Seiten

Dienstag, 23. Juli 2019

Ein begnadeter Unruhestifter geht

Thomas Wördehoff

Intendant Thomas Wördehoff verabschiedet sich nach zehn Jahren Ludwigsburger Schlossfestspiele


Am 22. Juli 2019 nahm Thomas Wördehoff im Palais Grävenitz nach zehn Jahren seinen Abschied als Intendant der Ludwigsburger Schlossfestspiele. Nach dem Abschlusskonzert am 20. Juli im ausverkauften Forum am Schlosspark mit dem Pianisten Igor Levit, dem Trompeter Thomas Gansch, der Band Mnozil Brass und der Duo Nora Fischer & Marnix Dorrestein verabschiedete auch der Finne Pietari Inkinen als Leiter eines phänomenal gewachsenen Festspielorchesters.
Pietari Inkinen
Dabei würdigte Staatssekretärin Petra Olschowski Wördehoff und Inkinen, deren Begegnung fruchtbar und wichtig für die Festspiele gewesen sei, und dankte ihnen und dem Orchester für "wunderbare Abende und das Gefühl von Zusammenhalt und Gemeinschaft", die das Festival in den letzten zehn Jahren zu einem besonderen Ort gemacht hätten. Oberbürgermeister Werner Spec gratulierte dem Intendanten zu zehn Jahren Intendanz und hob insbesondere die neuen Impulse hervor, die Wördehoff in seiner Programmgestaltung gesetzt hatte. Mit Wördehoff geht ein begnadeter Unruhestifter, der mit seiner Experimentierfreude manchen konservativen Musikfreunden gehörig auf den Wecker gegangen ist. Es gab auch im Freundeskreis Kämpfe um die Vorherrschaft in einem Programm, das sich nach der Ära Gönnenwein öffnete für Song, Jazz, Balkan Brass, Weltmusik, jede Form von musikalischem, tänzerischen, dramaturgischen, auch literarischen Crossover-Projekten. Wördehoff krempelte das Image des reinen Klassik-Festivals um in ein Festival der Neugierde, der Überraschungen, auch der Kontroversen. Es mag eine kleine Genugtuung für Wördehoff gewesen sein, dass sein prominenter Widersacher OB Spec ihn im Amt nicht überlebt hat.
Doch für so etwas hat Wördehoff eigentlich gar keine Zeit und wohl auch keine Antenne. Intrigen gehen ihm gegen den Strich. Was er zum Abschied zu sagen hatte, war daher auch nicht bitter, und auch nicht bloß eine Bilanz seiner letzten Festspielzeit, sondern ein nachdenklicher Ausblick. Die schiere Statistik zeigt, wie versucht wurde, die Ludwigsburger Schlossfestspiele auszuhungern durch Austeritätspolitik: Sparen, Sparen, Sparen war die Devise von Stadt und Land, die seit 16 Jahren (!) den Etat des einst größten deutschen Musikfestival um nicht einen Cent erhöht haben. Kein Inflationsausgleich, nirgends: Wer wäre da als normaler Angestellter nicht längst auf den Barrikaden? Gottlob gibt es Sponsoren, gottlob fand Wördehoff, als ehemaliger Chefdramaturg der Ruhrfestspiele bestens vernetzt, immer wieder interessante und potente Kooperationspartner. Und trotzdem schrumpfte die Zahl der Konzerte von anfangs 70 auf 54 im Jahr 2019. Niemand fand nach Wolfgang Gönnenwein je den Mut, das Festival aus der strukturellen Unterfinanzierung zu holen. Das augenfälligste Beispiel dafür ist das Orchester: Jetzt hieß es aus dem Aufsichtsrat, das Festspielorchester solle es weiterhin geben, aber keiner kann sagen, wie. So wird es wohl 2020 weder ein Eröffnungskonzert noch ein Abschlusskonzert geben. Wie soll das gehen? Stand heute suchen Musiker neue Geldgeber, obwohl das nicht ihr Job ist.
Dabei hat das Festivalorchester sich aus einem zusammengewürfelten Haufen in 30 Jahren zu einem charakterlich und musikalisch reifen Klangkörper entwickelt, der hoch professionell arbeitet. Große Namen standen nie zur Verfügung, um die Massen zu locken. Der Pianist Igor Levit, Christina Pluhar und ihr Barockorchester, die Violinvortuosin Isabelle Faust wurden nicht zuletzt erst durch Ludwigsburg groß. Das Gleiche gilt für die Musikbanda Franui. Und doch, trotz des wetterbedingten Hochrisiko-"Klassik Open Air", lag in diesem Jahr die Auslastung bei stolzen 81 Prozent.
Die Zusammenarbeit mit regionalen, überregionalen und internationalen Partnern wurde durch Koproduktionen mit Institutionen wie etwa dem NT Gent, der Staatsoper Unter den Linden, dem Theaterhaus Stuttgart, dem Théatre des Champs-Elysées und der Toneelacademie Maastricht sowie durch zahlreiche Kooperationsveranstaltungen, beispielweise mit dem Deutschen Literaturarchiv Marbach, dem Deutschen Musikrat, der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie, dem Kunstmuseum Stuttgart und anderen Partnern weiter bestärkt. Und lägen regionalen Zugpferde der Literatur mit Publikumsmagneten wie Nora Gomringer oder Hanns-Josef Ortheil nicht noch im toten Blickwinkel des etwas Österreich-zentrischen Thomas Wördehoff, gäbe es für die Zukunft ja kaum noch Neues zu entwickeln. Ab 1. Oktober 2019 übernimmt Jochen Sandig die Leitung der Ludwigsburger Schlossfestspiele. Dann steht dort alles wieder Auf Anfang.

Keine Kommentare: