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Montag, 21. September 2020

Lost Places der Kultur in Stuttgart: Die Villa Berg und das alte SWR-Fernsehstudio


Wir haben Lost Places in Stuttgart besucht: Die historische Villa Berg im gleichnamigen Park soll endlich saniert werden. Meine Bilder von heute zeigen noch ein letztes Mal 20 Jahre Stillstand und Verfall: Tiefgaragen, die seit langer Zeit keinem Auto mehr Parkraum bieten: einfach zu. Ein wunderschöner Park mit altem Baumbestand, der legendäre Sommerfeste, Open Air Konzerte und Produktionsfeten gesehen hat. 

 

 

 

 

 

Hier habe ich meine Frau kennen gelernt und ein ganzes Arbeitsleben verbracht.

Das einst schönste Casino Deutschlands mitten im Grünen soll abgerissen werden, ebenso die alten SDR-Fernsehstudios, damit ein Investor dort teure Eigentumswohnungen bauen kann.

Wir sahen Bauzäune, um die schon Efeu, Wein und Geschichten von Künstlerkarrieren, Amouren und Besoffenheiten ranken. Seit 2005 steht das Gebäude leer, gebaut 1853 als  Sommerresidenz des württembergischen Kronprinzen- und späteren Königspaares Karl und Olga. 1913 kaufte sie die Stadt, 1955 ging sie an den Süddeutschen Rundfunk (SDR) der einen Sendesaal für Live-Übertragungen und Konzerte einbaute. 2007 verkaufte er die Villa Berg und cdie dazugehöprigen Fernsehstudios an eine Investorengruppe. Als die in Konkurs ging und auch eine weitere Investorengruppe nur Stillstand produzierte und so den Verfall beschleunigte, kaufte die Stadt Stuttgart 2010 das Anwesen für 300 000 Euro zurück und will jetzt für 64 Millionen den Bau sanieren und zu erinem Kunst- und Kulturzentrum machen. Zehn weitere Jahre geschah nichts außer einer Bürgerbefragung über ein Nutzungskonzept. Es wird Neues entstehen - auf Ruinen.

Ab dem kommenden Jahr soll gebaut werden bzw. abgerissen, und dann wird nichts mehr so aussehen sie heute. Eine zentrale Stätte der Stuttgarter Kulturgeschichte wird verschwinden. Mit blutet das Herz, wenn ich daran denke.

Jetzt, in der Übergangszeit, zieren Porträts von Musikern, Sängern, Schowmastern und Schauspielern die großen vernagelten Fenster, weil sie hier gearbeitet haben. Vor allem meine Frau hat viele von ihnen als Studiofotografin abgelichtet und auch privat kennen gelernt. Von Harry Belafonte konnte sie gar nicht mehr aufhören zu erzählen. Es war einmal und wird nicht mehr. Aus die Maus. Babala.

Ein denkmalgeschützter und trotzdem einsturzgefährdeter Sendesaal, in dem viele Weltkarrieren begonnen haben, unter anderem von Wolfgang Dauner und Harald Schmidt. Ein verwunschener Studiobau, wo heute noch das SWR Vokalensemble und das SWR Symphonieorchester mit Teodor Currentzis proben. Wie viele Interviews habe ich hier gemacht? Wie viele Arbeitsbesprechungen mit Detlef Clas, dem Leiter der Hörfunkredaktion "Wissen", und seinen Kolleginnen & Kollegen?


Kostbare Art-Deco-Leuchten stehen im Park um die alte Villa, mit Farbe beschmiert oder durch Hydranten "verziert" wurden. Tröge für Pferde, die hier nicht mehr saufen. Studiogebäude, die der Park langsam überwuchert. 

 

 

 

 

 

Die Terrassen zur Stadt hin sind gesperrt und verfallen weiter. Nur wo früher Rentner mit großen Holozfiguren auf einem Schachbrett im Boden spielten, sah ich noch einen einsamen Bodybuilder mit einer schweren Steinplatte trainieren. Er muss irgendwo über den Zaun geklettert sein, um in Ruhe seinem Sport frönen zu können.

Von den Beeten und Blumenrabatten sind nur noch die steinernen Umfassungen zu sehen. Es stehen sogar noch einzelne verwitterte Sitzbänke. Für uns Ort vieler Mittagspausen.

Auf der Rückseite der Villa sieht man, dass schon Bäume auf dem Dach Fuß gefasst haben. Noch augenfälliger: Der Park wird wohl auch für polizeilich unerwünschte abendliche oder nächtliche Partys während der Corona-Pandemie genutzt.

Tagsüber sind Radfahrer, Jogger und Badminton-Spieler zu sehen, aber auch Familien mit kleinen Kindern.

Ich will gar nicht wissen, wer sich nachts hier herumtreibt. Der Mann vom Betriebssschutz, der sich mit einem Elektroauto anschleicht, könnte dazu wohl einiges erzählen.

Hier haben wir ein ganzes Arbeitsleben verbracht. Und überall das Stuttgarter Wahrzeichen des 21. Jahrhunderts: Bauzäune. Irgendwie, ich kann mit nicht helfen, ist das für mich zu einem Symbol für die Entwertung kreativer Arbeit in den letzten 20 Jahren geworden.

In diesem Park wohnt eine große Schar lauter Gelbkopfamazonen. Die Fachleute rätseln, ob die ersten der akklimatisierten Tropenvögel aus der nahen Wilhelma in die Freiheit flogen oder aus einem Käfig geflüchtet sind.

Auf dem Hof der so genannte Ü-Garage parken keine Übertragungswagen mehr, sondern Baumaschinen. Hier bin ich als Videotext-Redakteur wohl tausend Mal durch einen heute zugeschütteten Tunnel den Hügel hinunter in den Hörfunk gelaufen, wenn ich etwas aus der Nachrichtenredaktion holen musste oder einen Nebenjob im Studio hatte.

In der Ü-Garage roch es immer nach Holz und Leim, weil nebenan die Kulissenwerkstatt lag. Auch Busse mit Studiogästen kamen oft hier an, weil die Wendeplatte frei bleiben musste.


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