Peter Frömmig: Sedimente der Zeit. Essays und Erzählungen. Reihe Fragmentarium Bd. 25, 361 Seiten, ISBN 978-3-86356-344-8, €[D]21,00
"Ich bevorzuge Brücken, über die man ohne Beeinträchtigung gehen kann, die auch zum Verweilen einladen. Solche Brücken können ein Gefühl von Leichtigkeit vermitteln und Inspiration hervorrufen. Luftig über dem Wasser, das kraftvoll strömt oder gemächlich dahin fließt, dabei einen festen Halt haben, aufs Geländer gelehnt und die Gedanken dem Fließen überlassen". So schreibt Peter Frömmig zu Beginn seiner "Reflexionen über Brücken", die den Erzählband eröffnen. Wäre er Ingenieur geworden, so der Autor, hätte er sich wohl am liebsten dem Bau von Brücken gewidmet. Und dann erzählt er exemplarisch von der Brücke, die in Tübingen über den Neckar und den Hölderlinturm in die Altstadt führt, der Brücke über die Mulde nahe seiner Geburtsstadt Eilenburg bei Leipzig oder die große Rheinbrücke bei Speyer, deren Einweihung er 1956 als Kind erlebte.
Nicht erzählt er von den Salzburger Brücken über den reißenden Gebirgsfluss Salzach. Über den Mozartsteg, der mit seinen Holzbohlen und seiner luftigen, eleganten Tragekonstruktion ganz seinem Ideal entspricht, sind wir in unserer Jugend beide viele hundert Male hin und her gelaufen zwischen der verwinkelten touristischen Altstadt mit den Stätten der Salzburger Festpiele, dem Dom, dem Café Tomaselli, der Getreidegasse und der alten Universität, wo früher ein Gymnasium war. Thomas Bernhard, Peter Handke und später auch ich teilen schmerzhafte Erinnerungen daran. Peter lief aus der Altstadt über den Mozartsteg wohl oft in die Steingasse am anderen Ufer, wo er einige Jahre lang wohnte. Sie schmiegt sich eng an den Felshang des Mönchsberges und endet hinter dem Hotel Stein, in dem Carl Amery sich das Leben nahm, unweit der Staatsbrücke, über die der Autoverkehr rauscht und über die man aus der Altstadt zum Mozarteum und zu Peters Lieblingscafé Bazar gelangt. Für mich war der Mozartsteg Teil des Schulwegs. Doch Peters Brückenmetapher hat mich in den Strudel eigener Erinnerungen gerissen. Von den unterschiedlichen und gemeinsamen Erinnerungen haben wir 2001/2002 in dem dialogischen Hörbild "Zwischen Getreide- und Steingasse. Salzburg in der Erinnerung" erzählt.
Die "Sedimente" sind nach Art eines Tryptichons aufgebaut: Ein stark autobiografischer Mittelteil "Weg ins Offene", der Etappen von Frömmigs künstlerischen und schriftstellerischen Werdegangs präsentiert, ist eingebettet in seine sehr eigene Bücherwelt. Da umgibt er sich mit allen Autoren, die ihm zeitlebens wichtig waren und sind: Christoph Meckel, Nicolas Born, Peter Handke, Hermann Lenz, Robert Walser und C.H. Artmann, auf dessen Spuren wir in Salzburg gemeinsam unterwegs waren, sind nur die wichtigsten. Sie wurden zu seinen Vorbildern und teils auch seinen persönlichen Mentoren. Der erste Teil bzw. linke Flügel des Tryptichons heißt "Vor und zurück". Er beschreibt die geografischen und intellektuellen Suchbewegungen eines jungen Menschen, der seine Identität und Bestimmung noch nicht gefunden hat. Der dritte Teil oder rechte Flügel mit dem Titel "Vertraute der Schrift" enthält viele neue Texte, die in früheren Publikationen noch fehlen. Es sind in der Hauptsache Porträts von Schriftstellern mit Würdigungen ihrer Werke. Die Auseinandersetzung damit ist nicht theoretisch wie bei vielen Kritikern, sondern praktisch und handwerklich, aus der Sicht des Schreibenden. So gesehen ist das vorliegende Buch weit mehr als ein erzählender Sammelband. Es ist das Buch eines Künstler- und Dichterlebens.
Peter Frömmig, 1946 in Eilenburg bei Leipzig geboren, lebt und arbeitet als Schriftsteller und bildender Künstler in Marbach am Neckar. Schreibt Erzählungen, Essays, Kurzprosa und Gedichte. Zuletzt erschienen u.a. die Bände Im Lichtwechsel. Vier Geschichten zwischen Tag und Nacht (2002), Anderswo. Novelle aus diesen Tagen (2005), Der Strand gehört dem Strandgut. Gedichte und Lieder (2007), Auf langen Wegen in kleiner Stadt, Essay (2010), Am Leben sein. Gedichte und Collagen (2012) sowie Das Rumoren am Rande der Ereignisse. Erkundungen auf Nebenschauplätzen. Prosa-Miniaturen und kurze Geschichten. 2014.
Lieferbare Titel von Peter Frömmig
– „Das Rumoren am Rande der Ereignisse“. Erkundungen auf Nebenschauplätzen. Prosa-Miniaturen und kurze Geschichten. Mit einem Nachwort von Rainer Wochele. edition monrepos Band 5.ISBN 978-3-86356-066-9142 Seiten, €[D14,50
– „Das Haus, in dem die Wörter wohnen.“ Gedichte und Bilder für Kinder und Erwachsene. edition monrepos Band 13. 144 Seiten, ISBN 978-3-86356-143-7, €[D15,50
– „Die Wörter gehen ein und aus„. Gedichte und Bilder. Kids Samlung Bd. 3, 45 Seiten, ISBN 978-3-86356-245-8, €[D]9,90
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