Marstallstraße 5
71634 Ludwigsburg
Telefon +49 (0)7141 9396 60
c.diller@schlossfestspiele.de