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Mittwoch, 24. April 2024

Zu schön, um wahr zu sein: ein erotischer Thriller von Sara Gran

Sara Gran: "Das Buch der kostbarsten Substanz". Roman, Suhrkamp, 361 S., 17 €, aus dem amerikanischen Englisch von Conny Lösch.

Das ist ein Buch für Autorinnen und Autoren, Buchhändler, Antiquare, Bücherfreunde, Sammler bibliophiler Kostbarkeiten und erotischer Druckwerke jenseits aller Schmuddelecken. Es hat mich schon auf der ersten Seite angefixt durch seine Atmosphäre. Lily, eine vom Glück verlassene Schriftstellerin, verdient das Geld für den Lebensunterhalt mehr schlecht als recht für sich, ihren komatösen Mann und dessen Pfleger mit einer Scheune voller Raritäten: "Meine Spezialität waren interessante Bücher, die möglichst viel einbrachten. Zum Beispiel besonders schöne Exemlare mit ausgefallener Bindung und ungewöhnlichen Illustrationen. Auch für obskure Themen, unbekannte Religionen oder fast vergessene histoische Begebenheiten hatte ich sehr viel übrig. Und ich liebte Bücher über Kunst. Oder Gegenkultur". 

Sie treibt sich viel auf regionalen Buchmärkten und Messen herum, um ihre Vorräte aufzufüllen. Bei einer solchen Gelegenheit kommt ein befreundeter Kollege auf sie zu und fragt nach einem exterem seltenen Werk, für das ihm jemand eine sehr hohe Provision angeboten hat: ein okkultes Handbuch über Sexualmagie aus dem Jahr 1620. Es hat fünf "Siegel", die unbegrenzte Macht und unerhörte sexuelle Wonnen versprechen, aber auch dunkle Kräfte freisetzen wenn man sie mit kostbaren menschlichen Substanzen bestreicht: Schweiß, Sperma, Vaginalhonig und weibliches Ejakulat sowie am Ende Blut eines Mordopfers. Die Suche nach dem Buch steht unter tödlichen Vorzeichen: Schon der Tippgeber wird ermordet, wenig später weitere. Andere Exemplare des handgeschriebenen Buches sind mit ihren Besitzern verbrannt, und angeblich ist nur noch eines von wenigen vollständig. 

Mit ihrem Freund begibt sich Lily auf eine abenteuerlichre Reise zu Buchbesitzern und Informanten um die halbe Welt. Nach bizarren Abenteuern und sexuellen Neuerfahrungen finden sie das "Buch der kostbarsten Substanz" tatsächlich und stellen fest, dass sich die Siegel weder kopieren noch fotografieren lassen. Vier Siegel kann Lily lösen, für das letzte wäre das Blut eines geliebten Menschen nötig. Doch schon die vier ersten machen etwas Unheimliches mit ihrer Seele. Sie kommt zu viel Geld, Ihr geliebter Mann wird gesund und der literarische Erfolg kehrt zurück. Aber nichts wird mehr so, wie er einmal war. Ein Sieg fühlt sich anders an.

Der Roman von Sara Gran ist eine grandios erfundene Recherche mit glaubhaften Elementen der Kriminal- und Erotikliteratur, voll von historischem Wissen über Okkultismus, bevölkert von Büchermenschen aller Art, reichen Sammlern ohne Gespür für Kunst und allerhand schrägen Figuren. Ein Buch über Liebe und Freundschaft, Sex und Magie - und über Gier. Ein Notizbuch aus der Erbmasse des ermordeten Tippgebers führt sie zu den ersten Informanten, und dann ergibt eins das andere, bis zu einem ziemlich blutigen Finale.