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Donnerstag, 23. Mai 2013

Geniale Jungs

Das Dierer Ilg Trio in Ludwigsburg

Das Dieter Ilg Trio in Ludwigsburg

"Ihr seid einfach genial!" rief eine Frau aus dem Dunkeln schon nach wenigen Stücken in den Saal, als gestern das Dieter Ilg Trio in der Ludwigsburger Karlskaserne das neue Album "Parsifal" konzertant  vorstellte. Die CD war schon rechtzeitig vor den medialen Feierlichkeiten zu Richard Wagners 200. Geburtstag auf dem Markt, das hier war ein echtes Konzert. Der Freiburger ECHO-Preisträger mit seinem Pianisten Rainer Böhm (Jazzpreisträger Baden-Württemberg 2010) und seinem neuen Drummer Patrice Héral erlaubte sich denn auch Freiheiten der Improvisation, die nur live möglich sind. Es scheint schon ein Markenzeichen dieser Schlossfestspiele unter der Intendanz von Thomas Wördehoff zu sein: Klassiker werden lustvoll gegen den Strich gebürstet und damit als musikalischer Steinbruck für andere musikalische Stile entdeckt. Zuerst war es Franz Schubert, dann Gustav Mahler, dann jeweils ein anderer - wer halt gerade Geburtstag hat, kann rangenommen werden. Das ist zwar nicht unbedingt ein systematischer Zugang, sondern eher der eines Flaneurs, aber das Element des kalendarischen Zufalls hat auch etwas durchaus Sympathisches.
Dabei sind die Musiker keineswegs Wagnerianer - genauso wenig wie Ilg voriges Jahr ein Verdi-Fan war, als er in Ludwigsburg "Othello" als sein erstes Opernprojekt vorstellte. Nein, er griff eine Anregung von Wördhoff auf, er wählte keine Bibliothek, sondern nach dem ersten Hören der Oper "Parsifal" und der Lektüre von Wagners Partitur den Klavierauszug als Basis für eine rein musikalische Inspiration. "Pures Bauchgefühl" sei das gewesen, sagte er nachher, er habe einfach markiert, welche Stellen ihm am besten gefielen. Dann ging´s zwei Tage lang ins Studio - und voilá. Auch die beiden anderen haben heute noch ein differenziertes Verhältnis zu Wagner. Ilg verzichtete darauf, seinen Part vorher zu erarbeiten, er wollte mit den Kollegen gemeinsam bei Null anfangen. Und dann kam eine Mixtur aus zarten, höchst melodiösen Angeregtheiten mit einem nicht weniger kreativen, aber betont rhythmischem Störfeuer dabei heraus.
Pianist Rainer Böhm in Aktion
Unglaublich schnell sei das gegangen, bestätigt Rainer Böhm, der als Geheimtipp unter Deutschlands Jazzpianisten gilt. Sehr lebendig ist das, was da aus Wagner und den Reaktionen der drei feinnervigen, technisch brillanten Musikern auf "Parsifal" entstanden ist. Es ist alles dabei, was Platz hat auf dem weiten Feld zwischen innigem Gefühl und wütendem Protest. Eine Wagner-Interpretation, die freier nicht sein kann und doch eine bemerkenswerte Auseinandersetzung mit dem kompositorischen Erbe des Bayreuther Dickschädels gelten darf.
Ich gebe zu: Beim ersten Anhören der CD war gar nichts. Kein Wiederkerkennen regte sich, ein Wagner-Kenner bin ich halt nicht. Aber dann hörte ich in Etappen den "Parsifal" und dazu jeweils abwechselnd die Stücke: "Zum Raum wird hier die Zeit", "Glocken", "Parsifal", "Amfortas", "Morgengebet", "Ich bin ein reiner Tor" usw. Und das ließen sich dann plötzlich die aufgenommenen Motive und Melodien erkennen und in ihrer Verwandlung verfolgen. Auf der Bühne ging das nicht so angestrengt zu. Der Saal konnte ganz intuitiv dem Spiel auf der Bühne folgen. Es entstand der Eindruck: Locker, verspielt und doch hoch konzentriert musizieren hier drei Männer, denen man auch Beethoven oder Rossini hätte geben können. "Dann spielt mal schön", möchte man ausrufen - und was tun die drei bei der Zugabe? Sie umtänzeln Beethovens "Ode an die Freude", dass es einem kalt den Rücken herunter läuft.
Vom zartesten Beckenstreichen mit großen Pinseln bis hin zur hämmernden Grobmotorik wirbelnder Schlagstöcke kam auch Patrice Héral oft im wahrsten Sinn des Wortes blind, fast ohne hinzuschauen. Atemberaubendes Schlagzeug jenseits des Gewohnten. Dieser Mann hat ein Rhythmusgefühl, das noch die x-te Brechung der Brechung in einer Synkope findet und technisch virtuos zelebriert.
Über Ilgs Soli kann ich kaum etwas formulieren, das sicher nicht schon oft geschrieben wurde. Zu viele kennen diesen eloquenten und doch uneitlen Bandleader, der mit dem Kontrabass spielt, als wär´s ein Cello. Nur dass kein Cello das Zwerchfell so zum Vibrieren bringt.
Ilg legt mit Héral den musikalischen Estrich für den filigranen Rainer Böhm. Aber dieser sensible, schmächtige Pianist kann auch enorm wuchtig auf die Tasten hauen, wenn Akzente gefragt sind. Sein Spiel ist immer ganz da, hoch konzentriert und enorm krativ. Wie sehr es in ihm arbeitet, seit bloß die introvertierte Mimik. Wunderbar! Das war ein außergewöhnlicher Abend.




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