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Samstag, 18. Dezember 2021

Scheiß-Blase! Sasha Marianna Salzmann: "Im Menschen muss alles herrlich sein"

Sasha Marianna Salzmann: "Im Menschen muss alles herrlich sein",  Roman. Suhrkamp Verlag, 380 Seiten, 24 €

"Natürlich wollte ich wissen, was passiert ist", heißt es am Anfang des Romans, der gleich zeigt, dass die Verfasserin eine versierte Theaterautorin und Dramaturgin ist. Sie fährt fort: "Was überhaupt passiert ist, bevor Edi im Hof zusammengeschlagen wurde. Sie lag auf der Wiese, ihre Haare ganz bleich und schmutzig. Meine Mutter kniete neben ihr, Tante Lena brüllte die beiden zusammen." Ja, so könnte ein Theaterstück oder ein Film anfangen, vielleicht kommt das noch. Die Ich-Erzählerin Nina wird das aber so nicht erfahren, auch das warum und wieso wird nicht aufgelöst. Schnitt. Weiter geht es stattdessen nur in chaotischen Bruckstücken und Szenen, die Salzmann ebenfalls chaotisch in vier Lebensgeschichten erzählt. Dabei wechselt die Erzählperspektive, mal Ich, mal er/sie es, die Protagonistin (mal Mutter, mal Tochter) der Schauplatz, und selten kriegt der Leser auf Anhieb mit, wo er gerade ist und bei wem. 

Die Sprünge durch die Generationen, Chronologie, Orte und Personal sind ziemlich wild. Das hat Methode und nervt ein bisschen. Wie Onkel Lew mit seinen Konventionen (wessen Onkel, verdammt?), der Nina mit ihrer Mutter zur Fete in der Jüdischen Gemeinde lotst, natürlich im weißen Hemd kommt und erklärt, mit der eigenen Mutter breche man nicht, egal warum. Oder wie Nina das Verhalten der Mutter und ihrer Freundin  nervt: "Tante Lena fauchte meine Mutter an: Warum verheinlichst Du mir - weißt du nicht -?, und meine Mutter zurück: Es geht niemanden etwas an, wenn ich sterbe." Aha. Sie ist also todkrank und will heile Welt spielen.

Bis auf den blöden Titel hat Salzman aber mit ihrem Roman ein tolles Buch geschrieben: Die Geschichte von vier Frauen aus der Ukraine ist ein Genre-Bild aus der Blase russisch-jüdischer Emigranten in Berlin und anderswo in Deutschland. Die Freundinnen Lena und Tatjana und ihre Töchter Nina und Edi haben die schlimmsten Umbruchzeiten vor und nach der Perestroyka erlebt und doch sehr unterschiedliche Lebenserfahrungen gemacht. Ihre Wege trennen sich irgendwann durch eine nicht synchronisierte Emigration. Tatjana und Nina sind in Jena gestrandet und haben noch einmal von vorne angefangen, was auch immer das heißen soll, und treffen erst bei Lenas fünfzigstem Geburtstag in Berlin wieder zusammen. Auch alte Bruchlinien und neue Verwerfungen zeigen sich.

Man lernt so einiges über den Blick von Menschen aus der jüdischen Gemeinde, die Mitte der Neunziger Jahre als Kontingentflüchtlinge nach Deutschland kamen. Da ist so viel russisch, aber auch so viel deutsch. Viele, vor allem die Älteren, haben sich nie integriert, hängen an alten Gewohnheiten,sind Jowjetmenschen gelieben, die zufällig jüdisch sind und gerade bei Familienfeiern rsgionale Bräuche oft nicht von religiösen Ritualen trennen oder miteinander vermengen. Einer lesbischen Punk-Frau, die mit all dem gebrochen hat, stellt sich dieses Leben als besonders skurril und bizarr dar, anders jedenfalls als einer Ärztin, einer Lehrerin oder einer Geschäftsfrau. Es zeigen sich auch unbelehrbar Erwartungshaltungen an Geschlechterrollen und die Enttäuschungen, für die das sorgt. 

Und es zeigt sich ein Grundproblem: Die Leute reden zu wenig miteinander, verschweigen alles Peinliche, Unangenehme, alles, was im Widerspruch zum eigenen Lebensentwurf oder Glück steht: Krankheit, Sucht, Isolation, Misserfolg werden verdrängt. "Die Leute schlossen die Augen, um sich in die Vergangenheit zurückzudenken und so lange Unwahrheiten zu erzählen, bis sie stimmten. Immer und immer wieder. Alle hatten sich auf eine Welt geeinigt, die draußen nicht mehr stattfand, und hoben darauf die Gläser."

Beim Feiern vergessen alle, dass und warum sie die Heimat verlassen haben, Armut, die Diktatur, die Korruption in der Sowjetunion, die sich auch unter Gorbatschow fortsetzte, die Pionierlager in den Sommerferien und das Studium in Dnjepropetrowsk, die geliebte Oma in Sotschi mit ihren Säcken voller Haselnüsse, die erbärmliche Hütte, in der sie lebte und starb, die Whiskyschmuggler auf der Krim, das Softeis auf der Strandpromenade. Für solche Erinnerungen findet die Autorin starke, eindrückliche Bilder. Das Leben war Scheiße, aber es wird glorifiziert. Umso krasser darum der Kontrast in Jena und Berlin: Auch hier scheitern Beziehungen, auch hier kein echtes Wurzelschlagen, sondern Fremdheit und Befremden, auch hier die gleichen Vorurteile und ewigen Diskussionen am heimischen Esstisch. "Meine Tochter wischt kein Erbrochenes von Krankenhausböden auf". 

Das gemeinsame Erbe in dieser Blase lässt die verschiedenen Geschichten und Orte der Handlung verschwimmen. Scheiß-Blase! möchte man rufen. Das Leben ist nun mal nicht herrlich und in den Menschen immer der gleiche Sack voller Scheiße. Mit "jüdisch" hat das überhaupt nichts zu tun.

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