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Montag, 11. Juni 2018

Türkischer Flamenco: Das Taksim Trio in Ludwigsburg

Das Taksim Trio (Foto: Osman Özel)
Gestern, zum vierten Mal, wenn ich richtig gezählt habe, bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen: In keine Schublade passt das Taksim Trio, aber in mein Herz. Hüsnü Selendirici an der Klarinette, Aytac Dogan an der Kanun und Ismail Tuncbilek an der elektrischen Baglama (der türkischen Zaz-Laute) gehören zu den besten Instrumentalisten der Türkei. 
Sie machen nicht einfach Balkan-Jazz oder Folklore, sondern im wahrhaftigsten und schönsten Sinn des Wortes WELTMUSIK. Ich hätte Euch gern auch ein Stimmungsbild aus der alten Reithalle der Karlskaserne mitgebracht, aber das hatten die Herren vom Bosporus leider verboten, und ihr Auftragsfotograf Osman Özel lieferte der Pressestelle nur dieses ziemlich steif-statische Gruppenbild. Seit einigen Jahren nehmen solche Behinderungen der freien Berichterstattung überhand. Und bedauerlicher Weise nehmen die meisten Veranstalter so etwas immer häufiger in Kauf. Dabei ist es Zensur - oft aus banalen Gründen, etwa damit ein Freund die Fotorechte allein hat. Aber es bleibt darum doch Zensur. Das sollten Veranstalter bedenken. Von diesem ärgerlichen Eingriff in die Pressefreiheit abgesehen, war der Abend wunderbar: ein musikalisches Bonbon für die Seele, ein Blick in die virtuosen Studios der Mischkultur rund ums Mittelmeer, dieses Meer aus Blut und Tränen mit seiner ganzen Geschichtslast. 
Die Klarinette kennt jeder, nicht aber die glasklaren und glockenreinen Trompetensoli, die Hüsnü Selendirici darauf zaubert. Dann wieder dunkel-melancholische Bass-Grundierungen für herzzerreißend schöne Balladen. Aytac Dogan an der Kanun, wie diese türkische Kreuzung aus Zither und Hackbrett heißt, sieht aus wie ein Preisringer und besteht nur noch aus Rhythmus und Inspiration, wenn er mit Händen so groß wie Klodeckel sein Instrument abwechselnd zum Schlagzeug macht und mit wieselflinken Fingern rasende Saitenläufe produziert. Von Fall zu Fall macht er auch eine Flamenco-Gitarre nach. Immer aber sitzt er leicht gebeugt und scheinbar mit geschlossenen Augen völlig versunken, aber hellwach vor seinem Instrument. Ismail Tuncbilek handhabt seine schlanke, elegante, elektrisch verstärkte Laute wie ein Jimi Hendrix aus Istanbul. Der Mann ist ein unglaublicher Solist und singt einen Cante Jondo, der aus tiefster Seele kommt und von dem ich doch als Kenner des spanischen Flamenco kein Wort verstehe. Es ist eben ein türkischer Flamenco. Und durch die MUSIK wird jeder Flamenco verständlich. Es ist eine internationale Sprache - manchmal mit Texten, manchmal auch nur mit "Ay!" und "Oy!"-Rufen, die von Schmerz und menschlichem Leid erzählen. Kein Kitsch, nirgends. 
Ich muss an all das Elend denken, das man von der türkischen Grenze aus in Syrien sehen kann. Tuncbilek ist ein Weltreisender in Sachen Musik, der sich und sein Instrument mit anderen Kulturen vertraut macht, sie assimiliert. Eine enge Beziehung, das hört man, verband ihn mit dem spanischen Gitarristen Paco de Lucía. Ach, solche Abende vergisst man nie! Es war keine fröhliche, keine übermütige Musik, wie sie das Taksim Trio früher auch schon gespielt hat. Sie war eher düster und traurig und doch wunderschön. Seit der Gründung der Gruppe im Jahr 2007 ist viel Wasser den Neckar hinunter und in die Gullys am Taksim-Platz geflossen. Die Musik dieses Abends war der Lage der türkischen Nation, Europas und der Welt angemessen. Es war der letzte Abend einer Präsidentenwahl. Da war die Stimmung nachdenklich und die Musik ein Band zwischen den Menschen.

Samstag, 9. Juni 2018

Mahlers 9. - "Sterben in Musik" mit Herbert Blomstedt in Stuttgart

Herbert Blomstedt (91) und das SWR Symphonieorchester nach 80 Minuten Gustav Mahler

Der schwedische Dirigent Herbert Blomstedt (91!) führte am 7./8. Juni in der Stuttgarter Liederhalle mit dem SWR Symphonieorchester die Symphonie Nr. 9 D-Dur von Gustav Mahler auf. Es war ein großer Musikabend, eine Art Abschied dieses wunderbaren Musikers, der sehr genau weiß, dass seine Zeit begrenzt ist. Mahlers letzte Symphonie ist denn auch ein "Sterben in Musik". Auch wer keine Ahnung von Noten hat, hört es, da ist alles drin: Alle Inspirationen des Komponisten durch alpine Volksmusik, klassische Musik, die Freunde und Feinde unter den Zeitgenossen kommen ebenfalls alle in Zitaten vor. Das klang teils derb, teils zart, manchmal burlesk, manchmal trotzig - und am Ende buchstäblich "ersterbend" in einem Adagio, wo der Dialog zwischen Celli und Geigen schließlich erst in einem Pianissmimo und dann in Schweigen endet. Eine gefühlte Minute lang herrschte am Ende Stille. Ehrfurcht, Ergriffenheit, Respekt vor der Leistung des Komponisten wie seiner Interpreten unter dieser Leitung. Dann tosender Applaus, Bravos, Standing Ovations, Blumen.