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Mittwoch, 11. November 2020

Für eine Europäische Union der Poesie: Andreas-Gryphius-Preis für Traian Pop

 

Der angesehene Andreas-Gryphius-Preis der Künstlergilde Esslingen geht 2020 an Traian Pop. Die Verleihung war für den 6. November im Gerhart-Hauptmann-Haus Düsseldorf geplant und musste wegen der Pandemie verschoben werden. Der Andreas-Gryphius-Preis würdigt in erster Linie das Gesamtwerk und wurde erstmals 1957 in Düsseldorf verliehen. Seit 1990 wird er von der Künstlergilde Esslingen in Glogau (heute Głogów, Polen) vergeben, wo Andreas Gryphius (eigentlich Andreas Greif) 1616 geboren wurde und bis zu seinem Tod im Jahre 1664 lebte. In diese Zeit fiel auch der Dreißigjährige Krieg, dessen Verheerungen Gryphius und sein Werk wie die gesamte europäische Kultur jener Zeit geprägt haben. Andreas Gryphius war ein deutscher Dichter und Dramatiker des Barocks. Vor allem wegen seiner wortgewaltigen Sonette, die „das Leiden, Gebrechlichkeit des Lebens und der Welt“ zum Thema haben, gilt Gryphius als einer der bedeutendsten Lyriker des deutschen Barocks.

Mit dem Literaturpreis werden Autoren und Übersetzer ausgezeichnet, deren Publikationen deutsche Kultur in Mittel-, Ost- und Südosteuropa reflektieren und die zur Verständigung zwischen Deutschen und ihren östlichen Nachbarn beitragen. Der Preis war ursprünglich als Kind von Willy Brandts Ostpolitik mit 25.000 DM dotiert. Hinzu kam ein mit 7.000 DM dotierter Sonderpreis, der auch als Stipendium vergeben werden konnte. Als Folge von Sparmaßnahmen musste 2000 die finanzielle Unterstützung der Künstlergilde durch das Bundesministerium des Innern bzw. den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien eingestellt werden. Der Preis wurde daher bis 2008 nicht mehr vergeben. Seit 2009 ist der Preis zwar nicht mehr dotiert, kann aber mit Unterstützung einer privaten Stiftung immerhin wieder jedes Jahr verliehen werden. Eigentlich wäre das ein dringender Sanierungsfall für die Bundes-Kulturbeauftragte Monika Grütters.

Das Innenministerium ist heute gewiss die falsche Adresse für die Finanzierung eines so renommierten und traditionsreichen Literaturpreises. Doch mit etwas gutem Willen müsste sich in Berlin wieder eine angemessene Finanzierung de Preises finden lassen. Geehrt wird damit schließlich auch das Andenken eines Literaten, der ein hoch gebildeter, mehrsprachiger Grenzgänger im deutsch-polnischen Grenzgebiet war, der auch mehrjährige Erfahrungen in Italien und auf Reisen durch Frankreich und die Niederlande gesammelt hatte. Seine Literatur war in einem heute vielfach übersehenen Sinne gesamt-europäisch.

Insofern trifft die Wahl des Preisträgers Traian Pop einen Intellektuellen, der auf Rumänisch und Deutsch veröffentlicht hat, aber weit über den literarisch so fruchtbaren Kontext der Rumäniendeutschen hinausweist. Natürlich verlegt Pop fast die gesamte Riege deutschsprachiger Autorinnen und Autoren, er denkt und handelt jedoch größer – bis hin zum finanziell lebensgefährlichen Größenwahn: 2018, als das kleine Georgien Gastland der Frankfurter Buchmesse war, erschienen im Pop Verlag 26 (!) aus dem Georgischen übersetzte oder deutsch-georgische Bücher, so viele wie in keinem der deutschen Großverlage. Seit längerer Zeit nimmt Pop aber auch literarische Schätze von Autorinnen und Autoren ins Programm, die praktisch vor seiner Haustür leben, wie Peter Frömmig oder Imre Török, der aus Ungarn stammt.

Er befindet sich jetzt in angesehener Nachbarschaft zu früheren Preisträgern wie Edzard Schaper, Horst Lange, Siegfried von Vegesack, Sigismund von Radecki (1957), Heinz Piontek, Carl Dedecius, Horst Bienek oder Oskar Pastior. Wolfgang Koeppen, Günter Eich und Walter Kempowski. Sein Name steht auch in einer Reihe mit Karin Struck, Saul Friedländer, Siegfried Lenz, Hans Sahl, Ulla Berkewicz, Günther Anders, Hans-Werner Richter, Ottfried Preußler, Ota Filip oder Helga Schütz und Peter Härtling. Damit ist er wirklich auf dem literarischen Olymp großer Europäer angekommen.

Dabei lebt der 1952 im rumänischen Kronstadt (Brașov) geborene Autor und Verleger Pop erst seit 1989 in der Bundesrepublik Deutschland. Zuvor war Pop, der unter anderem am Deutschen Staatstheater Temeswar gearbeitet hatte, verschiedentlich mit dem Ceaușescu-Regime in Konflikt geraten. Der Autor Traian Pop hat mehrere Lyrik- und Prosabände in rumänischer und deutscher Sprache vorgelegt. Er wurde für sein Werk bereits mehrfach ausgezeichnet, darunter mit dem Preis des Rumänischen Schriftstellerverbandes (2002). Seit 2003 hat er sich auch als Verleger verdient gemacht, er verlegte u. a. Arbeiten von Ana Blandiana, Jan Cornelius, Dieter Schlesak und William Totok. Das ist in der Tat ein Gesamtwerk, das mit dem Andreas-Gryphius-Preis vielleicht endgültig den längst überfälligen Schritt vom schwäbisch-rumäniendeutschen Provinzbiotop zur Ruhmeshalle allgemeiner Anerkennung und zum verdienten finanziellen Erfolg tun kann. Zu wünschen wäre es ihm.

Bio-Bibliographie: Der Schriftsteller, Verleger, Übersetzer und Journalist Traian Pop Traian wurdde 1952 in Kronstadt/Brașov, Rumänien geboren. Während des Studiums und danach freiberufliche Mitarbeit bei Rock- und Jazz-Musikgruppen sowie beim Deutschen Staatstheater Temeswar (als Toningenieur, Texter, Bühnenarbeiter). Parallel dazu Veröffentlichung aufmüpfiger Texte in studentischen und anderen Zeitschriften. Viele Buchpublikationen. Einige Theaterstücke, u. a. „Die Stadt der Lügenzwerge“ (Dramatisierung für das Puppentheater Temeswar 1989, wurde nach kaum zehn Vorstellungen verboten) und „Schöne Aussichten“ (wurde kurz vor der Uraufführung verboten). Nach dem Sturz des Diktators Nicolae Ceauşescu war Pop von Dezember 1989 bis Januar 1990 Mitglied des ersten Redaktionsteams der Tageszeitung „Temesvar“. Lebt seit 1990 in Ludwigsburg bei Stuttgart. Literaturpreise: u. a. Preis der Akademie für Wissenschaft, Literatur und Kunst beim Internationalen Buch-Salon, Großwardein/Oradea 1999, Poesie-Preis der LiterArt XXI (The International Association of Romanian Writers and Artists Inc.) 1998/1999, Preis des Rumänischen Schriftstellerverbandes, Temeswar/Timișoara 2002. Kurzfilm „Traumdiktat“ nach dem Gedicht „Wer keinen blassen Schimmer hat“, Poscimur Produktion (2004). Zuletzt auf Deutsch erschienen: Schöne Aussichten (2005), Die 53. Woche (2013), Bleierne Flügel (2017). "Absolute Macht", Gedichte Deutsch / Rumänisch (2018).

 



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