Ein Kea (Neuseeland) |
Um des gleich zu sagen: Wir Menschen haben weder Intelligenz noch Moral gepachtet. Dass wir nicht die Krone der Schöpfung sind, hat sich schon länger herumgesprochen. Aber erst Ludwig Huber von der Veterinärmedizinischen Universität Wien macht deutlich, dass man Intelligenzbestien im Tierreich an Land ebenso findet wie in der Luft oder unter Wasser. Sein Buch begründet sozusagen einen neuen, interdisziplinären Zweig der Naturwissenschaft, der Philosophie und Psychologie, Biologie und Verhaltensforschung umfasst. Als Gründer und Leiter des Messerli-Forschungsinstituts für Mensch-Tier-Beziehungen an der erwähnten Universität hat er sich der Erforschung sowohl der kognitiven als auch der emotionalen Fähigkeiten von Tieren verschrieben. So gesehen ist der Titel des vorliegenden Werkes von geradezu britischem Understatement geprägt. Huber tritt damit in die großen Fußstapfen von Konrad Lorenz und Irenäus Eibl-Eibesfeldt. Hatte der große Verhaltensforscher Lorenz eindrucksvoll Bindungen zwischen Tieren und Menschen beschrieben und demonstriert (legendär wurden seine Graugänse, bei denen er erfolgreich die Mutterrolle übernahm), so übertrug sein Schüler Eibl-Eibesfeldt dessen Erkenntnisse in die menschliche Verhaltenspsychologie und definierte universale kulturelle Konstanten der Wahrnehmung und der Ethik, die er in der Evolutionsbiologie verankerte. Eibls Expeditionen zu den Galapasgosinseln und seine eindrucksvollen Tierfilme, die er gemeinsam mit dem Meeresforscher und Zoologen Hans Hass drehte, zeigen ihn auch als Medienprofi und Schriftsteller. Huber geht mit seinen 58 Jahren so viel weiter, dass einem angesichts des angesammelten, systematisch strukturierten und ausgebreiteten Wissens schwindelig werden kann.
Auf die Frage, ob man Tieren Geist zuschreiben könne, antwortet er eindeutig: "Ja, Tiere haben unzweifelhaft mentale Fähigkeiten, die über rigide, instinktgebundene Handlungskontrolle hinausgehen und damit flexibles Verhalten und vor allem das Lösen von neuartigen Problemen ermöglichen." Sprache und Bewusstsein, besonders von Philosophen, Anthropologen und Linguisten als Alleinstellungsmerkmale des Menschen herausgestellt, die ihn einzigartig machen. Huber zweifelt das an keiner Stelle an, weist aber nach, dass sich die einzigartigen Fähigkeiten des Menschen auf eine breite Palette biologischer Mechanismen stützt, die wir mit anderen Tieren teilen, die ebenfalls kommunizieren und Wissen wie auch Emotionen mitteilen. Er plädiert daher für eine abgestufte Sicht der Dinge. Menschenähnliche Leistungen sind ja nicht nur bei Menschenaffen wie Schimpansen zu beobachten, sondern auch bei bestimmten Papageien und Rabenvögeln, ja sogar Fischen, Reptilien, Fröschen, Bienen und Tintenfischen. Sicher ist die menschliche Kultur nicht zuletzt in ihrer Vielfalt einzigartig, doch man sollte das Kind nicht mit dem Bad ausschütten. Obwohl die Gehirngröße eine gewisse Aussagekraft bezüglich der Intelligenz hat, ist doch die Struktur, der Aufbau des Gehirns und die Art der Verschaltung zwischen den Neuronen von großer Bedeutung. So kommen Keas oder manche Krähenarten mindestens so schlau weg wie Schimpansen. In der Spitzengruppe liegen auch Kraken, Wale und Delfine.
Eine breite Öffentlichkeit begeisterte zudem der Bordercollie, der mit seinem enormen Gedächtnis und einer unglaublichen Gabe fürs Lernen von Wörtern vor einigen Jahren in der ZDF-Sendung "Wetten, dass..." mit Thomas Gottschalk. Ein Nebenraum war mit Hunderten von Plüschtieren gefüllt, und der Hund lief auf Zuruf "Bring..." los und holte etwa "Micky Maus". Zum Schluss löste ein kreativ eine richtige Denksportaufgabe: Die Tiertrainerin schickte ihn los, um ein neues Plüschtier zu holen, das er noch nie gesehen hatte. Er lief los, blieb eine Weile weg und brachte dann das richtige Tier. Es war das einzige, das er nicht kannte, und das hatte er im Ausschlussverfahren identifiziert. Das war schon beeindruckend, zumal Hunde sonst nicht für überragende Intelligenzleistungen aufgefallen sind.
Tiere gebrauchen Werkzeuge und stellen sie her, verstehen logische Zusammenhänge beim Verstecken von Futter und Stehlen, beim Austricksen körperlich überlegener Konkurrenten oder menschlicher Zoowärter. Jeder, der ein Haustier hat, kann ein Lied davon singen. Je verspielter, desto mehr sind Hindernisse auf dem Weg zum Leckerbissen nur eine kreative Herausforderung. Tiere können wir wir planen (etwa wie man Vorräte anlegt), sie haben ein Gedächtnis und können in gewissen Weise "Gedanken lesen", d.h. sich in ein Gegenüber hineinversetzen und dessen Handlungen voraussehen. Sie nutzen eine Vielzahl von "Sprachen", von Warnrufen angefangen bis hin zu komplizierten Balz-Choreographien oder dem "Schwänzeltanz" der Honigbienen, die den Kolleginnen genau mitteilen, wo sie eine neue oder besonders ergiebige Futterquelle entdeckt haben.
Ein Wermutstropfen bei dieser lehrreichen Lektüre ist für meinen Geschmack ein Übermaß an Metastudien. Ich muss nicht die Entwicklung jeder Etappe der Forschung durch jede Schule von Lehrmeinungen in allen beteiligten Disziplinen ausführlich im Für und Wider diskutieren (auch wenn sie inzwischen überholt bzw. widerlegt sind). Da wäre es eine Hilfe gewesen, bei jedem der neun Schwerpunktkapitel eine kurze Zusammenfassung zu haben. Das Buch ist schon so dick geworden, da hätte das wohl kaum geschadet, aber der Lesbarkeit einen einen großen Dienst erwiesen.
Huber beendet seine faszinierende Reise durch die Kognitionsforschung mit einem wirklich übersichtlichen Resümee in 7 Punkten und einer Plädoyer für mehr Verantwortung gegenüber Tieren. Er will nicht nur zeigen, was wir heute üben den Geist von Tieren wissen und wie die Forscher das herausgefunden haben, sondern auch, wozu das gut ist: "Um sie zu retten, müssen wir uns kümmern und kümmern können wir uns nur, wenn wir sie verstehen", sagt er über die oft irrationale und ethisch fragwürdige Einstellung gegenüber Tieren. Beim Italiener muss man ja nicht immer Tintenfisch essen, es gibt auch sehr leckere Pasta-Gerichte. Rühren kann uns auch, was Huber über seine Schweine-Versuchsfarm schreibt: Hausschweine gibt es indessen ja schon häufiger. Wer eins hat, weiß, wie schlau und reinlich die netten Kerlchen sind. Mäuse und Ratten ebenfalls. Das Buch ist also weit mehr als nur eine manchmal etwas mühsame Fleißlektüre zur Befriedigung der Neugier. Ihn treibt auch ein moralischer Imperativ besonders bei Tieren, die wir essen oder bei Tierversuchen einsetzen. Damit ist Huber nicht nur auf der Höhe der Zeit, er sagt Grundsätzliches. Sein Buch dürfte ein Klassiker seiner noch jungen Wissenschaft werden.
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