Eva Christina Zeller: "Die Erfindung Deiner Anwesenheit". Gedichte. Verlag Klöpfer & Meyer, Tübingen (2012), 128 S., 16 €
Diese Buch gehört zu denen, über die ich nicht gleich schreiben konnte. Ich war anfangs zu aufgewühlt dafür, musste sich setzen lassen, was dieser Zyklus aus 99 Gedichten in mir auslöste. Mag sein, es ist auch jetzt noch zu früh dazu. Vielleicht werde ich wieder darüber schreiben, später, in einem anderen Zusammenhang. Dieses Buch hat einen der Umständlichkeit verdächtigen Titel, aber mir fiele wenigstens derzeit auch nichts Besseres ein. Es sind Gedichte von den Rändern unserer Existenz, eine Trauerarbeit, Gedichte wie ein inneres Zwiegespräch mit dem toten Freund. Etwas, das spürbar weh tut. Es muss unglaublich schwer sein, etwas derart Intimes wie Trauer und Verlust so zu verarbeiten, dass über die persönliche Befreiung hinaus etwas entsteht, das in der Öffentlichkeit nicht fehl am Platz wäre.Die Frage ist nicht, ob jetzt eine gelungene, allgemeingültige Form der Therapie vorliegt, meinetwegen der Schreibtherapie. Das auch, möglicherweise. Aber damit ist bei weitem noch nicht erfasst, was hier geschieht. Es war eine Zumutung für die Autorin und ist eine Zumutung für den Leser, die ich jedoch nur empfehlen kann. Früher oder später nämlich platzt darin etwas auf, das auch in der Seele aufplatzen kann wie eine Schote, die Nahrhaftes oder Duftendes freigibt. Aber eben erst durch den Schmerz und die Verschlossenheit hindurch. Erst wenn es reif ist.
Dass man mit lieben Toten spricht, ist nicht neu. Dass man so mit ihnen spricht, scheint mir aber einmalig zu sein. "Die Erfindung Deiner Anwesenheit" ist ein Topos, beinahe ein Klischee. Doch genau darum geht es, um die Apotheose eines Menschen im Wort, in Gedichten. Hier wird der Leser Zeuge des fast schon unheimlichen, magischen Vorgangs der Beschwörung einer Anderswelt, die es wirklich gibt - und eben nicht bloß in wirren Monologen von Leuten, die halt langsam wunderlich werden. So etwas "Andenken" oder "Gedenken" zu nennen, wäre vor diesem verbalen Tadj Mahal ungehörig. Das hat mich so erschüttert: dass ich plötzlich nachfühlen konnte, was mich nichts anzugehen schien, was mir bis dahin kaum greifbar vorkam trotz aller philosophischen Vertrautheit mit dem Thema. Schon die schier masochistische Aufrichtigkeit bohrenden Nachforschens überrascht:
vielleicht geht es
gar nicht um dich
um den abdruck in mir
den du hinterlassen hast
Es geht nicht um Vergessen in diesen Versen, sondern um die Auflösung der Grenzen zwischen Diesseits und Jenseits, Ich und Du, Fragen und Antworten, zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft - etwas, das nur das Wunder der Sprache vermag. Dies sind keine religiösen, erst recht keine frommen Gedichte. Aber es sind Gedichte, die sich mit einer Erfahrung aussöhnen, mit der letzlich keine Versöhnung möglich ist. Man findet hier auch die Wut über das, was unausgesprochen blieb, über den "Verrat" eines Toten, der nicht sprach über seine Krankheit und den Ernst der Lage.
er war nicht ganz bei mir
so wie nur ich bei ihm war ohne zu spüren dass er
schon beschäftigt war mit einer zukunft die es nicht gab
mit dem raum der hinter den worten liegt
wir waren getrennter als heute
wenn das möglich ist
wo er lange schon staub ist und ich seither sterblich
weil auf der anderen seite
Aber nicht weniger spüre ich die Wut der Autorin über eigene Ausweichmanöver und Fluchtreflexe. Darüber auch, im entscheidenden Augenblick nicht bei ihm gewesen zu sein, ihn beim Hinübergehen selbst, im Moment des Todes, "allein gelassen" zu haben. Das gibt es ja häufig: Man ist gerade heimgefahren, weil die Krankenschwester gesagt hat, man solle mal wieder schlafen, sie werde Bescheid geben. Oder man ist eingeschlafen am Sterbebett und hat nichts mitbekommen. Oder
stand am bahnsteig
und wartete auf den seelentröster
der einen faden in der hand hielt
und die taschen voller steine und brotkrumen
hatte den falschen abgeholt
sollte bei dir sein
Wann das passiert, kann niemand etwas dafür. Aber es schützt partout vor Selbstvorwürfen, das zu wissen. Dieser innere Prozess vollzieht sich ausschließlich mit Sprache und in konsequenter Kleinschreibung, von der ich im Allgemeinen nicht viel halte, weil sie mir oft so maniriert und schlecht begründet vorkommt. Hier ist das anders. Sie ist ein Mittel der Abstraktion, der Ent-persönlichung, der Objektivierung, eine Barriere auch gegen das in so einem Fall übermächtig drohende Pathos (etwas "klein halten", "den Ball flach halten"). Eine zentrale Metapher in diesen Versen ist der Vorhang, die Grenze, die Tür: Übergang, Zwischending, Rätsel, Zielfernrohr auch nach so langer Zeit, nach vielen Jahren noch:
er wäre jetzt 50 geworden
wenn er ncht 27 geworden wäre
meine kinder wären seine kinder
er wäre neben mir gegangen
hinter dem vorhang der luft
ob du noch da bist
zieht es mich ab und zu
zu dir hin
Am Ende gelingt gar Versöhnlichkeit, wenigstens ansatzweise in Zeilen, die pantheistisch zu nennen frivol wäre. Zeller lauscht hinein in eine hellhörige Stille und lässt den Leser teilhaben an etwas, das gerade da entsteht, in diesen kostbaren Augenblicken, die nicht mehr nach dem Warum fragen und nicht mehr zwanghaft aufräumen müssen. In diesen Gedichten hat Eva Christina Zeller einen Ort für ihre Trauer geschaffen, den auch andere besuchen dürfen. Das gibt diesen Gedichten eine Schönheit und Weite, einen Atem, vor dem ich mich seiner Offenheit und Freiheit halber verneige:
wind sein
der durch die welt zieht
über das meer
aus deinem woherauchimmer
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