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Dienstag, 29. Mai 2012

Jubel im Festspielhaus Baden-Baden: Donizettis "Liebestrank" als Hollywood-Westernkomödie

Ankunft Ildebrando D´Arcangelo als Quacksalber Dulcamara
Gaetano Donizetti holte in seiner komischen Oper "Der Liebestrank" den Mythos der ewigen Liebe von Tristan und Isolde auf die Bühne, und Regisseur Rolando Villazón geht bei seiner zweiten Inszenierung nach Massenets "Werther" in Lyon konsequent noch einen Schritt weiter. Bei den Pfingstfestspielen Baden-Baden stellt er die romantische Story in die Rahmenhandlung einer Westernproduktion. Traumfabrik das eine wie das andere, aber auch eine Geschichte über die berauschende Wirkung von Placebos und Selbstbewusstsein, die Verführbarkeit der Menschen durch Uniformen, Blendwerk oder ganz einfach gute Laune.
Die Geschichte selbst ist im Kern so simpel wie universal: Ein reisender Quacksalber und Soldaten kommen ins Dorf, wo der einfache Bauer Nemorino (deutsch: ein kleiner Niemand) die schöne und reiche Adina vergeblich liebt. Sie bandelt auch gleich mit dem Sergeanten an, und der eifersüchtige Nemorino versucht sein Glück beim Quacksalber. Dessen "Liebestrank" mag ein Fläschen Bordeux sein oder im Western Whiskey - es ist in jedem Fall ein Placebo. Im Rausch des Feuerwassers wächst der schüchterne Nemorino über sich hinaus, zeigt Selbstbewusstsein und gewinnt am Ende Adina durch "innere Werte" für sich. Oder fast, denn hinzu kommt freilich eine Erbschaft, die schon zu biblischen Zeiten der Liebe recht nützlich war.

Miah Persson als kokette Adina
Die Premiere dieser beliebten Oper im Festspielhaus Baden-Baden am Pfingstmontag war ein Fest - nicht nur für die Sinne, sondern auch für die Gattung Musiktheater. Da stimmte einfach alles. Balthasar-Neumann-Chor und Ensemble unter der sensiblen Leitung von Pablo Heras-Casado hätten sicher auch den Komponisten begeistert, wie sie die romantische Absicht der Musik gegen die Fallstricke des Librettos durchsetzten. Diese Oper wirkt wie für den Tenor und Regisseur Rolando Villazón geschrieben, der schon als Sänger gern den romantischen Clown mit melancholischen Anflügen gab. Hier erwies sich der "Liebestrank" als ideale, weil um Regieeinfälle erweiterte Villazón-Spielwiese.
Gespielt wie im Rausch

Roman Trekel als Sergeant Belcore










Die Wildwest-Rahmenhandlung funktionierte, Slapstik-Einlagen wie eine saftige Wirtshauskeilerei oder eine frühzeitige Sprengung im Bergwerk, als sich der deprimierte Nemorino geistesabwesend auf den Auslöser der Sprengladung setzt, verdanken sich einer ungewöhnlich ideenreichen und spielfreudigen Persönlichkeit. Selbst die unvermeidliche Torte, die Adina Nemorino zugedacht hat, bekommt ein anderer ins Gesicht, weil Nemorino sich "zufällig" gerade bückt. Dazu gehören auch Statisten, die absolut nichts zu tun haben, wie ein ewig herumstehender Indianer oder ein schattenboxender Chinese. Beide zeigten stumm, aber mit skurriler Situationskomik, oft nur das Groteske einer Situation auf.
Im Rausch des Feuerwassersläuft Villazón als Nemorino zu ganz großer Form auf, Placebo hin oder her. Fanden sich vor der Pause noch vereinzelt Kommentare im Publikum wie "Er ist ein großer Tenor, hat aber den Höhepunkt seiner Laufbahn hinter sich", so gab es am Schluss nichts dergleichen mehr zu hören. Die berühmten Arie "Una furtiva lacrima" (eine verstohlene Träne) zeigte Villazón auf dem Gipfel seiner Rolle als trauriger Clown: ernst, tiefgründig, gefühlvoll. Kein Gebrüll, kein Gequetsche, sondern eine schöne, runde, weiche und doch kraftvolle Tenorstimme mit einem langen Atem und großem Volumen auch im Tutti. Ich glaube, genau so wollte das Donizetti.

Happy End ohne falsche Untertöne
Miah Persson als Adina bzw. Filmdiva sang eine große Rolle technisch perfekt und mit großer Hingabe ans Spiel. Ildebrando D´Arcangelo als Quacksalber, Filmregisseur und agiler Schauspieler Dulcamara war ein großartiger, temperamentvoller Bassbariton und überzeugte in jeder Hinsicht. Seine reizende Assistentin Gianetta (Regula Mühlemann) hatte leider nicht viel zu singen, aber was da von ihr kam, war wunderbar. Einzig der Macho Belcore, der als Sergeant einen Filmstar geben sollte, wirkte manchmal aufgesetzt und auch stimmlich nicht in guter Verfassung. Das Bühnenbild von Johannes Leiacker tat das Seinige zum Gelingen der Rahmenhandlung, ebenso wie die Kostüme von Thibault Vencraenenbroeck.Im Übrigen standen Regie, Bühne und Kostüme ganz im Dienst der Musik.
Der Abend endete mit 20 Minuten Applaus, Bravorufen, Blumen und stehenden Ovationen des Publikums: Glücksgefühle auf beiden Seiten des Orchestergrabens. Was will man mehr?

(Fotos: Copyright Andrea Kremper, Festspielhaus Baden-Baden)




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