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Freitag, 17. Mai 2019

Ohnmacht gegen Christenverfolgung im Namen des Islam? Nein!


Die deutsche Regierung ist ohne Wenn und Aber verantwortlich für den Schutz der Bürger. Und das muss, meint der gemäßigte Imam Mohamed Tawhidi, der aus dem Iran stammt und in Australien lebt, Folgendes bedeuten: Alle identifizierten ausländischen Islamisten müssen das Land verlassen, einheimische werden wegen Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung vor Gericht gestellt. Kein islamistischer Geistlicher aus dem Ausland darf mehr ein Visum für die Einreise bekommen. Moscheebauten, die aus dem Ausland finanziert sind, werden verboten. Moscheen, die aus dem Ausland finanziert wurden, müssen ins Eigentum eines gemeinnützigen Vereins überführt werden. Die Muslimbruderschaft ist endlich als die Terror-Vereinigung zu verbieten, die sie ist. Dazu gehört, ihre Mitglieder in Deutschland vor Gericht zu stellen und ihre Vermögenswerte zu beschlagnahmen. Das sagt ein gemäßigter Muslim aus Australien, der aus dem Iran stammt; unsere fatale Form von politischer Korrektheit für selbstmörderisch hält. In einem CBS-Interview sagte er laut journalistenwatch.com:
„Wir haben die Möglichkeit etwas zu tun, die Frage ist, ob wir bereit dazu sind“. Westliche Regierungen würden aus politischer Korrektheit über die drohende Gefahr hinwegsehen: „Wenn die Christen und ihre Führer nicht aufwachen, werden wir gemäßigten Muslime, die vor den Extremisten geflohen sind, Euch bald nicht mehr helfen können“. Darüber sollten wir ernsthaft nachdenken. Es gab einmal das Wort von der "wehrhaften Demokratie", doch nur im Zusammenhang mit dem linken RAF-Terror. WIKIPEDIA zitiert zur Einordnung der  Plattform die ZEIT:
Nico Schmidt beschreibt Journalistenwatch in der Zeit als einflussreiche Plattform der Neuen Rechten, die sich am „rechtsäußeren Rand des Internets [...] im Dunstkreis der AfD, irgendwo zwischen Epoch Times, Unzensuriert.at und Politically Incorrect“ etabliert habe und teilweise aus den USA finanziert werde. Der Tenor der veröffentlichten Texte schwanke zwischen Islamkritik und „kuscheligem AfD-Rechtspopulismus“. Die Plattform sei erklärtermaßen proisraelisch, heißt es weiter dort. 
Pro Israel zu sein, ist ja ok. Die Verortung der Plattform sollte wachsam machen; kritiklose Lektüre empfehle ich daher nicht, doch sie zitert in diesem Fall nur ein Intervies bei CBS. CBS ist ein seriöser Sender, und "journalistenwatch" bringt trotz seiner Rechtslastigkeit Beiträge, die als gut recherchiert gelten. Ich möchte weder auf dem linken noch auf dem rechten Auge blind sein.
Was tun wir heute gegen den Terror von Rechts und den terroristischen Islamismus wahabitischer Prägung, der die Religion politisch instrumentalisiert und seinen Anhängern permanent Dinge erzählt, die weder im Koran stehen noch in den Auslegungsbüchern (den Hadithen)? Solche Auslegungen des Islams sind nicht demokratie-kompatibel, sondern eine Form faschistischer Gehirnwäsche mit religiösem Anstrich. Und dem gegenüber ist keine Toleranz akzeptabel. Indizien für extreme Auslegungen des Korans sind das Tragen des Kopftuchs als angeblich religiöse Vorschrift, das demonstrative Tragen orientalischer (Ver)Kleidung in Deutschland, vor allem Burka und Gesichtsverschleierung, die Weigerung, Menschen des anderen Geschlechts bei der Begrüßung wie üblich die Hand zu geben (womit übrigens auch der aktuelle Landesrabbiner in Baden-Württemberg bei seinem Amtsantritt aufgefallen ist), generell die Bildung von Parallelgesellschaften, in denen nach den Regeln der Scharia gelebt wird und nicht nach deutschen Gesetzen. Hier kann sich jeder selbst prüfen: Bin ich auf falsch verstandene Weise "tolerant"?
Dann habe ich vielleicht nicht verstanden, was Toleranz bedeutet, und habe keinen eigenen Glauben. Aggressive Muslime spüren sehr genau, wer in Glaubensfragen unsicher oder schwach ist. Und der wird gnadenlos missioniert oder unterworfen. Politiker mit einem atheistischen Hintergrund haben also schlechte Karten: Sie werden nicht ernst genommen - und erst recht nicht, wenn sie zu "lieb" sind. Ich habe z.B. selbst mehrfach erlebt, wie Jesidinnen und andere nicht mulimische Frauen in deutschen Flüchtlingsunterkünften von Arabern bedroht werden, weil sie kein Kopftuch tragen. Dagegen muss man entschieden einschreiten und die Täter im Wiederholungsfall abschieben. Beides geschieht aber bisher nicht oder höchst selten. 
Wir versuchen, mit teuer bezahlten Psychologen die Traumata dieser Menschen zu bekämpfen, tun aber nichts gegen die Retraumatisierung der Opfer islamistischer Gewalt bei uns in Deutschland. - Abgesehen von der Steuerverschwendung in solchen Fällen: So etwas hat mit "politischer Korrektheit" nichts zu tun; es ist einfach nur kontraproduktiv, dämlich und brandgefährlich. Wenn Politiker oder leitende Sozialarbeiter die räumliche Trennung von potenziellen Tätern und Opfern in Flüchtlingsunterkünften mit dem Argument verweigern, diese Leute sollten sich gefälligst aneinander gewöhnen und lernen, Toleranz zu üben und im Alltag miteinander klar zu kommen, verkennt in höchst leichtfertiger Weise, was das für ein Brandbeschleuniger ist. Rassismus und religiöser Fanatismus sind nun einmal Teil der nahöstlichen Gesellschaften, die nicht zufällig meistens in Bürgerkriege verwickelt sind. Wer nicht alle fünf Meter auf jedem Flur der Flüchtlingsunterkunft einen Muskelprotz mit schwarzem Karategürtel als Aufpasser postieren kann, dem sei dringend geraten, solchen Unsinn zu unterlassen.
Nein, ich habe kein Verständnis für die Unterdrückung und Beschneidung der Frauen im Namen einer heuchlerischen und verlogenenen Lebensweise, die sich als "Religion" tarnt. Nein, ich respektiere keine als "Religion" getarnte Unkultur, die es erlaubt, den Fremden, Andersgläubigen oder Ungläubigen zu belügen und zu betrügen. Eine Religion, die ein Recht auf Religionsfeiheit hat, respektiert die Grundrechte und die Gesetze des Landes, in dem sie praktiziert wird. Das sollte sich ganz besonders das Führungspersonal christlicher Organisationen wie Caritas oder Diakonie hinter die Ohren schreiben, es gilt aber auch für die Ausbildung von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern, die in der Flüchtlingshilfe bzw. der Integration von Flüchtlingen arbeiten. Wer da nicht glaubwürdig ist, wird einfach verarscht. Wer da zu liberal auftritt, wird nur als "Schwuler" oder "Weichei" ausgenutzt, und wer diesen Menschen zu offenherzig gekleidet gegenüber tritt oder sitzt, ist für die eben eine "Schlampe". Sorry, ich hab´s nicht erfunden, aber so ist das.

Donnerstag, 16. Mai 2019

Ausblick der Internationalen Bachakademie Stuttgart

Henning Bey, Katrin Zagrosek, Hans-Christoph Rademann (Foto: Bulgrin)

Alle Zeichen stehen auf Neu: So könnte das Fazit von Chefdramaturg Henning Bey, Intendantin Katrin Zagrosek und dem Akademieleiter Hans-Christoph Rademann bei der Pressekonferenz zur Saison 2019/2020 lauten. Die Internationale Bachakademie Stuttgart ist nie zufrieden und immer in Bewegung, aber gerade das sorgt für gute Stimmung in der alten klassizistischen Villa am Johann-Sebastian-Bach-Platz, die gerade eine Rundum-Sanierung hinter sich hat. Im Wesentlichen wird es  in der kommenden Saison zwei strukturelle Neuerungen geben (neben Torneeen, "Bildungsreisen" der Ensembles in Bachs sächische Heimat und einer Erweiterung der Bachwoche, die künftig im Frühsommer stattfindet): Das neue Konzertformat »Hin und weg!« bezieht die Zuhörer und die Stadt durch moderierte Konzerte an für die Bach-Akademie ungewöhnlichen Orten stärker mit ein. Und eine neue Abokonzertreihe startet in Ludwigsburg durch eine Kooperation mit dem Forum am Schlosspark.
In den Wagenhallen, der Domkirche St. Eberhard und im Kunstmuseum präsentieren die Ensembles der Internationalen Bachakademie unter Hans-Christoph Rademann ihr neues Konzertformat. Zur Aufführung einer Bach-Kantate spricht der Akademieleiter über seine persönlichen Eindrücke und Zugänge zur Musik. Raum und Präsentation sind jedes Mal anders und schaffen eine eigene Atmosphäre der Begegnung, die auch im Anschluss an die Aufführung zu Gesprächen führern soll. Schön, wie sich da die starre Frontal-Routine (Chor und Orchester auf der Bühne, das Publikum im Saal) auflöst zugunsten einer lebendigen Vielfalt. Und ganz nebenbei müssen sich Chor und Orchester an sehr unterschiedliche akustische Bedingungen gewöhnen.
Neben den fünf Konzerten im Stuttgarter Beethovensaal der Liederhalle wird es eine weitere mit fünf Konzerten im Forum am Schlosspark in Ludwigsburg geben. Gemeinsam ist beiden Reihen die Aufführung italienischer Weihnachtsmusik von Vivaldi, Corelli und Locatelli, von Mozarts c-Moll-Messe und der »Jupiter-Sinfonie« sowie Schönbergs »Friede auf Erden«, kombiniert mit der Sinfonie Nr. 9 von Beethoven. Da ist wieder eine gewisse Erweiterung des Repertoires zu erkennen, an der Rademann schon länger arbeitet. Doch in Ludwigsburg setzt jede Reihe im Forum auch eigene Akzente: Zu Saisonbeginn mit einer traditionellen Aufführung »BachBewegt!Tanz!«  von Mozarts Requiem und Auszügen aus der »Symphonie funèbre« von Joseph Martin Kraus. Ein weiteres Konzert ausschließlich für Ludwigsburg ist die h-Moll-Messe von Bach. Damit strahlt die Bachakademie weit in den Ballungsraum aus.
Doch Rademann wäre nicht Rademann, gäbe er sich mit inhaltlichen Plänen zufrieden. Als Ergänzung zum Nachbau der Silbermann-Truhenorgel soll der Orchesterklang noch einmal durch ein neues Instrument der Bach-Zeit verfeinert werden. Rademann will nur das Beste für seine Ensembles. Im Basso continuo des Barockorchesters fehlt noch ein Cembalo. Aber Rademann bat mit einer unnachahmlichen Mischung aus Chuzpe, ansteckender Musikbegeisterung und Geschäftssinn in dieser Sache öffentlich um Hilfe. Vor kurzem kam daraufhin eine große Spende dafür herein, und jetzt baut eine namhafte italienische Spezialwerkstatt ein Cembalo nach dem historischen Vorbild aus dem Museum. Vielleicht ist das schon nächstes Jahr zu hören.

Montag, 13. Mai 2019

Jubelnde Stimmen: Die Gaechinger Cantorey

Gaechinger Cantorey (Foto: Holger Schneider, Bachakademie Stuttgart)
Im letzten Abo-Konzert der Internationalen Bach-Akademie Stuttgart gab es in der Liederhalle eine Rariät zu hören. In der Liederhalle leitete Hans-Christoph Rademann am 11. und 12. Mai mit der Gaechinger Cantorey eine Aufführung aller sechs Motetten von Johann Sebastian Bach. Sie gehören zu den bekanntesten Kompositionen, sind aber nur selten im Konzert zu hören, und wenn, dann nur einzeln. Motetten sind liturgisch geprägt und kennen anders als die spätere, am Kunstlied orientierten Form der Kantate, im Prinzip keine Solisten. Für manche war das schon zu Bachs Zeiten altmodisch, Freunde der Chormusik lieben Motetten aber bis heute. Aufgeführt wurde nur der gesicherte Werkstamm. Doch Akademieleiter Hans-Christoph Rademann hat früher schon ähnliche Programme gemacht und die Zusammensetzung klug gewählt. Statt der überholten Reihenfolge nach BWV setzt er auf eine Dramaturgie der Kontraste. 
Anders war diesmal aber auch, dass Rademann hier sehr wohl in zwei größeren Werken (BWV 227 und BWV 225) Solisten einsetzte. Da alle Sängerinnen und Sänger solistische Qualitäten haben, kamen sie hier bei dialogischen doppelchörigen Sequenzen als zweiter Chor zum Einsatz. Um es gleich zu sagen: Es hätten auch andere aus dem Chor sein können. Doch Mirjam Striegel (Sopran I, BWV 227), Ranveig Laegreid (Sopran), Jennifer Gleinig (Alt), Christopher Renz (Tenor) und Tobias Ay (Bass) gaben dem Konzert mit ihren herrlichen Stimmen und der virtuosen Beherrschung der schwierigen Materie besonderen Glanz und persönliche Seele.
Ein flotter Einstieg war die Motette „Lobet den Herrn, alle Heiden“ BWV 230; das schöne, nur rund 7 Minuten kurze vierstimmige Werk ist für Forschung wie Sänger eine harte Nuss. Denn die Noten passen nicht so und gut zum Text wie sonst bei Johann Sebastian Bach. Daher zweifeln einige immer noch leise an Bachs Urheberschaft. Der musikalische Aufbau mit dem Choralsatz in der Mitte ist aber ganz Bach.
Bei der zweiten Motette Motette „Jesu, meine Freude“ BWV 227 steht der Choral am Anfang. Eigentlich ist das fünfstimmige Stück eine einzige Reihe von Variationen auf diesen Choral im Stil einer 21 Minuten langen Trauermusik. Auch die doppelchörige, rund 12 Minuten lange Motette „Fürchte dich nicht“ BWV 228 entstand wie viele Werke dieser Art aus Anlass einer Beerdigung.
Achtstimmig geht es nach der Pause weiter mit der Motette „Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf“ BWV 226 von ca. 9 Minuten Länge. Sie schrieb Bach zum Begräbnis von Johann Heinrich Ernesti im Jahr 1729. Das ist bekannt, weil Ernesti Professor der Unversität Leipzig und Rektor der Thomasschule war. Die klangschöne vierstimmige Motette „Komm, Jesu, komm“ BWV 229 (Dauer: 8 Minuten) schrieb Bach vermutlich zur Beerdigung der Witwe eines Kollegen. Auf inniges Gebet, folgt tänzerisch-fröhliche Vorfreude auf das Paradies.
Das Finale war der Höhepunkt: die Motette „Singet dem Herrn ein neues Lied“ BWV 225, eindeutig das Glanzstück der Bach-Motetten. Etwa 15 Minuten lang präsentierten die Gaechinger hier einen Dialog virtuoser Koloraturen und Melismen: tänzerischer Jubel menschlicher Stimmen in höchster Vollendung.
Als Verschnaufpause für die Sängerinnen und Sänger dienten zwei der schönsten Kantatensinfonien Bachs. Alles in allem ein toller Saisonausklang der Gaechinger Cantorey. Standing Ovtions, die absolut verdient waren. Glückliche Gesichter auch auf der Bühne.

Karl-Markus Gauß zum 65. Geburtstag

Karl-Markus Gauß wurde am 14. Mai 65 Jahre alt. Er ist ein Schriftsteller, den ich ganz besonders verehre, weil er so effizient und professionell wie bescheiden ist. Ich lernte den Salzburger Autor und Herausgeber der Zeitschrift Literatur und Kritik telefonisch kennen, nachdem mich 2009 sein Essayband "Die fröhlichen Untergeher von Roana" über ethnische Minderheiten in Europa begeistert hatte. Vor allem sein liebevoller, gut recherchierter Reisebericht über die Zimbern in den italienischen Bergdörfern Roana und Lusern bei Trient hatte es mir angetan. Diese Menschen stammen mitnichten von den germanischen Zimbern und Teutonen ab, die um 100 vor Christus Rom verwüsteten, sondern von einer deutschen Minderheit weit südlich der Sprachgrenze bei Salurn. Sie sprechen ein mittelhochdeutsches Bayerisch und haben ihren Namen davon, dass sie gute Zimmerleute und Waldbauern waren. Wie auch immer, sie wanderten vor gut 1000 Jahren während einer Hungersnot in Bayern in ein Gebiet aus, das ihnen der Erzbischof von Trient zur Verfügung stellte. Und weil sie während der Völkerwanderung als Wehrbauern plündernde Normannen fernhielten und der Flotte von Venedig Holz für deren Schiffe lieferten, mussten sie keine Steuern zahlen und blieben weitgehend autonom. Da ihre Dörfer so abgelegen sind, konnten sie ihre Sprache und ihre Sitten zu einem guten Teil bewahren. Aber was einmal 20 000 Menschen waren, ist heute bis auf einen Rest von vielleicht 300 Seelen geschrumpft. Ich wollte dieses vom Aussterben bedrohte Volk besuchen, um Tonaufnahmen zu machen und für das Kulturradio SWR2 einen großen Reisebericht zu produzieren. Denn Gauß hatte sehr eindrucksvoll einen alten Dichter der Zimbern beschrieben und einen alten Gastwirt, der mit seinen Freunden die alten Lieder sang und die alten Sagen und Märchen der Zimbern noch erzählen konnte. Das musste ja ins Radio, und ich wollte gemeinsam mit Karl-Markus Gauß hin. Doch er lehnte freundlich, aber bestimmt ab: Das Schreiben sei ihm schon Mühe genug, fürs Radio habe er weder Zeit noch Kraft übrig. Großzügig bot er mir jedoch an, seine Quellen und Informationen zu nutzen. Er gab mir sogar wichtige Adressen, die mir bei den Recherchen entscheidend weiter halfen. So kam die Radiosendung über die Zimbern tatsächlich zustande und erhielt ein großes Echo. 
Ich erzähle das, weil es typisch für die Art ist, wie Gauß wirkt. Auch als Herausgeber der Zeitschrift Literatur und Kritik ist er seit vielen Jahren ein Ermöglicher für andere. Schon 2005 hatte ich seine "Wirtshausgespräche in der Erweiterungszone"  über Begegnungen mit Menschen in Ost- und Mitteleuropa gelesen, die von ihren Erfahrungen als neue EU-Mitlieder erzählten. 2007 waren mir seine tagebuchartigen Journale unter dem Titel "Zu füh, zu spät" durch ihre enzyklopädische Bildung und ihre umfassende Neugier aufgefallen. Seine Vorliebe für Reiseberichte zu Minderheiten kannte ich also schon, als bei Zsolnay der Essayband "Zwanzig Lewa oder tot" über die Situation auf dem Balkan erschien. Jetzt also folgt eine Reise gänzlich anderer Art: "Abenteuerliche Reise durch mein Zimmer" (Zsolnay Verlag Wien, 220 Seiten, 22 Euro). In der Tat geht er da mit den kleinen Dingen seines Alltags genauso um wie mit den Menschen und Sachen, die er auf seinen Reisen durch die Welt antrifft.
Karl-Makus Gauß in seinem Zimmer

Abgesehen davon, dass dieses Buch eine faszinierende Einladung in den privaten Kosmos eines Schriftstellers ist, in dem ich wegen meiner Salzburger Jugendjahre viel Bekanntes wieder entdecke: Der Leser wird Zeuge, wie Dinge plötzlich Geschichten erzählen, weil der Autor ihnen nachgeht, sich damit auseinandersetzt, recherchiert. Da wird aus einem simplen Brieföffner eine ganze Welt. Auf dem schwarzen Griffplättchen des alten Brieföffners steht "Eternit-Schiefer - Patent Hatschek". Und aus dieser Winzigkeit entwickelt  Gauß die Welt des österreichischen Industriellen Ludwig Haschek, der im Jahr 1856 aus Mähren einwanderte, eine alte Fabrik in Vöcklabruck kaufte und mit einem Patent anfing, die ungeheuer erfolgreichen und später viel geschmähten asbesthaltigen Eternitplatten zu produzieren. Dieser weltweit beliebte, preiswerte Baustoff wird wegen seiner Langlebigkeit erst langsam zu Sondermüll, weil man herausgefunden hat, wie schädlich Asbest ist. Auch der Eternit-Erfinder starb vermutlich daran.
Klar: Wenn man so an eine Sache herangeht, braucht man ein ganzes Buch, um die Geschichten all der Alltagsdinge zu erzählen, die einen Menschen umgeben. Es ist eine Reise nach Innen, die jeder machen kann. Ich zum Beispiel wollte schon immer mal darüber schreiben, was es mit dem Bernstein auf zwei altmodischen Zierkorken auf sich hat, die ich geerbt habe, mit der kleinen roten Glasflasche aus Prag, in der meine Mutter immer den Rum aufbewahrte, den sie zum Backen brauchte, oder mit meiner zufällig entstandenen Sammlung antiker bis digitaler Schreibutensilien, die aber eine Geschichte der ganzen Kulturtechnik des Schreibens enthalten.
Gauß ist ein Meister dieser Art des Erzählens, ein Flaneur durch äußere wie innere Welten. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt und oftmals ausgezeichnet, u.a. mit dem Prix Charles Veillon, dem Vilenica-Preis, dem Georg-Dehio-Preis, dem Johann-Heinrich-Merck-Preis, dem Österreichischen Kunstpreis für Literatur und dem Jean Améry-Preis für europäische Essayistik. Möge noch viel von diesem Autor zu lesen sein!

Freitag, 10. Mai 2019

"Babi Jar": ein musikalisch-literarisches Ereignis in Ludwigsburg

Pietari Inkinen und das Festspielorchester


Ylioppilaskunnan Laulajat
Gestern beim Eröffnungskonzert der Ludwigsburger Schlossfestspiele: Die Sinfonie Nr. 13 b-Moll von Dmitri Schostakowitsch nach dem Gedicht "Babi Jar" von Jewgeni Jewtuschenko (1932 - 1917). Das große musiktheatralische Ereignis erinnert an die Ermordnung von 34 000 Juden in der "Weiberschlucht" bei Kiew durch die Deutsche Wehrmacht und ukrainische Hilfstruppen an nur zwei Tagen im September 1941. Chruschtschows Administration wollte wegen der Beteililigung der ukrainischen "Brüder" um jeden Preis verhindern, dass die Sache bekannt wurde. Deshalb riskierten der Komponist und die Musiker 1962 bei der Uraufführung nicht weniger als Jewtuschenko. Vor allem im Schlussteil war in Text und Musik viel russisch-patriotisches Pathos unüberhörbar und in den Texten unübersehbar ("Humor", "Im Laden", "Angst", "Karriere"). Doch das war auch eine historisch notwendige Konzession von Dichter und Komponist an den damaligen Zeitgeist. Ohne diese für uns häufig kitschig wirkenden Elogen an die "heldenhaften, tapferen und opferbereiten Männer und Frauen im Kampf gegen den Faschismus" wäre die Aufführung wohl nicht möglich gewesen.
Paul Celans Übersetzung von "Babi Jar" rezitierte Josephine Köhler. Seltsam genug, dass ausgerechnet dieses Werk nie in meiner Nähe aufgeführt wurde, seit ich denken kann. In der UdSSR hat es viel zur Popularität des Dichters und des Komponisten beigetragen. Ich kannte nur eine uralte, unvollständige Archivaufnahme des SDR. Der gefeierte Solist der großartigen Ludwigsburger Aufführung war der herausragende Bass René Pape (geboren 1964 in Dresden).
Jewgwni Jewtuschenko schildert in seiner Autobiographie "Der Wolfspass", wie er und seine Freunde und Millionen Russen gebannt an den Radios saßen und jeden Augenblick damit rechneten, dass die Übertragung abgebrochen würde.Was nicht geschah.
Dazu sang der großartige finnische Männerchor Ylioppilaskunnan Laulajat. Die Eröffnungsrede hielt der Pianist Igor Levit als eindrucksvolles Plädoyer für die Freiheit der Kunst und den Widerstand gegen rechte Hetze und den überall wieder aufflammenden Antisemitismus. Levit bedankte sich zum Schluss in bewegten und bewegenden Worten für die achtjährige Zusammenarbeit und Freundschaft mit Thomas Wördehoff. Der Interndant der Festspiele steht am Beginn seiner letzten Spielzeit in Ludwigsburg.

Donnerstag, 9. Mai 2019

Fasil Iskander: ein großartiger Erzähler

373 Seiten, die 1987 noch 36 D-Mark kosteten: 

Aus meinen Bücherregalen ziehe ich manchmal reuevoll Sachen, zu denen ich als Literaturkritiker nie gekommen bin und die mir dann ungeahnte Freuden bereiten. Jeder Bücherfreund kennt das Gefühl beim Durchblättern der Verlagsprospekte und beim Sammeln der Schätze, wenn die Augen und die Lust größer sind als das Zeitbudget oder die Überredungskünste bei Rezensionsangeboten. Dabei stimmt es wirklich, wie ich mich jetzt überzeugen konnte: Fasil Iskander (geboren 1929 in Suchum, Abchasische SSR, heute ein abtrünniger Teil des NATO-Möchtegernmitglieds Georgien, gestorben 2016 in Moskau) war einer der beliebtesten Schriftsteller der Sowjetunion und ist eine der ganz großer Erzähler der Weltliteratur. 1987, als der erste Band seiner Romantrilogie "Sandro von Tschegem" bei S. Fischer in deutscher Übersetzung erschien, war das traurige Normalität. In der UdSSR konnte diese wunderbare Prosa niemals vollständig erscheinen, sondern nur stark gekürzt. Denn der Autor hat nicht bloß einen satirischen Blick auf untergegangene Zeiten, Zustände und Realitäten, sondern auch eine große Liebe zu seiner Heimat zwischen Kaukasus und dem Schwarzen Meer, sowie den Schrullen, Sitten und Bräuchen ihrer Bewohner.
Verblüfft liest man da von einem Vielvölkerstaat im Vielvölkerstaat: In Abchasien leben bis heute Griechen, Türken, Abchasen, Russen, Armenier, Georgier, Endursker und Juden, nur sind letztere fast sämtlich dem "großen Schnauzbart" und Georgier Jossip Stalin und seinen Vernichtungsphantasien zu Opfer gefallen, die kaum kleiner waren als die des deutschen Adolf Hitler. Man liest davon, wie die jüdischen Händler in Zeiten der Kollektivierung um 1936 keine Läden mehr haben durften und deshalb als (sehr erfolgreiche) fliegende Händler mit diplomatischen Fähigkeiten und Sprachtalent Land und Leute erst kennen lernten und dann auch glücklich machten. Denn irgendwie schafften sie es, alles aufzutreiben, was die Planwirtschaft der Sowjets nicht hinbekam.
Man war Selbstversorger in diesen Ländern irgendwo rund um den Kaukasus, aber auf jeden Fall am Arsch der Welt. Man war tolerant in wichtigen und nachtragend in unwichtigen Dingen. Man war arm und liebte das Leben und die Blutrache in diesem schönen Land, das Iskander mit pastoraler Poesie so wunderbar beschreibt. Man hatte dort schon immer ein sehr spezielles Verhältnis zum Staat und zu seinen Behörden - vor allem in Zeiten der Zwangskollektivierung, als alle selbständigen Bauern Kolchosbauern werden sollten und nichts mehr funktionierte, weil sich ahnungslose Parteisekretäre in landwirtschaftliche und handwerkliche Entscheidungen einmischten.
Klar, so etwas hätte ich als Stalinist auch gestrichen: Nicht nur die humorvoll erzählten Eigenwilligkeiten der Bauern in der Kolchose, sondern auch noch der zum Brüllen komische Dialog, mit dem der gerissene, wortgewandte Held "Onkel Sando", seines Zeichens Tänzer im Volkstanzensemble der Abchasischen Volksrepublik, sich aus einem gefährlichen Dialog mit dem "großen Schnauzbart" herauszureden weiß. Dabei hat er sich diesen Schlamassel nur eingebrockt, weil er nach großartigem Vortanz bei einem Essen der Kreiskomissare der Region Westgeorgien, wo Stalin als Urlauber den Vorsitz führte, eine Spur zu witzig und zu besoffen und zu selbstbewusst auftrat. - Herrlich!
Für mich absolute Weltklasse ist der Abschnitt "Das Maultier des alten Chabug erzählt". Man stelle sich die Rosinante von Don Quijote im 20. Jahrhundert im Kaukasus vor. Das kluge Tier weiß nicht nur, warum Maultiere besser als Pferde und klüger als Hunde sind, es weiß auch um das lose Mundwerk seines Herrn Onkel Sando. So erfährt der Leser auch gleich von den erzählerischen Fähigkeiten des Fabelerfinders Iskander. In loser Folge fügt er Episoden aneinander, die von einer untergegangenen Zeit erzählen und doch von (guten wie schlechten) menschlichen Gewohnheiten, die uns bekannt und zugleich vollkommen fremd sind. Mir hilft dieses Buch auch auf freudig-erschreckende Weise, besser zu verstehen, warum die Abchasen heute die russische Armee im Land haben - aus Angst vor der Übermacht eines Georgien, zu dem sie formal noch gehören und das am liebsten der NATO betreten würde. Solche "Lösungen" sind den Abchasen allemal lieber als Grüne Männchen wie auf der Krim. Da werden dann die alten Geschichten plötzlich ganz aktuell.