Seiten

Sonntag, 28. April 2013

Phantastischer Realität: "Wo Tiger zu Hause sind": ein Roman von Jean-Marie Blas de Roblés

Dieses Buch angemessen zu besprechen ist schwierig, denn es geht eigentlich nicht in Kürze. Nötig wären da sehr ausladende Erklärungen umfangreicher Verwicklungen bzw. Entwicklungen in drei Handlungssträngen und Zitate aus ganz verschiedenen Sprach-Ebenen: zum Beispiel einer Pseudo-Biographie über den Jesuiten, Universalgelehrten und Hochstapler Athanasius Kircher aus der Barockzeit oder der damit verschränkten aktuellen Kriminalgeschichte einer archäologischen Expedition in den Amazomasdschungel, die die von Banditen angegriffen wird, die im Auftrag der Betreiber eines unnötigen Staudammprojekts unterwegs sind. Die dritte Ebene wäre der einsame Journalist in einem brasilianischen Provinzkaff, dessen Tochter an der Expedition teilnimmt und der langsam, ganz langsam hinter diese beiden Geschichten kommt: Die Kircher-Biographie recherchiert er in Archiven, in die Story mit dem großkriminellen Landraub stolpert er über eine schöne Frau und eine Gruppe von Umweltaktivisten, die korrupte Großgrundbesitzer und Provinzpolitiker im Visier hat. Diese Seilschaften der Reichen und Mächtigen haben so ziemlich alle Gesetze gebrochen, um eben jenes Staudammprojekt auf Kosten der Amazonas-Indios und der kleinen Leute heimlich "unumkehrbar" zu machen. Stuttgart 21 lässt grüßen: So lernen wir eben hier, wie es die großen Zampanos in Bananenrepubliken schon immer gemacht haben. Nur ist dies hier ein Roman, weshalb die betrogene Ehefrau des Gouverneurs einen Strich durch dessen miese Rechnung macht. Sie hat das Geld und ihr schurkischer Mann bloß Schulden; sein Pech, dass sie ihm auf die Schliche kommt. Spannend ist das geschrieben und meisterhaft erzählt: ein Buch des Dschungels, der menschlichen Leidenschaften und Gemeinheiten, aber auch ein Buch über Liebe und Betrug sowie das Leiden an der irdischen Bosheit. Das Ganze in das Aroma des tropischen Regenwaldes getaucht und paniert mit Bildung und Sprachkunst, Poesie und Geschichte: dieser Roman ist wahrlich ein großer Wurf über den Sarkasmus der Oberklasse und die Not der kleinen Leute, aber auch über die Kraft der Phantasie. Nicht zimperlich (es gibt ziemlich viele Tote - auch solche, die einem Leid tun), nicht immer leicht verdaulich, aber eine lohnende und nachhaltige Lektüre.

"Wo Tiger zu Hause sind" - ein Roman von Jean-Marie Blas de Roblés, S. Fischer Verlag, Frankfurt /Main, 800 Seiten, 26,99 €

Keine Kommentare: