Teodor Currentzis und Vilde Frang |
Am 20. Januar konnte ich mich freuen über ein großariges Konzert des SWR Symphonie Orchesters in der Stuttgarter Liederhalle. Chefdirigent Teodor
Currentzis dirigierte das Konzert für Violine und Orchester von Alban
Berg (1885 - 1935), "Dem Andenken eines Engels" in zwei Sätzen. Das war Zwölftonmusik
von großer Klangschönheit und Ausdruckskraft, gewidmet Manon Gropius,
der Tochter des befreundeten Ehepaares Alma Mahler-Werfel und Walter
Gropius. Sie war für Berg wie die Tochter, die er sich immer gewünscht hatte, und starb mit 18 Jahren an den Folgen einer Kinderlähmung. Die vielfach ausgezeichnete norwegische Solistin Vilde Frang (sie spielt eine Guarneri-Geige von 1734) war für dieses Stück so etwas wie eine Idealbesetzung. Mit ihrer technischen Brillianz und einfühlsamen Interpretation konnte sie bei den Zuhörern ein Kopfkino entzünden, das mit Sicherheit noch lange nachhallen wird.
Nach der Pause folgte die Sinfonie Nr. 8 C-Moll von Dmitrij
Schostakowitsch (1906 - 1975), der die Musik von Alban Berg kannte. Darin hat der Komponist die Erfahrungen
und Verheerungen des Zweiten Weltkrieges in Musik umgesetzt - schwere
Kost und ernst, aber ganz große und ethisch gewichtige Kunst. Das Orchester und sein Dirigent
in Höchstform. Diese achte Sinfonie ist geprägt vom deutschen Ausrottungskrieg im Osten Europas, der fast 27 Millionen Bürger der Sowjetunion das Leben kostete, darunter gut 15 Millionen Zivilisten. Die vorausgegangene 7. Sinfonie entstand noch unter dem Eindruck der Blockade von Leningrad mit über einer Million toten Zivilisten in 872 Tagen. Danach wäre eine Jubelsinfonie über den teuer erkauften Sieg für Schostakowitsch unenkbar gewesen. Er sah in seiner Achten "eine Antwort auf die Ereignisse" einer "schwierigen Zeit". Schließlich lebte der Gewaltherrscher Stalin noch, den Putin verehrt. Weiter geht auch Currentzis nicht, der lange in Russland gelebt hat und Angehörige, Freunde und Kollegen dort nicht in Gefahr bringen will.
Das Konzert war ein Statement, auch wenn das Programm schon vor Beginn des Krieges gegen die Ukraine zusammengestellt wurde. Es war ein intellektuelles Konzert voller Klangchiffren auf den Tod, mit einer modernen Form des Totentanzes und teils bissig-skurrilen, teils aggressiv-bedrohlichen Momenten, das nach Art einer guten Filmmusik dennoch direkt zur Seele sprach. Nur der Finalsatz bei Schostakowitsch - keine schmetternden Siegesfanfaren - enthält einen nachdenklichen Triumph mit gedämpfter Freude: Fortissimo-Dissonanzen münden in einen Pianissimo-Ausklang, über dem "ersterbend" in der Partitur steht. Wir hatten Freunde dabei, die zuvor noch nie ein klassisches
Konzert besucht hatten - und sie waren begeistert!
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