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Sonntag, 28. Juli 2019

Schnee-Gedichte von Peter Schlack: bitterüß

"Ets schneits doch": 13 Gedichtpostkarten, erschienen in der Edition Peter Schlack in einr nummerierten Auflage von 150 Exemplaren, geschrieben, illustriert, gedruckt und hergestellt vom Autor höchstselbst:


Das ist angesichts der Hundstage die bestmögliche Antwort für Kulturfreunde. Nicht einmal das Lesen dauert lange: 13 kleine Texte, das ist wirklich auch bei 40 Grad im Schatten noch zu schaffen.
Wohliges Frösteln ist garaniert bei Texten wie dem, der gleich am Anfang kommt:

Fròg me net
woroms heit schneit
wenns morga
wieder schmilzt

Da haben wir Dialektdichtung, freilich vom Feinsten. Denn sie zeigt ihre sprachlichen Möglichkeiten durch Zwischentöne, die es nur im Dialekt gibt und die zudem deutlich machen: Der Peter Schlack ist als Poet, Drucker und Grafiker ein Meister seines Fachs bzw seiner Fächer. So viel Geduld muss schon sein. Denn bei so einem Multitalent muss der Scheinwerfer der Aufmerksamkeit halt mal ein bissel wandern und auch mal verweilen, damit sich das Entdeckte setzen kann. Und dann entpuppt er sich auch noch als Philosoph mit spitzbübischem Humor. Im Schwäbischen heißt das seit Thaddäus Troll "Hintersinn". Auch recht. Mir hat´s jedenfalls gefallen. Das Lese-Ergebnis ist bittersüß wie edle Zartbitterschokolade mit Chili. Gibt´s auch als Eis, hab ich mir sagen lassen. Nur ist die winzige Auflage längst weg. Jetzt muss man halt schauen, ob´s antiquarisch ´noch was gibt oder ob man den Autor bequatschen kann, noch eine Auflage zu machen...

Samstag, 27. Juli 2019

Geistige Brandstifter - nicht nur bei der Linken



Die geistigen Urheber und Brandstifter der Neuen Rechten sind nachweislich Leute wie Martin Lichtmesz, Karlheinz Weißmann, Götz Kubitschek, Caspar von Schrenck-Notzing, die "Aktion neue Rechte", die Leute vom "Thule-Seminar" oder Sympathisanten des Grabert-Verlags, die viele ehemalige APO-Radikale in ihren Reihen haben, Henning Eichberg, Volkmar Wölk, Alain de Benoist und seine "Nouvelle Droite", nicht zuletzt mal was Populäres: Thilo Sarrazin (langjähriges SPD U-Boot). Diese Leute haben vor allem das taktische Vorgehen von Pegida und AfD geprägt. Dazu gibt es ziemlich viele ziemlich üble Schriften wie "Abendland", "Identität", "Die Neue Front" oder "Hier & Jetzt". Woher ich das weiß?
 - Ich empfehle "Die autoritäre Revolte" von Volker Weiß, Spiegel-Bestseller und als Klett-Cotta-Taschenbuch preiswert für 9,95 € zu haben: die derzeit wohl beste Beschreibung des braunen Sumpfes und seiner unappetitlichen Fauna. Das ist leider kein Unsinn, sondern eine wichtige Waffe im Kampf gegen die politischen und kriminellen Folgen dieser Verirrung. Oft werden Ermittlungsbehörden nämlich aus purer Unwissenheit nicht tätig, obwohl es dringend geboten wäre. Fast alle diese Leute erfüllen permanent den Straftatbestand der Volksverhetzung.
Sie faseln von "Tradition" und meinen nur eine ganz bestimmte tiefbraune, von einem "Recht auf Widerstand", von "Umvolkung" oder "Bevölkerungsaustausch", von "Volksverrätern" statt von Vertretern der repräsentativen Demokratie. Zuerst halten sie nur Reden und schreiben Artikel. Sie leugnen einfach alles, was nicht in ihr verqueres Weltbild passt - vom Holocaust bis zum Klimawandel oder den Fluchtursachen in Afrika. Aber dann  horten sie Lebensmittel und Waffen, erkennen die Bundesrepublik Deutschland nicht als ihren Staat an, hinterziehen Steuern und widersetzen sich behördlichen (auch polizeilichen) Anordnungen. Wer kann den Anfängen wehren, wenn er sie nicht erkennt? Man muss also Ross und Reiter nennen, das weiß der Autor dieses Buches genau.
Volker Weiß beschreibt präzise die von Linken kopierte Taktik der subversiven Aktion zum Zweck der Grenzverschiebung. Sie sucht nach Aufmerksamkeit um jeden Preis, da sind kleine oder auch große Lügen nur ein "Vogelschiss". Es ist die Taktik der gezielten Grenzüberschreitung, des Austestens und des prompt folgenden Rückzuges bei entschiedenem Widerstand. Vom Untergang des Abendlandes ist da wieder die Rede, um auch in der gesellschaftlichen Mitte Panik zu erzeugen und bei Extremisten ein Verhalten zu provozieren, das am Ende auch nicht vor Mord und Totschlag zurückschreckt.
Der Autor entlarvt mit fundierten historischen Kenntnissen die beliebtesten Fakes und Mythen der Neuen Rechten, vom "Abendland" bis hin zur angeblichen Islamisierung der Gesellschaft. Er benennt den eigentlichen Feind der Neurechten, den diese übrigens mit islamisten und Leuten wie Putin und Erdogan gemeinsam haben: "Dekadenz" und "Liberalismus" im Gegensatz zu Freiheit und Rechtsstaatlichkeit, echter Toleranz und bunter kultureller Vielfalt, die über exotisches Essen oder multikulturelle Dekoration hinausgeht. Auch der Rassismus eines Brexiteers wie Boris Johnson oder des autoritären Populisten im Weißen Haus hat im Kern dieses Feindbild. Wer hier noch meint, Vertragstreue z.B. bei der NATO fände hier noch ein Gegenüber auf Augenhöhe, hat den Schuss nicht gehört und ist naiv bis zur groben Fahrlässigkeit.

Dienstag, 23. Juli 2019

Ein begnadeter Unruhestifter geht

Thomas Wördehoff

Intendant Thomas Wördehoff verabschiedet sich nach zehn Jahren Ludwigsburger Schlossfestspiele


Am 22. Juli 2019 nahm Thomas Wördehoff im Palais Grävenitz nach zehn Jahren seinen Abschied als Intendant der Ludwigsburger Schlossfestspiele. Nach dem Abschlusskonzert am 20. Juli im ausverkauften Forum am Schlosspark mit dem Pianisten Igor Levit, dem Trompeter Thomas Gansch, der Band Mnozil Brass und der Duo Nora Fischer & Marnix Dorrestein verabschiedete auch der Finne Pietari Inkinen als Leiter eines phänomenal gewachsenen Festspielorchesters.
Pietari Inkinen
Dabei würdigte Staatssekretärin Petra Olschowski Wördehoff und Inkinen, deren Begegnung fruchtbar und wichtig für die Festspiele gewesen sei, und dankte ihnen und dem Orchester für "wunderbare Abende und das Gefühl von Zusammenhalt und Gemeinschaft", die das Festival in den letzten zehn Jahren zu einem besonderen Ort gemacht hätten. Oberbürgermeister Werner Spec gratulierte dem Intendanten zu zehn Jahren Intendanz und hob insbesondere die neuen Impulse hervor, die Wördehoff in seiner Programmgestaltung gesetzt hatte. Mit Wördehoff geht ein begnadeter Unruhestifter, der mit seiner Experimentierfreude manchen konservativen Musikfreunden gehörig auf den Wecker gegangen ist. Es gab auch im Freundeskreis Kämpfe um die Vorherrschaft in einem Programm, das sich nach der Ära Gönnenwein öffnete für Song, Jazz, Balkan Brass, Weltmusik, jede Form von musikalischem, tänzerischen, dramaturgischen, auch literarischen Crossover-Projekten. Wördehoff krempelte das Image des reinen Klassik-Festivals um in ein Festival der Neugierde, der Überraschungen, auch der Kontroversen. Es mag eine kleine Genugtuung für Wördehoff gewesen sein, dass sein prominenter Widersacher OB Spec ihn im Amt nicht überlebt hat.
Doch für so etwas hat Wördehoff eigentlich gar keine Zeit und wohl auch keine Antenne. Intrigen gehen ihm gegen den Strich. Was er zum Abschied zu sagen hatte, war daher auch nicht bitter, und auch nicht bloß eine Bilanz seiner letzten Festspielzeit, sondern ein nachdenklicher Ausblick. Die schiere Statistik zeigt, wie versucht wurde, die Ludwigsburger Schlossfestspiele auszuhungern durch Austeritätspolitik: Sparen, Sparen, Sparen war die Devise von Stadt und Land, die seit 16 Jahren (!) den Etat des einst größten deutschen Musikfestival um nicht einen Cent erhöht haben. Kein Inflationsausgleich, nirgends: Wer wäre da als normaler Angestellter nicht längst auf den Barrikaden? Gottlob gibt es Sponsoren, gottlob fand Wördehoff, als ehemaliger Chefdramaturg der Ruhrfestspiele bestens vernetzt, immer wieder interessante und potente Kooperationspartner. Und trotzdem schrumpfte die Zahl der Konzerte von anfangs 70 auf 54 im Jahr 2019. Niemand fand nach Wolfgang Gönnenwein je den Mut, das Festival aus der strukturellen Unterfinanzierung zu holen. Das augenfälligste Beispiel dafür ist das Orchester: Jetzt hieß es aus dem Aufsichtsrat, das Festspielorchester solle es weiterhin geben, aber keiner kann sagen, wie. So wird es wohl 2020 weder ein Eröffnungskonzert noch ein Abschlusskonzert geben. Wie soll das gehen? Stand heute suchen Musiker neue Geldgeber, obwohl das nicht ihr Job ist.
Dabei hat das Festivalorchester sich aus einem zusammengewürfelten Haufen in 30 Jahren zu einem charakterlich und musikalisch reifen Klangkörper entwickelt, der hoch professionell arbeitet. Große Namen standen nie zur Verfügung, um die Massen zu locken. Der Pianist Igor Levit, Christina Pluhar und ihr Barockorchester, die Violinvortuosin Isabelle Faust wurden nicht zuletzt erst durch Ludwigsburg groß. Das Gleiche gilt für die Musikbanda Franui. Und doch, trotz des wetterbedingten Hochrisiko-"Klassik Open Air", lag in diesem Jahr die Auslastung bei stolzen 81 Prozent.
Die Zusammenarbeit mit regionalen, überregionalen und internationalen Partnern wurde durch Koproduktionen mit Institutionen wie etwa dem NT Gent, der Staatsoper Unter den Linden, dem Theaterhaus Stuttgart, dem Théatre des Champs-Elysées und der Toneelacademie Maastricht sowie durch zahlreiche Kooperationsveranstaltungen, beispielweise mit dem Deutschen Literaturarchiv Marbach, dem Deutschen Musikrat, der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie, dem Kunstmuseum Stuttgart und anderen Partnern weiter bestärkt. Und lägen regionalen Zugpferde der Literatur mit Publikumsmagneten wie Nora Gomringer oder Hanns-Josef Ortheil nicht noch im toten Blickwinkel des etwas Österreich-zentrischen Thomas Wördehoff, gäbe es für die Zukunft ja kaum noch Neues zu entwickeln. Ab 1. Oktober 2019 übernimmt Jochen Sandig die Leitung der Ludwigsburger Schlossfestspiele. Dann steht dort alles wieder Auf Anfang.

Sonntag, 21. Juli 2019

Musik für kluge Köpfe: Kent Nagano dirigiert Schönberg und Bruckner

Kent Nagano gibt Autogramme in Stuttgart
Am 19. Juli hat Kent Nagano das SWR Symphonieorchester in der Liederhalle Stuttgart geleitet. Auf dem Programm standen das Klavierkonzert op. 42 von Arnold Schönberg und die Sinfonie Nr. 6 A-Dur von Anton Bruckner ein ziemlicher Spagat. Schönbergs unterkühltes Klavierkonzert gehört zu jenen "Schattengewächsen" der Musik, die unbestritten Meisterwerke ihrer Art sind, aber niemals die Wertschätzung und Popularität erreichen wie vergleichbare. Es ist rhythmisch stark strukturiert und glänzt virtus durch die Solistin Mari Kodama, die mit dem Lächeln einer Sphinx spielte und nach 22 Minuten für den Applaus dankte. Doch Feuer war in dieser Darbietung kaum zu erkennen. Irgendwie hätte diese Musik auch in Jabbas Räuberhöhle in STAR WARS gepasst. Selbst wenn Nagano für die Pianistin, die seine Frau ist, das Orchester wieder zu Höchstleistungen anspornte: es geschah mit feiner Gestik und sehr gentlemen-like, nur eben unterkühlt wie die Musik selbst, bei der eine elegante Zwölfton-Oberstimme der rechten Hand eine bedeutende Rolle spielt. Nun, ich mag lieber Musik, bei der ich hören kann, wenn der Solist patzt. Bei Schönberg hörte es sich manchmal so an und war doch vermutlich Absicht - aber eine Absicht, die ich eben nicht durchschaue.
Bei Bruckners 6. Sinfonie nach der Pause hätte ich Fehler erkannt, doch es gab keine. Das Maestoso des ersten Satzes, das feierliche Adagio des zweiten, das langsame Scherzo des dritten und das bewegte Finale des vierten Satzes waren virtuos und technisch brilliant anzuhören. Der US-Amerikaner japanischer Herkunft (geboren 1951) ist ein Gentleman am Dirigentenpult, der mit feinen Handbewegungen und ausdrucksvoller, sanfter Mimik das Orchester leitet, ohne mehr als gelegentliche Gefühlsregungen erkennen zu lassen. Der gefühlsbetonende Bruckner kam hier recht papieren daher. Obgleich der Stardirigent als Leiter der Berliner Philharmoniker, der Bayerischen Staatsoper und der Hamburgischen Staatsober samt Staatsorchester (seit 2015) der deutschen Musikwelt seit Jahrzehnten aufs engste und sehr erfolgreich verbunden ist, interpretierte er diesmal Bruckner fast wie zuvor Schönberg. Ausgerechnet den emotionalen Tornado Bruckner. Vielleicht war die Zusammenstellung des Programms schuld an so viel Nüchternheit. Schön war´s trotzdem.











Freitag, 19. Juli 2019

Ökonomie ist eminent politisch

Götterdämmerung einer Wirtschaftsform

Andrew Sayer: Warum wir uns die Reichen nicht leisten können,

Verlag C.H. Beck München 2017, 477 S., 27,95 €


Wussten Sie, dass eine Spritztour mit einer Wally-Superyacht auf dem Mittelmeer an einem Nachmittag schon mal 10 000 Liter Sprit verbraucht und der Umwelt mehr schadet als ein durchschnittlicher Afrikaner in seinem ganzen Leben? Oder dass in der Bishops Avenue, der zweitteuersten Straße Londons, ein Drittel der Häuser leer steht? Diese Häuser gehören reichen Ausländern, die damit zu Hause Steuern sparen und zufrieden zuschauen, wie in London die Immobilienpreise durch die Decke gehen. Dito in Stuttgart, wo der ehemalige Volkswagen-Boss Ferdinand Piech die berühmte Calver Passage (eigentlich denkmalgeschützt) abreißen lässt, um an gleicher Stelle ein lukratives Spekulationsobjekt zu bauen. Dergleichen Beispiele gibt´s mehr, in fast jeder größeren deutschen Stadt.
Ursache für diese Immobilienspekulationen sind dysfunktionale Marktmechanismen, also systemische Fehlfunktionen, die es dem 1 Prozent der Superreichen erlauben, durch die Kontrolle von Eigentum und Kapital jenen Wohlstand abzuschöpfen, den andere produziert haben. Geradezu ein Lehrbuch für kreativen Raubtierkapitalismus in jeder Form ist die "City of London". Und diese Räuberhöhle hat der Autor als Professor für Sozialwissenschaften und Politische Ökonomie an der britischen Lancaster University unmittelbar vor Augen. Andrew Sayer beschäftigt sich unbestechlich und kenntnisreich mit dem Verhältnis zwischen Ökonomie und Moral sowie den Folgen der Ungleichheit für demokratische Gesellschaften. Die Enttäuschten wählen längst in Scharen rechtsradikal, weil Linke und Grüne es nicht hinkriegen, Liberale und sogar Christdemokraten es aber gar nicht erst hinkriegen wollen.
Der Trick ist trotz aller Vielgestaltigkeit immer einfach: "Dass es nicht nur auf harte Arbeit, sondern darauf ankommt, sich in den Besitz von Vermögenswerten zu bringen, die unverdientes Einkommen abwerfen". Gemeint sind "Dividenden", Mieten, Großrechner mit schlauen Algorythmen, die kein Mensch durchschaut etc. - alles, was er "Renten" nennt, man könnte auch Monopol zum Gelddrucken sagen. Sayer ist alles, nur kein Kommunist. Aber er würde diese Formen des "unverdienten Einkommens" gern abschaffen. Sie sind Ursache für elektronischen Betrug ebenso wie die elektronische Geldschöpfung durch Zentralbanken oder für massive, aber fehlgeleitete Subventionen (etwa  Unternehmen, die fossile Brennstoffe fördern und vermarkten, veraltete Technologien in der Autombilindustrie) und das Ausbremsen notwendiger oder sinnvoller Veränderungen bei der Energiewende. Immer wieder werden "Marktmechanismen" zum Naturgesetz erhoben, die alles Mögliche sind, nur sicher kein Naturgesetz.
Sayer zeigt, dass Ökonomie immer eminent politisch ist. Wenn z.B. Ökonomen nach ideologischer Gehirnwäsche durch die Globalisierungsdoktrin "Mehr Eigenverantwortung" fordern, meinen sie die Enteignung von Versicherungen und Sozialkassen etwa durch private Klinikbetreiber und die Ausbeutung der Versicherten durch Kürzungen der Leistungskataloge. Schreien sie "Subventionierung!", meinen sie vielleicht gar nur den Verlust ungerechtfertigter Steuervorteile durch politisch ausgehandelte Privilegien wie Steuersparmodelle für Konzerne und Multimillionäre, oder auch die ohnedies magere Kompensation von Pendlerekosten durch die "Pendlerpauschale" des Finanzamtes für kleine Angestellte und (Schein-)Selbständige, die keine Subvention ist. Und Invesitionen möchte Sayer wieder in die Produktion sinnvoller Dinge fließen sehen und nicht länger in den Kauf von Unternehmen, deren asoziale Zerschlagung und den profitablen Weiterverkauf der Filetstücke.
Sayers Buch ist wichtig, denn er nennt Ross und Reiter, erklärt das System verschleierter Verantwortlichkeiten und macht deutlich, warum die Schere zwischen Arm und Reich, Oben und Unten sich immer weiter öffnet. Und er räumt auf mit verbreiteten Vorurteilen, z.B. das die Reichen (oder das automome Fahren oder noch mehr Roboter) Arbeitsplätze schaffen würden oder Wohlstand von ganz oben grundsätzlich immer nach unten durchsickern würde. Pustekuchen! Sayers beschreibt, warum es lukrativer ist, Gesetze zu machen als "über dem Gesetz" stehen zu wollen. Die ganz legalen Wege der Korruption lassen dem Leser die Haare zu Berge stehen und erzeugen (berechtigte) Wut auf die großen Hütchenspieler, die sich selbst "Globale Player" nennen, und auf ihre verkommene Meute von Anwälten, Beratern und Lobbyisten.
Dieses Buch ist fast so wichtig wie neue Erkenntnisse zur Klimaerwärmung. Denn es entlarvt die echten Kriegstreiber der Welt, die Menschen- und Waffen- und Drogenhändler, die Trickser und Täuscher der "Panama Papers" und ihre Motive. Wer sich Sorgen über die zunehmende Zahl von Flüchtlingen und deren soziale Kosten macht, kann nach dieser Lektüre die Rechnung den richtigen Leuten präsentieren. Denjenigen, die daran beteiligt sind, ganze Meere leerzufischen und ganze Länder unbewohnbar zu machen oder als Acker für "Investoren" zu plündern. Diejenigen, die mit ihrer Mafia-Wirtschaft das Lügen zum Geschäftsmodell gemacht haben, müssen sich hier mit unangenehmen harten Tatsachen konfrontieren lassen, die gegen "Fake news" jeder Glaubensrichtung immun sind.

Sonntag, 14. Juli 2019

Freischütz mit Jonglage in Ludwigsburg

Foto: © Julien Benhamou
Nationaloper einmal anders: Carl Maria von Webers Oper "Der Freischütz" aus dem Jahr 1821 gab es am Freitag/Sonntag 12./14. Juli bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen in einer französischen Neuinszenierung von Clément Debailleul und Raphaël Navarro. Die deutsch-französische Koproduktion der Schlossfestspiele mit Insula orchestra, dem Chor accentus und der Compagnie 14:20 interpretiert den Stoff, der bei der Uraufführung 1821 den Nerv des deutschen Publikums und der gerade entstehenden deutschen Nationalbewegung traf, weniger mit Waldesmythos, Schauermärchen und Jägerromantik. Der französische Blick betont eher das Spielerische: Lichtspiele im Dunkeln, Jonglage-Einlagen sowie der Verzicht auf Martialisches und "Tümelndes" verstellen den düsteren Akzent über dem ganzen Werk nicht etwa, sondern verstärken ihn sogar.


Foto: © Julien Benhamou
Während Webers "Freischütz" auf den Bühnen des deutschsprachigen Raumes zum Standardrepertoire gehört, wagen sich ausländische Ensembles eher selten an die "deutsche Nationaloper". Dabei, das wurde bereits bei der Premiere der Koproduktion deutlich, eröffnet der Blick von außen einmal ganz andere Sichtweisen auf den altbekannten Stoff. Das junge französische Regieteam legt das Augenmerk seiner Inszenierung auf die dunkle Seite der Romantik, die in den handelnden Figuren der Oper zum Ausdruck kommt. Die beiden Regisseure geben den subtilen, ungreifbaren Ängsten und übernatürlichen Kräften hinter den Protagonisten in ihrer Interpretation Raum und legen die Rituale und Mythen der Jagdgemeinschaft offen. Im Zentrum ihrer Betrachtung steht weniger die ernsthafte oder ironische Auseinandersetzung mit der deutschen Identität, sondern die Frage, inwiefern individuelle Ängste unser Handeln bestimmen. 
Max, der neuer Oberförster des Fürsten werden möchte und mit einem Meisterschuss neben dem Amt auch die Hand der geliebten Förstertochter Agathe anstrebt, ist ein ideales Opfer finsterer Mächte: Er will eine Pechsträne loswerden und dem "Lampenfieber" vor der doppelte Prüfung entgehen, indem er sich von seinem Kollegen Kaspar einreden lässt, magische Freikugeln, die alles treffen, was man sich wünsche, seien die Lösung seiner Probleme. Doch natürlich bringt ihn die Unterstützung durch schwarze Magie erst Recht in Schwierigkeiten. Nur gut, dass er so ein lieber Junge ist...

Foto: © Julien Benhamou

Markenzeichen der beiden Regisseure, die neben der Arbeit an der künstlerischen Bewegung der "Magie Nouvelle" mit ihrer Compagnie 14:20 auch schon für den Cirque du Soleil tätig waren, ist der Einsatz spezieller Hologrammtechnik. Mit den Mitteln des Bühnenzaubers werden Akteure von ihren Körpern gelöst und Bewegungen in Zeitlupe sichtbar gemacht, ätherische Szenen kreiert und die Grenzen von Realität und Illusion aufgehoben. So entstehen innerhalb der Inszenierung immer wieder verblüffende Bilder, die geheimnisvolle und übernatürliche Elemente der Freischütz-Erzählung um eine magische Ebene erweitern. Mit dem Artisten und Jongleur Clément Dazin, der die mephistophile Rolle des schwarzen Jägers Samiel verkörpert, lassen die Regisseure in ihre Inszenierung auch Elemente der Zirkuskunst einfließen. Dass dabei niemals teutonisch-tierischer Ernst vorherrscht, sondern augenzwinkender Spaß an der Freud, beginnt schon beim Ahnherrn in Kunos Försterhaus, dessen- Porträt ganz gern einmal geisterhaft von der Wand fällt und sich überdies ungehörig bewegt. Dienerin Ännchen (zauberhaft mit ihrem belgisch-schweizerischen Akzent ("entzuckend") die Sopranistinnen Chiara Skerath, die übrigens immer von rechts her auftrat) ruft nach Hammer und Nagel, sowie Agathe, die Verlobte des Jägers Max (die Südafrikanerin Johanni van Oostrum: charaktervoll, ausdrucksstark, stimmstark und souverän in allen Lagen), die eher dunkle Vorzeichen am Werk sieht. Auch der finnische Tenor Tuomas Katajala als Max und der russische Bass Vladimir Baykov als sein durchtriebener Gegenspieler Kaspar waren großartig besetzt und sangen meisterhaft.


Die Musikalische Leitung der Produktion hat die französische Dirigentin Laurence Equilbey. Als Gründerin und künstlerische Leiterin des Chores accentus und des Insula orchestras hat sie sich in den letzten Jahren einen Ruf unter Experten für Chorsinfonik und A-cappella-Musik erworben. Das Zusammenwirken von historisch informiertem Orchester und dem schönen, ausdrucksstarken Chor mit einem Ensemble hochkarätiger junger Solisten rückt diesen "Freischütz" auch klanglich in ein besonderes Licht. Dem Ludwigsburger Festspielpublikum ist Equilbey bereits aus dem Jahr 2017 bekannt. Da hat sie eine gefeierte Inszenierung von Haydns "Schöpfung" mit "La Fura Dels Baus" dirigiert. Diesmal ließ sie jedoch einigen Gestaltungsspielraum zugunsten der Lichtspiele ungenutzt und agierte recht zurückhalten.

Die inzwischen mehrfach preisgekrönten Regisseure Clément Debailleul und Raphaël Navarro lernten sich als Jugendliche 1996 beim Festival Circa kennen. Im Jahr 2000 gründeten sie gemeinsam mit Valentine Losseau die Compagnie 14:20. Das experimentierfreudige Künstlerkollektiv verfasste das Manifest der "Magie Nouvelle" und begründete damit einen wichtigen Zweig der zeitgenössischen französischen Kunst- bzw. Theaterszene. Sie verbindet u.a. Einflüsse aus Tanz, Theater, Zirkus und Malerei miteinander und macht sich gern die Unausgewogenheit der menschlichen Sinne zu Nutze. Raphaël Navarro erhielt 2018 gemeinsam mit Valentine Losseau den Preis "Autor des Jahres" für die Zirkuskünste in ihrer Inszenierung von Goethes "Faust" an der Comédie Française.