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Sonntag, 27. Mai 2012

Von meinem Bücherbord: Lyrik in Kürze

"Flügel und andere Füße" von Ych Anderson (95 S., 17,90 € Dossenverlag, Dossenheim): Hoch gebildet schwankt dieser Autor zwischen poriapischem Unernst und medizinisch gebrochenem Pathos. Manche Texte wirken wie eine Maus, die der alte Kater Herrchen/Frauchen oder den Göttern der griechischen Antike zu Füßen legt. Musen sind´s auch gelegentlich: "Ob man / sich irgend was / ich weiß nicht / was / vielleicht noch auf- / heben? kann für / seinen Tod .../ vielleicht ein Bild / ein Buch ein / Händchen das / man halten könnte? / Wir woll´n doch / alle nicht nur / an den Wurzeln nagen!" Mag auch manches Wortspiel zum Kalauer verkommen, Spaß macht´s allemal.

"eine hand voll du" von Wolfgang Haenle (140 S., 11,50 €, schweikert Verlag Bonn): Das lyrische Debüt des in Altötting geborenen Stuttgarters zeigt einen Autor, der gern mit Metaphern spielt. Der Unteritel "Liebesgedichte" versammelt das Bändchen Texte über Beziehungen, aber auch über die Bretagne, wo ihm südliches Flair und Licht Inspirationsquellen waren. Humor und Sinnlichkeit auch hier, etwa unter dem Titel "umkleide": "beinahe wäre es gut gegangen / da macht dein kleid faxen / ein spagat zur decke gestreckt / die luft wird eng. zu spät / du stehst im freien / er klopft nicht mal / über den kopf gestreift dein panorama / füllt ihm die augen und die hose". Manchmal gerät ein Bild schief (wie geht das: ein Spagat zur Decke gestreckt?), manchmal gerät ein kritischer politischer Anspruch im Pathos zu dick und dann unfreillig komisch wie in dem Text "prellbock", der sich gegen Stuttgart 21 richtet. Da heißt es am Ende nur "sag mir: wir kommen wir um gotteswillen / mit dem bummelzug nach oberkochen".

"Offene Unruh - 100 Liebesgedichte" von Michael Lentz (167 S., 16,95, S. Fischer Verlag, Frankfurt a,M.): Das ist ein Profi - trotz der sinnlosen Kleinschreibungsmode. Seine Liebesgedichte sind wirklich welche und richten sich sogar an eine gewisse Sophia. Sprachlich virtuos, aber nicht geschwätzig, umkreist der Dürener Lautpoet, Drehbuchautor und Musiker den wahrscheinlich ältesten Gemütszustand der Welt. "du bist / eine falle / und ich falle / in dich". Musthave - trotz der krankhaften Marotte unmotivierter Kleinschreibung!

"Zweiklang", "Wörterspuren  heißen die schmalen, an Zeitschriften erinnernden Lyrikbändchen, die Hubert Tassati aus Linz im Selbstververlag "wortstämme" für jeweils 5, 10, 9,50 oder 15 € anbietet: Da leider jemand mit vieleseitiger künstlerischer Begabung Begabung an Logorrhoe: "ich kann das ende / nie kommen sehen / der anfang war / immer ein zu / früher / meine seele schrie / immer ach hunger / die endültige liebe / war nie dabei / weil es keine / endgültigkeit gibt" schrieb er am 04.08.2010. Ein typischer Text: fängt mit einem guten Aphorismus an und stürzt ab über eine unmögliche Metapher (man kann vor Hunger schreien, aber nicht nach Hunger!). Lyrik darf fast alles, aber nicht gegen Naturgesetze und Logik verstoßen oder disziplinos sein.

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