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Oxana Maksymchuk © Natalya Mykhailychenko |
Noch nie habe ich Gedichte gelesen, die so nah am Krieg waren. Es sind keine Gedichte über den Krieg, es sind Gedichte aus dem Krieg. Dabei hat die Autorin weder im Schützengraben noch im Luftschutzkeller gesessen. Aber sie hat die russische Invasion im Kopf und im Herzen wie MiIlionen ihrer Landsleute, permanent. Wie kann man da noch Gedichte schreiben?
Das Buch strahlt eine unterkühlte Hellsichtigkeit aus, ist auf eine gespenstische Weise distanziert und wohl gerade deshalb von geradezu durchdringender Konzentration. In der unerbittlichen Präzision und Genauigkeit der Gedichte liegen nicht nur Angst und Grauen offen, sondern auch das Gegengift: Widerstandsfähigkeit. Immer wieder zeigt sich eine Resilienz, die das Buch zu einem Leitfaden für seelisches Überleben macht. Die Natur bleibt ungerührt immer die Natur.
Oksana Maksymchuk wurde 1982 in Lviv/Lemberg in der Ukraine geboren. 1997 zog sie mit ihrer Mutter nach Illinois/USA. Als promovierte Philosophin kehrte sie in ihre Heimatstadt Liv zurück, befand sich jedoch bei Kriegsausbruch im Februar 2022 mit ihrem Sohn auf einer Reise in Ungarn und lebt seitdem im Exil. Die zweisprachige Dichterin ist Autorin mehrerer Gedichtbände in ukrainischer Sprache sowie Mitherausgeberin der Anthologie "Words for War: New Poems from Ukraine".
Bilder dieser zeitweiligen Distanz in Nahaufnahme zeigen zuerst ein extremes Bemühen um Sachlichkit, Objektivität, (einen "kühlen Kopf", wenn man so will). Das Buch entstand zudem in englischer Sprache, weil, so Maksymchuk in einem Interview mit Sasha Dugale für PN Review, das Englische ihr die "Illusion einer zeitweiligen Distanzierung" gegeben habe, die es ihr erlaubte, mit "einer freieren, ausgeglicheneren Stimme" zu sprechen. Eine zusätzliche Ebene der Distanzierung entsteht noch durch die Übersetzung ins Deutsche. Leser dieser Texte sollten aber nie vergessen, dass die Dichterin auch eine gelernte Philosophin ist.
Ich kenne aus eigener Erfahrung die Macht der Versuchung, aus einem Gedicht immer dann, wenn es besonders wichtig wird, einen Essay zu machen. Und ich verdanke Johannes Poethen die mitunter schmerzvolle Lehre: Mach kein Gedicht zum Essay, das geht schief. Da hilft nur, gnadenlos zu streichen und zu kürzen (manchmal). Das Gedicht "Ordnungen der Dringlichkeit" ist für mich zum einen die hohe Schule dieser Vermeidungslehre und zum anderen ein grandioses Plädoyer für ein poetisches Dennoch, das zu einem Akt des Überlebens und Widerstandes wird:
Ansingen gegen das Vergessen: die vornehmste Aufgabe der Literatur. Das ist die reine Selbstbehauptung und Selbstermächtigung gegen Angst, Tod und Zerstörung, letztlich etwas Unzerstörbares und der Grund, warum Diktatoren Poesie und Poeten fürchten und verfolgen.

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