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Donnerstag, 4. August 2022

Und wieder die Abgründe der Geschichte: Spionage im Dienst der Aufklärung

Martin von Arndt: Autor, Musiker
Martin von Arndt: "Wie wir töten, wie wir sterben": Roman, Verlag ars vivendi, 296 Seiten, 19 €

Er hat es wieder getan: einen genialen Mix aus skandalöser Enthüllungsstory und Politthriller geschrieben, dieser Martin von Arndt. Ein Fahrradfahrer, Punkmusiker und Romancier aus Leidenschaft. Sein Name klingt wie von altem Adel, sehr deutsch, führt aber in die Irre. 1968 wurde dieser freundlich lächelnde Mann als Sohn ungarischer Eltern geboren, die vor den Kommunisten über den eisernen Vorhang getürmt waren. Und weil Spionage wohl auch in der Verwandtschaft vorkam, sollte der Name ein wenig Schutz bieten und ein unbelastetes Leben im freien Westen ermöglichen. Das Ergebnis ist eine Existenz zwischen Essen und Stuttgart, Literatur und Musik. Aber immer im Clinch mit den großen historischen Traumata der Deutschen und ihrer Opfer. Die Folgen des Ersten und Zweiten Weltkrieges für Europa und die Welt haben es von Arndt angetan. Seine Antihelden waren immer (und sind noch heute) "freie" Ermittler und Ex-Polizisten oder Geheimdienstler, gezeichnet von den Schrecken des Krieges, und sie jagen die Profiteure des Schreckens. 

Diesmal ist es vor allem der abgehalfterte US-Agent und Preisboxer Dan Vanuzzi. 1961 wird er in Bonn vom französischen Auslandsgeheimdienst angeheuert, weil der sich in Deutschland nicht so frei bewegen kann, weil er unter Beobachtung durch die Siegermächte steht. Vanuzzi soll zwei Mitglieder der algerischen Befreiungsarmee finden und den Franzosen ausliefern, die ihnen Verbrechen im seit sieben Jahren tobenden Algerienkrieg vorwerfen. Um die beiden aufzuspüren, muss Vanuzzi seine ganze Erfahrung aus 20 Jahren Agentendienst einsetzen. Doch schnell wird klar, dass er nur die Drecksarbeit für zwielichtige Figuren machen soll. Niemand ist der, der er zu sein scheint. Und niemand sagt ihm die Wahrheit. 

Daher kontaktiert Vanuzzi seinen alten Kampfgefährten Rosenberg vom Mossad, der als Nazijäger in der BRD hinter dem ehemaligen KZ-Kommandanten Arthur Florstedt her ist, den er nach Israel entführen soll. Die beiden helfen sich gegenseitig, vor allem bei Beschattungen. Florstedt ist bestens vernetzt im politischen Bundesdorf und geht im Kanzleramt ein und aus. Doch auch beim Mossad regieren Kameradenschweinerei und Verrat. Weshalb sich Rosenberg am Ende mit sämtlichen Unterlagen in die US-Botschaft flüchtet und um Asyl bittet. Vanuzzi dagegen erkennt, dass seine französischen Auftraggeber die eigentlichen Kriegsverbrecher sind, koloniale Motive haben und gern Zeugen ihrer eigenen Verbrechen beseitigen wollen.

Martin von Arndt bringt hervorragende Ortskenntnisse aus der Region zwischen Bonn und Essen mit, recherchiert wieder einmal brilliant und hat ein famoses Gespür für die Feinheiten des geheimdienstlichen Versteckspiels. Da er Sportbox-Amateur ist, sind auch seine fachlichen Beobachtungen bei Vanuzzis Boxkämpfen vom Feinsten. Passt alles. Man muss nur höllisch aufpassen, dass man die vielen ineinander verwebten Handlungsfäden aus französischer Kolonialgeschichte und Holocaust nicht durcheinanderbringt.

 

 

 

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