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Sonntag, 27. Mai 2007

Sprach-Ehrlichkeit 3: Schönreden

Unfrisierte Gedanken zu einer besonders verbreiteten Art der Unehrlichkeit

Vor einiger Zeit hielt ich ein Reportage-Seminar an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg, und eine der Studentinnen porträtierte als Seminararbeit eine Putzfrau. Die nennt man inzwischen „Raumpflegerin“ oder „Hygienetechnikerin“, aber das ändert nichts an den traurigen Tatsachen: Ihr Job bleibt schmutzig und mit sieben EURO die Stunde schlecht bezahlt. „Putzfrau“ ist kein Beruf mit einem tollen Image. Aber auch wenn das Schönreden etwas daran ändern könnte, würde sich doch nur das Image ändern, nicht die Arbeit dieser Frau und nicht die Geringschätzung ihrer Dienste. Für viele sind die „Putzgeschwader“ meistens nur lästig.

Schönschwätzer aus Politik und Interessenvertretungen gibt es schon lange, aber seit einiger Zeit scheinen sie Hochkonjunktur zu haben. Immer wieder setzen sie Begriffe in die Welt, die hässliche Tatsachen in einem schöneren Licht erscheinen lassen: „Nullwachstum“ statt Stillstand, „Freisetzung“ statt Entlassung, „Agentur für Arbeit“ statt des frust- und angstbesetzten Wortes „Arbeitsamt“, „Flexibilität“ für die freizeitfressende, kräftezehrende und beziehungsfeindliche Existenz unfreiwilliger Jobnomaden oder Pendler: Das ist doch alles bloß verbale Kosmetik an einer unguten Realität. Auch „Preissteigerung“ klingt wesentlich besser als die gute alte Inflation oder Geldentwertung. Da ist doch immerhin der Begriff „Steigerung“ drin, und das klingt positiv – auch wenn Flutopfer einen steigenden Wasserspiegel gar nicht gut finden. Für mich sind das sprachliche Sünden gegen die Ehrlichkeit, also eigentlich Lügen.

Aber Vorsicht, Glatteis: Sünde ist ja nicht gleich Sünde. Früher war diese Bezeichnung allein den Verstößen gegen göttliche Gebote vorbehalten. Sie wissen schon: Die zehn Gebote, die Moses vom Berg Sinai mitbrachte. Aber längst sind auch „Verkehrssünder“ gang und gäbe für Leute wie Sie und mich, die schon mal einen Strafzettel wegen Falschparkens bekommen. Wie schon der Kölner Volksschauspieler Willy Millowitsch sang: „Wir sind alle kleine Sünderlein“. Gemeint hat er, und darum war er so erfolgreich: Wir sind alle Sünder, aber nur ein bisschen. Im Grunde sind wir ja ganz ok, Vollkommenheit wäre übermenschlich. Da hat er Recht. Diese Einstellung ist gut für den Humor, mit dem sich unangenehme und schlimme Dinge besser ertragen lassen.

Aber die Islamkonferenz bei Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble in Berlin ist kein Karneval. Und schon gar nicht ist diese Konferenz zur schwierigen Integration muslimischer Mitbürger eine Hochburg rheinischen Humors. Warum berichtet der Minister aber dann, man habe da „ein bisschen Tacheles geredet“? Was ist das, „ein bisschen Tacheles“? Bestenfalls doch zum Schmunzeln, wie seinerzeit der Refrain des Schlagers „Ein bisschen Frieden, ein bisschen Liebe“. Freundliche Augenwischerei eben.
Augenwischerei ist aber oft weder lustig noch augenzwinkernd freundlich. Verstehen manche Zeitgenossen derzeit unter „Nichtraucherschutz“ nicht eher eine handfeste Diskriminierung der Raucher? Man verbannt sie nicht nur aus Restaurants, sondern auch aus Kneipen und selbst bei Kälte und Nässe auf die Straße. Raucherzimmer? – Fehlanzeige. Rauchende Abgeordnete sollen sich im Parlament in einem Glaskasten vorführen lassen. Raucherabteile in Zügen werden abgeschafft. Folgendes erlebte eine Kollegin in einem der letzten Raucherabteile der Deutschen Bahn:
„Iiiih, Mama, guck mal, da sitzt eine Mörderin“, sagt das kleine Mädchen, das mit seiner Mutter durch die Gänge des Zuges spaziert, vor dem geschlossenen Raucherabteil stehen bleibt und mit seinen süßen Patschhändchen durch die Glastür deutet: auf mich und auf meine Zigarette. Wohlwollend nickt die Mama ihrem Töchterchen zu, dann wirft sein einen Blick auf mich, der töten würde, wenn er nur könnte. So wird aus Schönrednerei offene Diffamierung. Was da mit dem Schlagwort „Nichtraucherschutz“ schöngeredet wird, ist schon eine regelrechte Hexenjagd. Geht man so mit zahlender Kundschaft um, mit steuerzahlenden wahlberechtigten Bürgern? [Wenn Ihnen das zu viel Rauch ist, gäb´s eine Alternative: Wer hat nicht gelächelt, als die BILD-Zeitung nach der Wahl von Kardinal Ratzinger zum Papst titelte: „Wir sind Papst“? Es geht auch eine Nummer kleiner mit dieser Form der Angeberei, die ja auch den grauen Alltag etwas schön redet. Als der VfB Stuttgart im Mai deutscher Fußballmeister wurde, stand in der Stuttgarter Zeitung: „Wir sind Meister“. Und zu einem der Bilder, die jubelnde Fans zeigten, schrieb ein übereifriger Lokalpatriot: „So sehen Sieger aus“. Ich dacht, die Fußballer hätten gewonnen. Aber ich will kein Spielverderber sein.]
Ernst Elitz, Intendant des Deutschlandfunks, machte kürzlich in „SONNTAG AKTUELL“ eine bemerkenswerte Entdeckung: „Wenn jede Banalität zur Kultur erklärt wird, kann Kultur nichts mehr wert sein“, schrieb er. Abschreckende Beispiele fand er in verbreiteten Wörtern wie „Gewalt-Kultur“, „Esskultur“, „Körperkultur“, „Haftkultur“ (ja, so nennen manche Leute unseren humanen Strafvollzug) oder „Verwaltungskultur“. Na ja, jedem das seine. Wer sich kulturell mit solchem Käse begnügt, muss es schwer nötig haben.
Auf Schönfärberei zu verzichten, würde bedeuten, unangenehme Dinge auszuhalten und offen auszusprechen. Ich meine, damit käme man der Wahrheit und der ehrlichen Lösung echter Probleme in unserem Land ein wenig näher. Es ist nicht gerade ein Zeichen von Respekt vor den Mitmenschen, wenn man sie manipuliert und dumm schwätzt.

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