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Sonntag, 27. Mai 2007

Öffentliche Sprach-Ehrlichkeit 2: Sprachregelungen

Unfrisierte Gedanken zu einer verbreiteten Anmaßung

Gerade rechtzeitig zum 1. Mai verkündete der sozialdemokratische Arbeitsminister Franz Müntefering eine kleine Sensation: die Bundesagentur für Arbeit hatte zum ersten Mal seit langer Zeit wieder fast eine Million offener Stellen gemeldet. Eine magische Zahl. Aber was der Minister unter einem Stellenangebot versteht, ist nicht für alle ein Stellenangebot. Knapp ein Drittel der Jobs hatte der Computer aus den Internet-Seiten von Firmen gefischt, wo sie vielleicht nur als interne Stellenausschreibungen standen. Tatsächlich zur Vermittlung gemeldet waren also nur zwei Drittel der Angebote. Und von denen wiederum die Hälfte waren keine normalen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse, sondern wurden aus Steuermitteln zusätzlich gefördert. Kurz: Aushilfen, 400-EURO-Jobs, 1-EURO-Jobs und dergleichen.

Die Erfolgsmeldung besteht zu zwei Dritteln aus PR. Was ein Stellenangebot ist, bestimmt im öffentlichen Sprachgebrauch der Arbeitsminister. Er beansprucht die Deutungshoheit für den Begriff und kratzt dabei alles zusammen, was statistisch den Erfolg seiner Arbeit untermauert. Ein faires oder gar ein gutes Angebot ist nicht dasselbe wie ein Angebot, klar? Was aus der Sicht dessen, der eine Arbeit sucht, von der man leben kann, ein Stellenangebot ist, spielt keine Rolle. Der öffentliche Raum ist voll von solchen Sprachregelungen. Und die lassen es meines Erachtens sehr an Ehrlichkeit fehlen. So schön es ist, wenn wieder mehr Menschen in Deutschland erwerbstätig sind, so hässlich finde ich die maßlose Übertreibung, als die sich das Ganze bei näherem Hinsehen entpuppt.

Ein anders Beispiel, damit nicht der Eindruck entsteht, ich hacke hier immer nur auf der SPD oder sozialen Problemen herum: Günther Oettinger, Ministerpräsident von Baden-Württemberg und bekanntlich Christdemokrat, hielt im April eine Rede am Sarg seines verstorbenen Vor-Vor-Vorgängers Hans Filbinger in Freiburg. Filbinger hatte 1978 zurücktreten müssen, weil seine Mitwirkung an Todesurteilen gegen Deserteure im Zweiten Weltkrieg bekannt wurde. Statt etwas zu bedauern, hatte Filbinger uneinsichtig erklärt: „Was damals Recht war, kann heute kein Unrecht sein“. Dieser Landespolitiker war sein parteipolitischer Ziehvater, und den wollte er mit guten Gefühlen verabschieden. Und so nannte er ihn einen „Gegner des Nationalsozialismus“.
Nur Historiker sollten die Frage beantworten, ob Filbinger ein Nationalsozialist war oder nicht. Gegner machten die Nazis jedenfalls in der Regel nicht zu Marinerichtern, sondern einen Kopf kürzer. Aber nicht einmal darum geht es hier. Ministerpräsident Oettinger musste sich nach heftiger Kritik auch in der eigenen Partei von den umstrittenen Aussagen über Hans Filbinger distanzieren und tat dies auch. Er rettete seinen Kopf, aber er tat nichts gegen die „guten Gefühle“, die er anscheinend immer noch mit seinem historischen Vorbild verbindet.

Viel schlimmer aber ist aus meiner Sicht, dass hier ein mächtiger Politiker versucht hat, mit Halb- oder Unwahrheiten das Bild der Geschichte zu verändern. Er wollte Macht auch über die Köpfe und das Denken seiner Mitbürger. Deshalb haben sie ihm den Kopf zurecht gerückt. Das hat dieses Mal funktioniert. Aber solche Versuche der Geschichtsklitterung gibt es immer wieder – von allen Seiten. Dass Oettingers Redenschreiber jetzt im Landwirtschaftsministerium arbeitet, wird daran nichts ändern. Dass Gerhard Schröder in seinen letzten Monaten als Bundeskanzler noch den ehemaligen KGB-Chef Wladimir Putin als einen „lupenreinen Demokraten“ bezeichnet hat, war auch so ein Vorschreiber-Stück. Sprachregelungen dieser Art werden entweder übernommen oder nicht. Manchmal lässt sie auch jemand wie einen Versuchsballon steigen und wartet ab, ob sie sich mehr oder weniger geräuschlos durchsetzen.

Mit das Schlimmste, was einem sprachlich und philosophisch sensiblen Menschen passieren kann, der auch noch großen Respekt vor Religionen hat, ist eine Sprachregelung aus der Welt des Islam: Der so genannte „Heilige Krieg“ ist nicht nur ein unerträglicher Euphemismus und eine problematische Übersetzung aus dem Arabischen. Ein „heiliger Krieg“ ist auch ein Widerspruch in sich selbst – sozusagen eine Kriegserklärung an alles, was uns oder den Muslimen heilig ist. Es ist eine Sprachregelung, die ins Klischee vom Krieg der Kulturen passt, die Verständigung schwer macht, wenn nicht unmöglich, und die sich bereits durchgesetzt hat im öffentlichen Sprachgebrauch. Ein echter sprachlicher Supergau. Das Wort „Dschihad“ bedeutet zunächst einmal "Anstrengung", und die Definition dieses aktiven "Kampfes" gegen das Böse ist auch unter Muslimen absolut umstritten. Die Unehrlichkeit im Sprachgebrauch liegt darin, mit Floskeln wie "heiliger Krieg" Klarheit vorzutäuschen, wo keine ist. Angesichts dieser unheiligen Allianz der Worte sollten Christen und Muslime gemeinsam protestieren.

Anmaßende Sprachregelungen oder Ansprüche auf die Deutungshoheit über Geschichte, Philosophie, Moral oder Religion sind überall, nicht nur in der Politik. Fast jeder Handwerkerverband und Hühnerzüchterverein hat heute seine Sprachregelungen, ganz zu schweigen von religiösen oder wirtschaftlichen Interessenvertretern. Kein Mensch kann diese Ansprüche verhindern. Aber hören muss man nun wirklich nicht darauf.

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