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Freitag, 19. Juli 2019

Ökonomie ist eminent politisch

Götterdämmerung einer Wirtschaftsform

Andrew Sayer: Warum wir uns die Reichen nicht leisten können,

Verlag C.H. Beck München 2017, 477 S., 27,95 €


Wussten Sie, dass eine Spritztour mit einer Wally-Superyacht auf dem Mittelmeer an einem Nachmittag schon mal 10 000 Liter Sprit verbraucht und der Umwelt mehr schadet als ein durchschnittlicher Afrikaner in seinem ganzen Leben? Oder dass in der Bishops Avenue, der zweitteuersten Straße Londons, ein Drittel der Häuser leer steht? Diese Häuser gehören reichen Ausländern, die damit zu Hause Steuern sparen und zufrieden zuschauen, wie in London die Immobilienpreise durch die Decke gehen. Dito in Stuttgart, wo der ehemalige Volkswagen-Boss Ferdinand Piech die berühmte Calver Passage (eigentlich denkmalgeschützt) abreißen lässt, um an gleicher Stelle ein lukratives Spekulationsobjekt zu bauen. Dergleichen Beispiele gibt´s mehr, in fast jeder größeren deutschen Stadt.
Ursache für diese Immobilienspekulationen sind dysfunktionale Marktmechanismen, also systemische Fehlfunktionen, die es dem 1 Prozent der Superreichen erlauben, durch die Kontrolle von Eigentum und Kapital jenen Wohlstand abzuschöpfen, den andere produziert haben. Geradezu ein Lehrbuch für kreativen Raubtierkapitalismus in jeder Form ist die "City of London". Und diese Räuberhöhle hat der Autor als Professor für Sozialwissenschaften und Politische Ökonomie an der britischen Lancaster University unmittelbar vor Augen. Andrew Sayer beschäftigt sich unbestechlich und kenntnisreich mit dem Verhältnis zwischen Ökonomie und Moral sowie den Folgen der Ungleichheit für demokratische Gesellschaften. Die Enttäuschten wählen längst in Scharen rechtsradikal, weil Linke und Grüne es nicht hinkriegen, Liberale und sogar Christdemokraten es aber gar nicht erst hinkriegen wollen.
Der Trick ist trotz aller Vielgestaltigkeit immer einfach: "Dass es nicht nur auf harte Arbeit, sondern darauf ankommt, sich in den Besitz von Vermögenswerten zu bringen, die unverdientes Einkommen abwerfen". Gemeint sind "Dividenden", Mieten, Großrechner mit schlauen Algorythmen, die kein Mensch durchschaut etc. - alles, was er "Renten" nennt, man könnte auch Monopol zum Gelddrucken sagen. Sayer ist alles, nur kein Kommunist. Aber er würde diese Formen des "unverdienten Einkommens" gern abschaffen. Sie sind Ursache für elektronischen Betrug ebenso wie die elektronische Geldschöpfung durch Zentralbanken oder für massive, aber fehlgeleitete Subventionen (etwa  Unternehmen, die fossile Brennstoffe fördern und vermarkten, veraltete Technologien in der Autombilindustrie) und das Ausbremsen notwendiger oder sinnvoller Veränderungen bei der Energiewende. Immer wieder werden "Marktmechanismen" zum Naturgesetz erhoben, die alles Mögliche sind, nur sicher kein Naturgesetz.
Sayer zeigt, dass Ökonomie immer eminent politisch ist. Wenn z.B. Ökonomen nach ideologischer Gehirnwäsche durch die Globalisierungsdoktrin "Mehr Eigenverantwortung" fordern, meinen sie die Enteignung von Versicherungen und Sozialkassen etwa durch private Klinikbetreiber und die Ausbeutung der Versicherten durch Kürzungen der Leistungskataloge. Schreien sie "Subventionierung!", meinen sie vielleicht gar nur den Verlust ungerechtfertigter Steuervorteile durch politisch ausgehandelte Privilegien wie Steuersparmodelle für Konzerne und Multimillionäre, oder auch die ohnedies magere Kompensation von Pendlerekosten durch die "Pendlerpauschale" des Finanzamtes für kleine Angestellte und (Schein-)Selbständige, die keine Subvention ist. Und Invesitionen möchte Sayer wieder in die Produktion sinnvoller Dinge fließen sehen und nicht länger in den Kauf von Unternehmen, deren asoziale Zerschlagung und den profitablen Weiterverkauf der Filetstücke.
Sayers Buch ist wichtig, denn er nennt Ross und Reiter, erklärt das System verschleierter Verantwortlichkeiten und macht deutlich, warum die Schere zwischen Arm und Reich, Oben und Unten sich immer weiter öffnet. Und er räumt auf mit verbreiteten Vorurteilen, z.B. das die Reichen (oder das automome Fahren oder noch mehr Roboter) Arbeitsplätze schaffen würden oder Wohlstand von ganz oben grundsätzlich immer nach unten durchsickern würde. Pustekuchen! Sayers beschreibt, warum es lukrativer ist, Gesetze zu machen als "über dem Gesetz" stehen zu wollen. Die ganz legalen Wege der Korruption lassen dem Leser die Haare zu Berge stehen und erzeugen (berechtigte) Wut auf die großen Hütchenspieler, die sich selbst "Globale Player" nennen, und auf ihre verkommene Meute von Anwälten, Beratern und Lobbyisten.
Dieses Buch ist fast so wichtig wie neue Erkenntnisse zur Klimaerwärmung. Denn es entlarvt die echten Kriegstreiber der Welt, die Menschen- und Waffen- und Drogenhändler, die Trickser und Täuscher der "Panama Papers" und ihre Motive. Wer sich Sorgen über die zunehmende Zahl von Flüchtlingen und deren soziale Kosten macht, kann nach dieser Lektüre die Rechnung den richtigen Leuten präsentieren. Denjenigen, die daran beteiligt sind, ganze Meere leerzufischen und ganze Länder unbewohnbar zu machen oder als Acker für "Investoren" zu plündern. Diejenigen, die mit ihrer Mafia-Wirtschaft das Lügen zum Geschäftsmodell gemacht haben, müssen sich hier mit unangenehmen harten Tatsachen konfrontieren lassen, die gegen "Fake news" jeder Glaubensrichtung immun sind.

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