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Sonntag, 14. Juli 2019

Freischütz mit Jonglage in Ludwigsburg

Foto: © Julien Benhamou
Nationaloper einmal anders: Carl Maria von Webers Oper "Der Freischütz" aus dem Jahr 1821 gab es am Freitag/Sonntag 12./14. Juli bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen in einer französischen Neuinszenierung von Clément Debailleul und Raphaël Navarro. Die deutsch-französische Koproduktion der Schlossfestspiele mit Insula orchestra, dem Chor accentus und der Compagnie 14:20 interpretiert den Stoff, der bei der Uraufführung 1821 den Nerv des deutschen Publikums und der gerade entstehenden deutschen Nationalbewegung traf, weniger mit Waldesmythos, Schauermärchen und Jägerromantik. Der französische Blick betont eher das Spielerische: Lichtspiele im Dunkeln, Jonglage-Einlagen sowie der Verzicht auf Martialisches und "Tümelndes" verstellen den düsteren Akzent über dem ganzen Werk nicht etwa, sondern verstärken ihn sogar.


Foto: © Julien Benhamou
Während Webers "Freischütz" auf den Bühnen des deutschsprachigen Raumes zum Standardrepertoire gehört, wagen sich ausländische Ensembles eher selten an die "deutsche Nationaloper". Dabei, das wurde bereits bei der Premiere der Koproduktion deutlich, eröffnet der Blick von außen einmal ganz andere Sichtweisen auf den altbekannten Stoff. Das junge französische Regieteam legt das Augenmerk seiner Inszenierung auf die dunkle Seite der Romantik, die in den handelnden Figuren der Oper zum Ausdruck kommt. Die beiden Regisseure geben den subtilen, ungreifbaren Ängsten und übernatürlichen Kräften hinter den Protagonisten in ihrer Interpretation Raum und legen die Rituale und Mythen der Jagdgemeinschaft offen. Im Zentrum ihrer Betrachtung steht weniger die ernsthafte oder ironische Auseinandersetzung mit der deutschen Identität, sondern die Frage, inwiefern individuelle Ängste unser Handeln bestimmen. 
Max, der neuer Oberförster des Fürsten werden möchte und mit einem Meisterschuss neben dem Amt auch die Hand der geliebten Förstertochter Agathe anstrebt, ist ein ideales Opfer finsterer Mächte: Er will eine Pechsträne loswerden und dem "Lampenfieber" vor der doppelte Prüfung entgehen, indem er sich von seinem Kollegen Kaspar einreden lässt, magische Freikugeln, die alles treffen, was man sich wünsche, seien die Lösung seiner Probleme. Doch natürlich bringt ihn die Unterstützung durch schwarze Magie erst Recht in Schwierigkeiten. Nur gut, dass er so ein lieber Junge ist...

Foto: © Julien Benhamou

Markenzeichen der beiden Regisseure, die neben der Arbeit an der künstlerischen Bewegung der "Magie Nouvelle" mit ihrer Compagnie 14:20 auch schon für den Cirque du Soleil tätig waren, ist der Einsatz spezieller Hologrammtechnik. Mit den Mitteln des Bühnenzaubers werden Akteure von ihren Körpern gelöst und Bewegungen in Zeitlupe sichtbar gemacht, ätherische Szenen kreiert und die Grenzen von Realität und Illusion aufgehoben. So entstehen innerhalb der Inszenierung immer wieder verblüffende Bilder, die geheimnisvolle und übernatürliche Elemente der Freischütz-Erzählung um eine magische Ebene erweitern. Mit dem Artisten und Jongleur Clément Dazin, der die mephistophile Rolle des schwarzen Jägers Samiel verkörpert, lassen die Regisseure in ihre Inszenierung auch Elemente der Zirkuskunst einfließen. Dass dabei niemals teutonisch-tierischer Ernst vorherrscht, sondern augenzwinkender Spaß an der Freud, beginnt schon beim Ahnherrn in Kunos Försterhaus, dessen- Porträt ganz gern einmal geisterhaft von der Wand fällt und sich überdies ungehörig bewegt. Dienerin Ännchen (zauberhaft mit ihrem belgisch-schweizerischen Akzent ("entzuckend") die Sopranistinnen Chiara Skerath, die übrigens immer von rechts her auftrat) ruft nach Hammer und Nagel, sowie Agathe, die Verlobte des Jägers Max (die Südafrikanerin Johanni van Oostrum: charaktervoll, ausdrucksstark, stimmstark und souverän in allen Lagen), die eher dunkle Vorzeichen am Werk sieht. Auch der finnische Tenor Tuomas Katajala als Max und der russische Bass Vladimir Baykov als sein durchtriebener Gegenspieler Kaspar waren großartig besetzt und sangen meisterhaft.


Die Musikalische Leitung der Produktion hat die französische Dirigentin Laurence Equilbey. Als Gründerin und künstlerische Leiterin des Chores accentus und des Insula orchestras hat sie sich in den letzten Jahren einen Ruf unter Experten für Chorsinfonik und A-cappella-Musik erworben. Das Zusammenwirken von historisch informiertem Orchester und dem schönen, ausdrucksstarken Chor mit einem Ensemble hochkarätiger junger Solisten rückt diesen "Freischütz" auch klanglich in ein besonderes Licht. Dem Ludwigsburger Festspielpublikum ist Equilbey bereits aus dem Jahr 2017 bekannt. Da hat sie eine gefeierte Inszenierung von Haydns "Schöpfung" mit "La Fura Dels Baus" dirigiert. Diesmal ließ sie jedoch einigen Gestaltungsspielraum zugunsten der Lichtspiele ungenutzt und agierte recht zurückhalten.

Die inzwischen mehrfach preisgekrönten Regisseure Clément Debailleul und Raphaël Navarro lernten sich als Jugendliche 1996 beim Festival Circa kennen. Im Jahr 2000 gründeten sie gemeinsam mit Valentine Losseau die Compagnie 14:20. Das experimentierfreudige Künstlerkollektiv verfasste das Manifest der "Magie Nouvelle" und begründete damit einen wichtigen Zweig der zeitgenössischen französischen Kunst- bzw. Theaterszene. Sie verbindet u.a. Einflüsse aus Tanz, Theater, Zirkus und Malerei miteinander und macht sich gern die Unausgewogenheit der menschlichen Sinne zu Nutze. Raphaël Navarro erhielt 2018 gemeinsam mit Valentine Losseau den Preis "Autor des Jahres" für die Zirkuskünste in ihrer Inszenierung von Goethes "Faust" an der Comédie Française.


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