Foto: © Julien Benhamou |
Nationaloper einmal anders: Carl Maria von Webers Oper "Der Freischütz" aus dem Jahr 1821 gab es am Freitag/Sonntag 12./14. Juli bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen in einer französischen Neuinszenierung von Clément Debailleul und Raphaël Navarro. Die deutsch-französische Koproduktion der
Schlossfestspiele mit Insula orchestra, dem Chor accentus und der
Compagnie 14:20 interpretiert den Stoff, der bei der Uraufführung 1821 den Nerv des deutschen
Publikums und der gerade entstehenden deutschen Nationalbewegung traf, weniger mit Waldesmythos, Schauermärchen und Jägerromantik. Der französische Blick betont eher das Spielerische: Lichtspiele im Dunkeln, Jonglage-Einlagen sowie der Verzicht auf Martialisches und "Tümelndes" verstellen den düsteren Akzent über dem ganzen Werk nicht etwa, sondern verstärken ihn sogar.
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Während
Webers "Freischütz" auf den Bühnen des deutschsprachigen Raumes zum
Standardrepertoire gehört, wagen sich ausländische Ensembles eher selten
an die "deutsche Nationaloper".
Dabei, das wurde bereits bei der Premiere der Koproduktion deutlich,
eröffnet der Blick von außen einmal ganz andere Sichtweisen auf den
altbekannten Stoff. Das junge französische Regieteam legt das
Augenmerk seiner Inszenierung auf die dunkle Seite der
Romantik, die in den handelnden Figuren der Oper zum Ausdruck kommt.
Die beiden Regisseure geben den subtilen, ungreifbaren
Ängsten und übernatürlichen Kräften hinter den Protagonisten in ihrer Interpretation Raum und legen die Rituale
und Mythen der Jagdgemeinschaft offen. Im Zentrum ihrer Betrachtung
steht weniger die ernsthafte oder ironische Auseinandersetzung mit der
deutschen Identität, sondern die Frage, inwiefern individuelle Ängste unser Handeln bestimmen.
Max, der neuer Oberförster des Fürsten werden möchte und mit einem Meisterschuss neben dem Amt auch die Hand der geliebten Förstertochter Agathe anstrebt, ist ein ideales Opfer finsterer Mächte: Er will eine Pechsträne loswerden und dem "Lampenfieber" vor der doppelte Prüfung entgehen, indem er sich von seinem Kollegen Kaspar einreden lässt, magische Freikugeln, die alles treffen, was man sich wünsche, seien die Lösung seiner Probleme. Doch natürlich bringt ihn die Unterstützung durch schwarze Magie erst Recht in Schwierigkeiten. Nur gut, dass er so ein lieber Junge ist...
Foto: © Julien Benhamou |
Markenzeichen
der beiden Regisseure, die neben der Arbeit an der künstlerischen
Bewegung der "Magie Nouvelle" mit ihrer Compagnie 14:20 auch schon für
den Cirque du Soleil
tätig waren, ist der Einsatz spezieller Hologrammtechnik. Mit den
Mitteln des Bühnenzaubers werden Akteure von ihren Körpern gelöst und
Bewegungen in Zeitlupe sichtbar gemacht, ätherische Szenen kreiert und
die Grenzen von Realität und Illusion aufgehoben.
So entstehen innerhalb der Inszenierung immer wieder verblüffende
Bilder, die geheimnisvolle und übernatürliche Elemente der
Freischütz-Erzählung um eine magische Ebene erweitern. Mit dem Artisten
und Jongleur Clément Dazin, der die mephistophile Rolle des schwarzen
Jägers Samiel verkörpert, lassen die Regisseure in ihre Inszenierung
auch Elemente der Zirkuskunst einfließen. Dass dabei niemals teutonisch-tierischer Ernst vorherrscht, sondern augenzwinkender Spaß an der Freud, beginnt schon beim Ahnherrn in Kunos Försterhaus, dessen- Porträt ganz gern einmal geisterhaft von der Wand fällt und sich überdies ungehörig bewegt. Dienerin Ännchen (zauberhaft mit ihrem belgisch-schweizerischen Akzent ("entzuckend") die Sopranistinnen Chiara Skerath, die übrigens immer von rechts her auftrat) ruft nach Hammer und Nagel, sowie Agathe, die Verlobte des Jägers Max (die Südafrikanerin Johanni van Oostrum: charaktervoll, ausdrucksstark, stimmstark und souverän in allen Lagen), die eher dunkle Vorzeichen am Werk sieht. Auch der finnische Tenor Tuomas Katajala als Max und der russische Bass Vladimir Baykov als sein durchtriebener Gegenspieler Kaspar waren großartig besetzt und sangen meisterhaft.
Die Musikalische Leitung der Produktion hat die französische Dirigentin
Laurence Equilbey. Als Gründerin und künstlerische Leiterin des
Chores accentus und des Insula orchestras hat sie sich in den letzten
Jahren einen Ruf unter Experten für Chorsinfonik und A-cappella-Musik erworben. Das Zusammenwirken von historisch informiertem Orchester
und dem schönen, ausdrucksstarken Chor mit einem Ensemble hochkarätiger junger Solisten rückt diesen "Freischütz" auch klanglich in ein besonderes
Licht. Dem
Ludwigsburger Festspielpublikum ist Equilbey bereits
aus dem Jahr 2017 bekannt. Da hat sie eine gefeierte Inszenierung von Haydns
"Schöpfung" mit "La Fura Dels Baus" dirigiert. Diesmal ließ sie jedoch einigen Gestaltungsspielraum zugunsten der Lichtspiele ungenutzt und agierte recht zurückhalten.
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