Die Landtagspräsidentin in der Stiftskirche |
Und dann trat eine Frau ans Pult und sprach 15 Minuten über ihre persönlichen Erfahrungen mit Freiheit und ihren Umgang damit: Muhterem Aras ist eine kurdische Alevitin aus Ostanatolien - "sehr frei" aufgewachsen, und kam mit 12 Jahren als Gastarbeiterkind nach Stuttgart. Unfreiheit lernte sie erst kennen, als sie in die Schule kam und erleben musste, dass staatlich-sunnitische Religionslehrer sie als kurdische Alevitin diskriminierten. "Wenn die eigene Musik und Sprache verboten ist, spürt man das als schweren Eingriff in die persönliche Freiheit", sagte Aras.
Muhterem Aras mit Chefdramaturg Henning Bey und Intendant Gernot Rehrl |
Heute hat sie zwei Kinder, führ eine eigene Steuerberater-Kanzlei und ist eine der bekanntesten Politikerinnen bei "Bündnis 90 Die Grünen" in Baden-Württemberg. Nach den Pogromen in Hoyerswerda und Rostock war sie starr vor Angst, ging nicht mehr aus und verkroch sich eine Zeitlang. Doch dann setzte sich Entschlossenheit durch: "dieses Land, das auch mein Land ist, lasse ich mir von solchen Rechten nicht wegnehmen!" Sie engagierte sich politisch, weil sie der Gesellaschaft, die ihr so viel Freiheit ermöglicht, etwas zurückgeben will. Seit 1993 ist sie Mitglied bei den Grünen, ab 1999 im Stuttgarter Gemeinderat und seit 2011 als Landtagsabgeordnete. Sie hielt ein flammendes Plädoyer für das deutsche Grundgesetz: "Je mehr ich herumkomme in der Welt, desto mehr liebe ich dieses Land und sein Eintreten für Vielfald, Toleranz, Menschenrechte und Solidarität".
Muhterem Aras hat gelernt, dass man für die Freiheit praktisch jeden Tag kämpfen und die Freiheit der anderen auch dann respektieren muss, wenn es schwer fällt - etwa bei voll verschleierten Frauen auf der Straße. Auch hier und heute, beim Musikfest Stuttgart in der evangelischen Stiftskirche. Dass sie hier sprechen durfte, wollte nicht jedem gefallen. Einzelne Musikfreunde murrten darüber, "dass man am Ende den Beifall für Johann Sebastian Bach mit so jemandem teilen muss". Aber erstens sind auch diese Bruddler ja immerhin gekommen, und zweitens ist "so jemand" seit 2016 Stuttgarter Landtagspräsidentin, die zweithöchste Repräsentantin unseres demokratischen Rechtsstaates. Wäre ja noch schöner, in die Kirche zu gehen und dann Menschen ausgrenzen zu wollen.
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