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Freitag, 14. September 2018

Brauchen wir eine "Wörterpolizei"?

Neulich habe ich für eine Reportage über ein Konzert der Leipziger Thomaner in Stuttgart den Titel "Ein helles Licht aus Dunkeldeutschland" verwendet und bekam Kommentare, die mich recht nachdenklich gemacht haben. Sie waren verletzt und entsetzt. Daher habe ich nun das Unwort "Dunkeldeutschland" in kleine, aber wichtige Gänsefüßchen gesetzt. Diese Gänsefüßchen machen mehr aus ausreichend meine Distanz" zu diesem Wort deutlich, das aber nun leider einmal in der Welt ist. Abgesehen davon, dass wir alle eine dunlkle Seite in uns tragen, an die niemand gern erinnert wird: Diffamierend, pauschal diskriminierend ist dieses Wort bei mir nie gebraucht worden, sondern als Spiegelung, die erst durch das "helle Licht" in meiner Überschrift wirkt und eigentlich schon klare Distanz zum Wort selbst und zu seinem Inhalt anzeigt. Ich liebe die Kulturlandschaften Ost- und Mitteldeutschlands (sie gehören mit Luther und Bach zum Besten, was wir haben) und alle, die sie lebendig halten. Das haben die Leser auch alle verstanden.

Nachdenklich macht mich der Protest gegen meine Wortwahl, weil ich einzelne Leser damit dennoch verletzt habe, und weil ich zugleich als Mann der Redefreiheit den Gedanken an eine "Wörterpolizei" nicht ertrage. Ich habe nämlich schlechte Erfahrungen mit "verbotenen Ausdrücken" bei Sekten und mit Verfechterinnen des "Genderdeutsch" gemacht. So etwas wäre meines Erachtens immer eine unerträgliche Anmaßung, für die es keine Autorität gibt.

Wenn schon, müsste der Bann auch andere Vokabeln aus dem aktuellen "Wörterbuch des Unmenschen" betreffen: etwa die Bezeichnung "Gutmenschen", mit der man seit PEGIDA Menschen diffamiert, die sich bemühen, Entwurzelten und Verfolgten Gutes zu tun (ich habe das schmervoll selbst erlebt), oder auch den Begriff "tiefer Staat". Der kriminalisiert ja keineswegs den Staat, sondern Strukturen bezeichnet, bei denen einzelne Vertreter staatlicher Organe zu Komplizen des organisierten Verbrechens werden (zuerst kam das beim Schreiben über Verhältnisse in der Türkei auf, als Geheimdienstoffiziere Erdogans bei illegalen Waffengeschäften mit dem IS erwischt wurden. Später tauchte der Bergriff dann auch bei der Berichterstattung über die Verstrickung von V-Leuten der Polizei und des Verfassungsschutzes in die NSU-Morde auf, die grausige Fehleinschätzung dabei und deren Vertuschung durch das Vernichten von Akten und Asservaten).
Vermutlich sollte man einen eigenen Blog-Beitrag über solche Begrifflichkeiten und den Umgang damit schreiben. Aber wann soll ich auch das noch tun? Vielleicht findet sich jemand mit den nötigen Kenntnissen und Ansichten dafür. Denn ich habe wohl fälschlich angenommen, dass diese Wörter, einmal erklärt, auch allgemein verstanden würden.

Ich denke, man muss solche hoch toxischen, gefährlichen Elaborate aus dem Sprachlabor der Demagogen dennoch mit der gebotenen Vorsicht aus dem Giftschrank holen und verwenden dürfen, wenn der Zusammenhang klar und die Absicht lauter ist. Das tut weh, aber anders wird es nicht gehen. Man kann Sprache nicht verbieten, auch nicht ihre ekelhaftesten Bestandteile. Sonst landen wir bei einer Diktatur politisch oder religös motivierter Wortverdreher wie in den Romanen "1984" von George Orwell oder "Schöne jeue Welt" von Orson Wells.

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