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Die Degerlocher Kantorei in der Versöhnungskirche |
Am Palmsonntag, dem 13. April konnten Freunde alter Chormusik in der Versöhnungskirche unter dem Stuttgarter Fernsehturm eine barocke Wiederentdeckung erleben: die "Passion nach dem Evangelisten Johannes und Weissagung des Proheten Jesaia zum Leiden und Sterben Jesu" für sechsstimmigen Chor a capella aus dem Jahr 1631. Das Werk stammt von Christoph Demantius, einem der großen, heute (so gut wie) vergessenen Volkalkomponisten der späten deutschen Spätrenaissance am Übergang zum Frühbarock. Der gebürtige Böhme wirkte zeitlebens als Domkantor in der Stadt Freiberg.
Die Stadt gilt als das älteste und wichtigste Zentrum des sächsischen Bergbaus und wurde durch seine Silberbergwerke in 800 Jahren reich. Hier wusste man gute Musik zu schätzen und konnte sich einen Domkantor leisten. Dessen selten aufgeführte Johannespassion ist rein motettisch angelegt, also eine A-capella-Komposition ohne Instrumentalbegleitung und Solisten. Demantius ist im gleichen Jahr geboren und gestorben wie Claudio Monteverdi, und mit dem Italiener teilt er nicht nur den üppigen polyphonen Schönklang, sondern auch neue musikalische Ideen in Kombination mit der eigentlich schon aus der Mode gekommenen Kompositionsform der Motette. Das Ergebnis ist ein Klanggewebe aus starker Polyphonie (doch schnörkellos, ganz ohne Koloraturen) und homophonen, wie eine Folge von Akkorden gestalteten Passagen, in denen die Sängerinnen und Sänger gleichzeitig denselben Text singen. Außerdem übernahm Demantius aus Italien (früher als etwa Heinrich Schütz und Johann Sebastian Bach) mutig das ausdrucksstarke Stilmittel ausgeprägter Dissonanzen, die damals eigentlich nicht erlaubt waren.
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Barbara Straub mit Claus Schulten |
Trauer und Schmerz sollen in dieser Passionsmusik hörbar werden. Und sie wurden hörbar. Stilbewusst, intonationssicher und expressiv sang die Degerlocher Kantorei unter der Leitung von Bezirkskantorin Barbara Straub, die einmal mehr mit viel Gespür für Historie das Programm ausgewählt hatte und ganz im Dienst der leidenschaftichen Deklamation dirigerte. Rhythmisch differenzert führte sie die Sängerinnen und Sänger durch diese starke Passion, immer im Sinne einer Textausdeutung, in der Demantius die Zuhörer zum inneren Nacherleben und Mitempfinden der grausamen biblischen Szenen anregen wollte. Als etwa Jesus auf die Frage des Hohen Priesters nach seiner Lehre sagt, er habe immer öffentlich gesprochen und verstehe darum die Frage nicht, schlägt ihn einer der Soldaten, und nur die Männerstimmen wiederholen in einem dramatischen Crescendo drei Mal die Frage Jesu: "Habe ich übel geredt, so beweise es. Habe ich aber recht geredt, warum schlägst du mich?"
Der Komponist hat dem Passionstext des Evangeliums nach Johannes die Weissagungen des Propheten Jesaia zur Seite gestellt, die man als Prophezeihung des Leidens Christi interpretieren kann. Der Cembalist Claus Schulten spielte zwischen den je drei Teilen von Passion und Weissagung Neue Musik für mitteltönig gestimmtes Cembalo aus dem Zyklus "Von 12 Perlen sind die Tore - die 12 Edelsteine des himmlischen Jerusalem" (2019) von Hans Peter Braun, die "Galiarda Dolorosa" von Peter Philips (1561 - 1628) und eine Pavane von William Byrd (1543 - 1623).
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