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Sonntag, 22. Juli 2018

Großartiges Abschlusskonzert der Schlossfestspiele

Happy Birthday: Pinchas Zukerman, Viviane Hagner, Pietari Inkinen
Das war eine gelungene Überraschung für den Solisten Pinchas Zukerman, der am 16. Juli seinen 70. Geburtstag hatte: Zum Abschlusskonzert der Ludwigsburger Schlossfestspiele kam seine ehemalige Schülerin Viviane Hagner auf die Bühne im ausverkauften Forum am Schlosspark. Und dann gab Intendant Thomas Wördemann eine Runde Champagner für das Geburtstagskind, den Überraschungsgast und den Dirigenten. Das Publikum kam nach dem Konzert bei der Abschiedsparty im Foyer auf seine Kosten. Aber der Reihe nach: Eigentlich sollte der Violinvirtuose Pinchas Zukerman mit der kanadischen Cellistin Amanda Forsyth das Doppelkonzert vor Violine und Violoncello a-Moll von Johannes Brahms spielen, doch dann stürzte die schöne Cellistin auf der Treppe und verletzte sich an der Hand.
Zukerman, der in Tel Aviv geborene Weltbürger, disponierte um und spielte das Violinkonzert Nr. 5 A-Dur von Wolfgang Amadeus Mozart, unterstützt vom Orchester der Ludwigsburger Schlossfestspiele unter der Leitung von Pietari Inkinen. Es war eine großartige und souveräne Vorstellung, aber irgend etwas fehlte. Es war die holde Weiblichkeit an seiner Seite auf der Bühne, wie sich herausstellte. Die brachte Intendant Wördehoff dann vor der Pause persönlich auf die Bühne: Viviane Hagner. Die Münchnerin, die schon mit 13 beim Israel Philharmonik Orchestra und den Berliner Philharmonikern in Tel Aviv debütierte, war eine Meisterschülerin bei Zukermann, der sichtlich gerührt auf ihr Ständchen reaguierte. Sie spielte "Introduction et Rondo Capriccio" von Camille Saint Saens dermaßen schön und temperamentvoll, dass es einfach perfekt war.
Nach der Pause folgte dann in großer Besetzung die Sinfonie Nr. 1 D-Dur ("Titan", weil der Beiname aus dem Titel der nordisch inspirierten ersten Fassung haften blieb) von Gustav Mahler (1860- 1911). Aber egal, ob "Tondichtung" oder Sinfonie, diese Musik sprengte die definierten Grenzen alles bisher musikalisch Dagewesenen, und sie ist noch heute maßgeblich für ein bestimmtes Verständnis von Orchestermusik. Sie greift in den ersten beiden Sätzen die ganze Vielfalt der Volksmusik in der Kaiserlich-königlichen Monarchie Österreich auf, in der Mahler als gebürtiger Böhme aufwuchs. Man hört die Jagdhörner, die Ländler, die Walzer, die slawischen Polkas, die Märsche und die Klezmer-Anklänge aus dem jüdischen Galizien deutlich heraus. Mahler holte das musikalische Dorfleben ins hauptstädtische Wien und verblüffte oder verärgerte sein Publikum damals wie heute: Die einen lieben ihn, die anderen können überhaupt nichts mit ihm anfangen - vor allem wenn´s laut wird mit dem großen Blech. Inkinen schlug den großen Bogen vom fast kammermusikalisch besetzten Mozart zu Mahler mit viel Gespür, das Orchester gab wieder einmal sein Bestes, und das ist wirklich nicht wenig.
Thomas Wördehoff mit Tarnkappe

Standing Ovations gab es am Ende für eine sehr beachtliche Festspielsaison, für große künstlerische Leistungen der Solisten und des Ensembles, aber auch für den scheidenden Intendanten Thomas Wördehoff. Der hat das Festival (ganz ähnlich wie Mahler seinerzeit den Wiener Musikverein) aus seinem gewohnten Trott wachgeküsst und ist dafür nicht immer nur geliebt worden.
An diesem Abend bricht er auf ins Ungewisse und geht mit Dank - nach Wien. Nicht zufällig war das Motto seiner letzten Saison in Ludwigsburg "Das Ungewisse". Es gibt liebe Gewohnheiten und Traditionen. Aber eine künstlerische Tradition ist auch die Offenheit für Neues, die Bereitschaft zum Risiko. Sie birgt die reale Möglichkeit des Scheiterns, aber ohne sie gibt es keinen Fortschritt, keine Entwicklung, kein Leben und keine künstlerischen Triumphe. Kunst als Borderline-Syndrom, als Grenzerfahrung. Darüber sollte man ruhig einmal nachdenken.
Das hat Wördehoff mit Balkan-Brass, mit modernem Tanz, mit Jazz, den experimentellen Song-Konversations gezeigt, mit Crossover-Projekten wie dem südafrikanischen Miagi-Jugendorchester und Gastspielen auf dem Land oder den vielen Kooperationen. Er hat das Festival offener, bunter, internationaler gemacht, und das ist wichtig - auch wenn´s manchmal ein bisschen viel Österreich war. Ich darf das als halber Österreicher sagen, der in Salzburg aufgewachsen ist und das Mozarteum besucht hat. Mozart wie Mahler waren übrigens Österreicher; nur ist das schon so lange her, dass es viele vergessen haben.

Samstag, 14. Juli 2018

Fulminantes Saison-Finale bei SWR Sinfonieorchester

Konzertmeisterin Mila Georgieva, Dirigent Omer Meir Wellber und das Radiosinfonieorchester Stuttgart
Freunde klassischer Musik erlebten am 17.und 18. Juli in der Stuttgarter Liederhalle ein grandioses Schlusskonzert der Spielzeit mit  dem Radio-Symphonieorchester Stuttgart des SWR unter der Leitung von Omer Meir Wellber, der erster Gastdirigent an der Semperoper Dresden ist. Auf dem Programm standen das Violinkonzert D-Dur von Peter Tschaikowski (Solist: Gil Shaham) und die romantische Sinfonie Nr. 4 Es-Dur von Anton Bruckner. Man muss schon zugeben: So viel Wohlklang war selten - eine Wohltat angesichts der täglichen Missklänge in aller Welt und vor der Haustür. Um es vorab zu sagen, das Publikum war dankbar dafür, anders als manche Kritiker, die immer meckern müssen, wenn etwas mal einfach nur schön ist und ein Dirigent seine Freiheiten auch nutzt. Der Kritiker stellt sich ja nicht ans Pult und probiert seine Besserwisserei bezüglich Tempi und Dynamik persönlich öffentlich aus. Könnte er auch wohl kaum.
Violinvirtuose Gil Shaham
Gil Shaham, in den UASA geboren und in Israel aufgewachsen, war in dieser Saison Artist in Residence beim SWR Symphonieorchester und spielte die großen Violinkonzerte von Brahms, Korngold und Mozart. Dieses Konzert für Violine und Orchester von Peter Tschaikowski ist eines der schönsten und zugleich anspruchsvollsten überhaupt. Und was Shaham daraus machte, mit technischer Brillanz, interpretatorischem Einfühlungsvermögen und ebenso viel Gefühl wie stilistischer Eleganz, war einmalig. Da vergisst man die Marotte des Künstlers mit seinen unpassenden clownesken Grimassen in den Pausen, wenn er auf seine Einsätze wartet. Wenn er spielt, ist er ganz konzentriert und präsent: unglaublich sicher auch in den schwierigsten Passagen, frei und voller Esprit improvisierend in den Kadenzen, werktreu und hellwach im Dialog mit dem Orchester. Dann ist dieser Mann ein völlig anderer, kein Clown, sondern ernst und heiter zugleich, ein Künstler auf höchstem Niveau, voller Hingabe an die Musik. Ich weiß nicht, wie oft ich dieses Konzert in verschiedenen Fassungen über Kopfhörer in der Straßenbahn auf dem Weg zu Arbeit oder auf Reisen gehört habe. Aber so durfte ich es noch niemals hören. Danke, Gil Shaham!
Dank gebührt aber auch der Ersten Konzertmeisterin Mila Georgieva, eben zurück aus dem Mutterschutz und schon wieder Garant für die Stabilität eines Orchesters, das lange nur mit Gastdirigenten auskommen musste und um seine Identität und Richtung zu ringen hatte. Sie spielte in der Zugabe eine zauberhafte galante Gavotte des Genfer Gelehrten und Komponisten Jean Leclerc (1657 - 1736) im Duett mit Shaham.
Bleibt noch die romantische Sinfonie Nr. 4 von Anton Bruckner, der hier noch nicht so todessüchtig und krawallmäßig drauf war wie gegen Ende seines Lebens. Natürlich gibt es auch hier das große Blech, die furiosen Crescendi, die schweren Choräle. Aber noch dominiert das Tänzerische, die Leichtigkeit der alpinen Volksmusik, die Liebe zum Leben im Ländler, im Ton der Alphörner, Zithern, Jagdhörner und Jodler, der Hüttenabende und Gasthausmusiken.
Ok, das war ein gemäßigter Bruckner; aber was ist falsch daran? Ich fand es großartig, auch in den Wechseln zwischen Dreiviertel- und Viervierteltakt, wie die meisten Zuhörer. Denn auch diese Töne und Akkorde, Stimmen und Traditionen sind Teil unseres musikalischen Welterbes, und kein geringer, auf den man herabblicken dürfte.
Omer Meir Wellber hatte diese ganze Vielfalt wunderbar im Griff. Doch er gängelte das Orchester nicht, er motivierte und verführte, trieb an, gab die Einsätze mit großer Präzision und viel Gefühl fürs Leise und Laute, das bei Bruckner so nah beieinander liegt.