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Freitag, 5. März 2010

Ein Roman über Freundschaft

Martin von Arndt:
"Der Tod ist ein Postmann mit Hut"


Roman. Verlag Klöpfer & Meyer, Tübingen, 206 Seiten,17,90 €.


Der neue Roman des Stuttgarter Autors Martin von Arndt hat schon einen seltsamen Titel. Ist damit wirklich der Briefträger gemeint, der Julio jeden Monat einen leeren Einschreibebrief bringt? Julio fühlt sich zwar irgendwie bedroht, aber es passiert nichts. Dieser Handlungsstrang, wenn´s denn einer ist, löst sich nie auf: Der Absender der Briefe wird genauso wenig ermittelt wie deren Sinn und Zweck. Von Arndt spielt nur mit dem Genre des Kriminalromans. In Wirklichkeit geht es ihm um etwas ganz anderes. Zum Beispiel den Blues des Reisenden:


Innsbruck also. Es gibt Städte, die sind besser als ihr Ruf. Anderen rennt dieser vorneweg und sie sind vergebens bemüht, ihn japsend wieder einzuholen. Wieder andere haben gar keinen. Und schließlich gibt es auch Städte, die überhaupt keine sind.

Julio ist Musiker, ein frisch geschiedener Gitarrist, der seiner Frau, als die das noch war, nach Innsbruck gefolgt ist dann einfach dort hängen blieb. Der Autor ist übrigens selbst im vollwertigen Zweitberuf Musiker und reist viel herum, auch nach Innsbruck. Die Stadt und die Leute, sagt er, haben den richtigen Blues. Überhaupt ist viel Autobiographisches in dieses Buch eingeflossen, ohne dass es darum autobiographisch wäre. Ich finde nur, man hört diese Musik und diese Glaubwürdigkeit, wenn Martin von Arndt seine eigenen Texte liest.

Seit langem lebe ich davon, oder besser: damit, eigentlich lebe ich damit, Klassiker der Unterhaltungsmusik für chinesische Schnellimbisse zu bearbeiten. „Running up the Hill“, „Eleanor Rigby”, “In-a-gadda-da vida”. Meine CDs heißen “18 Kostbarkeiten“ und „Glück für die ganze Familie“. – Aber Chop-Suey-Classics“, so schwatzte mein Produzent Paintner in liebenswürdigem Legato, „wird der endgültige Durchbruch“.

Erfrischend bei diesem nachdenklichen Roman ist die Ironie, die manchmal in einen ziemlich schwarzen Humor übergeht. Das geht ja nicht anders, wenn einer den Blick für Melancholie hat und trotzdem komisch ist. Julio also will der Sache mit diesem seltsamen Briefen nachgehen und hofft vergeblich, dabei könnte er vielleicht seine Frau wieder gewinnen. Nein, die hat er wohl endgültig verloren. Aber er lernt einen pensionierten Kommissar kennen, der Tuba spielt und von allen nur „der Grantler“ genannt wird. Der kann ihm zwar auch nicht helfen, aber die beiden freunden sich an. Und von einem Freund lässt sich auch mal die Leviten lesen. Der Grantler zu Julio:

“Du bist einer von denen, die ihr ganzes Leben darauf warten, dass da draußen etwas passiert, ihrem Leben Sinn oder einen Schwung gibt, eine Wendung zum Guten, zum Bedeutenden, wozu auch immer, damit sie sich da drinnen“ – und bei dem Wort „drinnen“ hämmerte er sich unablässig mit der Faust gegen die Schläfe – „endlich, endlich etwas tut. Aber wenn dann was ins Rollen kommt, gerätst eh in Panik und möchtest am liebsten wieder so weiterhudeln wie bisher“.

Doch eines Tages kippt der Alte während der Proben um. Julio findet ihn auf der Toilette, hilft ihm auf die Beine und sieht: Er hat seine Frau verloren und einen Freund gefunden. Nun wird er auch diesen verlieren. Es geht in diesem Buch aber auch gar nicht ums Festhalten, sondern um Offenheit für Neues, auch Unerwartetes. Zum Beispiel die Erkenntnis, dass der Tirolerhut des Postmannes ein Beerdigungshut ist: So einen behalten manche immer auf dem Kopf, weil sie glauben, dass sie das vor dem Tod schützt.
Dieser Roman verarbeitet auch alpine Legenden, die für jeden Dadaisten eine Freude sein müssen. Zum Beispiel, dass ein Toter, der noch was zu erledigen hat, seinen Hut holen kommt. Und wenn der Hut dann schon einen neuen Besitzer hat, muss der gleich mitkommen. Der Grantler vererbt Julio seinen Hut, und ihr Lachen darüber ist ein Akt der Befreiung.

Nach der Beerdigung des Grantlers nimmt Julio als erstes dessen Mischlingshund zu sich. Unmerklich verändert sich etwas in Julios Leben. Er macht wieder Pläne, er öffnet die Augen neu und entdeckt kleine, aber verheißungsvolle Zeichen. Seine Angst vorm Leben ist weg – auf einmal, und einfach so. Ein trauriges Buch? Ein melancholisches Buch? Ja, aber auch ein wunderbares Buch über Freundschaft. Und über Verantwortung füreinander.