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Donnerstag, 16. Dezember 2021

Wie aus Freiheitshelden Staatsfeinde werden

Wie die Aasgeier setzen sie sich auf jede Katastrophe und schreien: "Der Staat versagt! Die Regierung kann es nicht!" Alle radikalen Impfgegner und Querdenker polemisieren gegen den "Staatsrundfunk", die verpflichtenden Rundfunkgebühren und die GEZ, weil das Teil des Märchens von der regierungshörigen "Lügenpresse" ist, mit dem ihr eigenes Lügengebäude steht und fällt. Sie wollen ja auch am Ende nicht "die Freiheit", sondern eine Diktatur, selbst wenn sie selbst oft nicht wissen, welche. Keine Diktatur kann mit einer freien Presse und kritischen Journalisten klarkommen. 

Quid pro quo: Das ist der erste Schritt für Minderheiten, um die Deutungshoheit an sich zu reißen, was natürlich mit sachlichen Argumenten, Wissenschaft und Fakten nicht gelingt. Da braucht es "alternative Fakten", Verschwörungs-Geraune und dergleichen. Wird der Unsinn nur oft genug wiederholt, obwohl er längst widerlegt ist, glauben erst sie selbst und dann auch die Massen daran. Donald Trump hat es vorgemacht und George Orwell bereits ab 1946 in seinen Romanen beschrieben ("1984", "Die Farm der Tiere").

Seltsam genug, dass dieses Hirn- und Staats-zerstörerische Virus resistent gegen alle Lernprozesse der Geschichte ist. Weder die Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus oder dem real existierenden Sozialismus, noch die autoritären Herrscher von Russlend, Belarus, China, Brasilien oder Saudiarabien und die seltsamen Mischungen aus Populismus und Autokratie bei Boris Johnson, Polen unter Jarosław Kaczyński oder Viktor Orban in Ungarn haben sie von ihrem Wahn geheilt. Die Neue Rechte und ihr Vordenker, der Verleger Götz Kubitschek haben ihre Zentrale nicht zufällig im sächsischen Schnellroda, wo der braune Sumpf besonders aktiv ist und ihnen ein gutes Biotop bietet. Das alles kann man nachlesen in dem hervorragend recherchierten Buch "Die autoritäre Revolte" von Volker Weiß.

Vor allem deshalb ist es so gefährlich, den Anfängen nicht entschieden genug zu wehren. Nur schmerzhafte Geldstrafen oder der Gummiknüppel überzeugen, wo gutes Zureden und eine freundliche Ermahnung nur mit dem Stinkefinger oder Hohngelächter quittiert und Gesetze missachtet werden. Sowohl in Stuttgart, als auch in Berlin oder Sachsen ist die Polizei zunächst nicht gegen den organisierten und massenhaften Gesetzesbruch vorgegangen, weil es verfehlte politische Vorgaben so wollten. Gebetsmühlenartig haben Bürgermeister und Richter davon gefaselt, welch "hohes Gut" die Versammlungs- und Meinungsfreiheit im Grundgesetz sei, als ob wir keine Ahnung davon hätten. Ohne eine Abwägung mit dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu treffen. Auch die öffentliche Ordnung darf inzwischen gestört werden. Und jetzt haben wir den Salat. Nun meinen die Demonstranten, sie hätten das "Recht auf Widerstand", und radikalisieren sich ungestraft immer weiter. Die "wehrhafte Demokratie" wird da zum Papiertiger. Das hätten Politiker wissen MÜSSEN, die bloß Angst vor unpopulären Bildern von "Polizeigewalt" hatten oder gerade im Wahlkampf steckten und keine Stimmen von Rechts verlieren wollten.

Es ist irgendwas zwischen blauäugig und verrückt, juristisch auf die "Selbstheilingskräfte" des Systems oder die "Selbstreinigung" der Anwaltskammer zu setzen, so lange es nicht einmal deren Ehrengerichte schaffen, gewissen Anwälten die Zulassung zu entziehen. Es sind immer die selben (relativ wenigen) Personen, die AfD, NPD, Querdenker und andere rechte Gruppen beraten und vertreten. Sie sorgen für die Verbreitung aller schmutzigen Tricks, die es gibt, um die Staatsmacht auszumanövrieren, die Polizei ins Leere laufen zu lassen und die Justiz zu verhöhnen. Sie untergraben den Staat und laufen doch frei herum.

Telegram und sein Gründer und Alleinherrschr Pavel Durov sind ein Trauerspiel für sich. Einst geheiligt und für unantastbar erklärt, weil sich der Multimilliardär mit Putin anlegte, Russland verlassen musste und im Exil Telegram als Netzwerk und Organisationsplattform für Proteste gegen echte Diktaturen wie in Belarus schuf. In Russland folgen dem Unterstützer von Alexej Nawalny immer noch ca. 50 Millionen User. Doch inzwischen verabreden sich auch die Querdenker zu illegalen Corona-Parties und die "freien Sachsen" organisieren nicht nur ihre illegalen "Spaziergänge" aus Protest gegen die Corona-Auflagen. Neu ist jetzt: Schamlos instrumentalisieren sie den Kampf gegen die Pandemie. Sie tragen weder Masken noch halten sie Abstand. Die selbst ernannten Freiheitshelden und Verteidiger der Verfassung werden auch immer häufiger gewalttätig. Das geht bis zu offener Einschüchterung von Politikern, Journalisten und Wissenschaftlern. Auf Telegram wurde auch zum Mord am sächsische Ministerpräsidenten Kretschmer konspiriert. Eine erste Razzia auf Anregung von Journlisten, die dokumentierten, was in einer Telegram-Chatgruppe geschah, förderte bereits Schusswaffen und konkrete Anschlagspläne zutage. 

Ok, es ist nicht einfach, diese Tarnkappenveranstaltung auffliegen zu lassen und ein paar Grundregeln zum Schutz der Dekokratie durchzusetzen. Telegram sitzt mit seinem Gründer in Doha (Vereinigte Arabische Emirate) und seine Macher sind vermutlich bestens vernetzt. Ihr fanatischer, einseitiger Freiheitswille respekt bisher kein Gesetz und keine Kontrolle. Doch wo bleibt der internationale politische Druck auf Interpol, Durov und die Behörden in Doha, dem Spuk ein Ende zu machen (den ich in seiner Schrankenlosigkeit anarchistisch und kriminell nennen möchte). Ich glaube kaum, dass ein AfD-Politiker als Vorsitzender im Innenausschuss des Deutschen Bundestages bereit wäre, die Demokratie vor Telegram zu schützen. Bei Pavel Durov und den Arabern am Golf ist aber Vertrauensseligkeit ebenso wenig angebracht wie bei Wladimir Putin oder Lukaschenko, der NSA oder Donald Trump oder selbst Alexej Nawalny. 

Telegram muss transparent werden: Welche Regeln sollte es geben und was sollten die Verantwortlichen tun, damit die Auswüchse aufhören? Wenn sie schwurbeln und dumme Ausreden vorbringen, muss der Druck erhöht werden. Wie das geht, ist bekannt. Zum Beispiel müssen die App-Stores von Google und Apple den Zugang zu Telegramm oder bestimmte Accounts sperren bzw. löschen, wenn sie für Straftaten missbraucht werden. Aber man muss es machen! Auch die Panama-Papers sind aufgeflogen oder der kriminelle Cyber-Bunker von Traben-Trarbach. Auch Durov wird nachgeben und Spielregeln akzeptieren müssen. Er hat das schon einmal getan, als die App-Stores (auf Betreiben Putins) drohten, Telegram zu sperren bzw. rauszuwerfen. Das war der Grund für Durovs Verkauf der ersten Plattform an einen Putin-Vertrauten und Durovs Weg ins Exil. Er hat weltweit 500 Millionen User bzw. Kunden; man muss ihm klar machen, dass er die verlieren könnte, wenn er nicht kooperiert.

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