Seiten

Montag, 6. Mai 2013

Totentanz: Israel Galvan mit "Lo Real" in Ludwigsburg

Israel Galván
Ein Sänger des Cante Hondo taucht erst später auf. Zuerst ist der Tänzer allein. Er tanzt eigentlich nicht. Er kämpft. Zum Beispiel mit einem zerstörten Klavier, dessen Saiten sich später zum KZ-Zaun wandeln, mit Erinnerungen, mit Albträumen. Israel Galván ist ein Tänzer, der den Flamenco nicht im herkömmlichen Sinn zeigt, sondern als Steinbruch, als Mittel zu einem neuen Zweck einsetzt. Seine Körpersprache ist minimalistisch und ausdrucksstark. Da leidet jemand. Er tanzt erzählend. Er berichtet nicht in chronologischer Folge, sondern in losen Szenen und starken Bildern von den Wurzeln des Flamenco im Leid. Im Schrei. In Qual und (meist vergeblicher) Sehnsucht.
Zu Beginn begleitet Galván, der Roma aus Triana, sich selbst mit diesem Klavier. Er nimmt Posen des klassischen Flamenco ein, macht dessen Schrittfolgen, führt aber nichts zu Ende. Bricht ab. Setzt wieder an. Wie auch der Gitarrist Juan Gómez "Chicuelo", später die Sänger Tomás de Perrate und David Lagos, der Saxophonist Juan M. Jiménez, die Geigerin Eloísa Cantón, Antonio Moreno am Schlagzeug. Ihre Geschichte ist die Geschichte der Roma und ihr Leidensweg - Jahrtausende lang, aber mit einem Höhepunkt in den Vernichtungslagern der Nazis. Leni Riefenstahls Film darüber wird eingeblendet. Szenen überlagern sich wie Zwiebelschalen, in denen Galván sich mit ungeheurer körperlicher und mentaler Disziplin zum Instrument dieses Cante Hondo macht: Hände, Arme, Füße, Beine, Rücken und Schädel. Der Mann tanzt im Sinn des Wortes "von Kopf bis Fuß", mit einer Intensität, die schon beim Zuschauen schmerzt.
Musik, Tanz und Tod sind einander nirgends näher als im Flamenco, und das zeigt dieser Abend überdeut-lich. Der "Nazi im Herzen" - das ist nicht nur der Song "Hitler in My Heart" der US-Band Antony and The Johnsons. Das ist auch das Spanien der Falange, das zum Teil heute noch lebt. Das sind die Guardias Civiles, die einen wie Federico García Lorca umgebracht und im Straßengraben verscharrt haben, damit ihn bloß niemand ehrenvoll begraben ind anständig betrauern kann, diesen schwulen Theaterschreiber. Von denen hat jeden ein bisschen Hitler im Herzen.
Aber damit sind wir Deutschen nicht aus dem Schneider. Auch die Ghaddafis und Assads der arabischen Welt nicht, die Juden, Sinti, Roma und Christen von Mossul bis Teheran, von Beirut bis Tanger diskriminieren, quälen, verfolgen, verjagen und umbringen. Was Israel Galván vortanzt, geht weiter. Arbeitet durch seine Bilder auch in den Köpfen weiter. Der "Tange de la muerte", der Todestango ist ein Fandango, ein Flamenco, dessen Bilder und zuckende Tanzbewegungen im KZ spielen. Mit verrenkten Gliedmaßen, pochendem Schädel, pumpenden Lungen, rasendem Herzen, schweißnass.
Nie habe ich die "Todesfuge" von Paul Celan auf Spanisch gehört, nie so eindringlich gehetzt, so erlitten, so auf der Flucht, so authentisch erlebt wie hier auf der Bühne im Forum am Schlosspark Ludwigsburg an diesem Samstag, dem 4. Mai 2013. Das war der erste große Höhepunkt der Ludwigsburger Schlossfestspiele in diesem Jahr. Den wird man sich merken, weil es gar nicht anders geht. Die Sänger, und zwei Tänzerinnen (Belén Maya und Isabel Bayón), die hierzulande niemand kennt, unterstützen, variieren mit eigenen Klangfarben und Bewegungsmustern kongenial diesen Flamenco.
Der Cante Hondo erhielt an diesem Tag eine neue Bedeutung: Ein Schrei aus tiefster Seele ist das, aber einer in Bewegung, ein Totentanz. Mal verjazzt, mal geschreddert, mal zum Heulen schön, aber nie war Flamenco authentischer, schrecklicher. Das war kein Flamenco, wie man ihn den Touristen in Andalusien vorsetzt. Das war ganz und gar neu und großartig. Denn es hat die ur-andalusische Ausdrucksform des Flamenco von der Folklore befreit und dem Leid der ganzen Welt geöffnet.






Keine Kommentare: