So verroht ist also inzwischen die Sprache etablierter Feuilletons, wenn der blanke Hass regiert. Teodor Currentzis, der Chefdirigent des Stuttgarter SWR Symphonieorchesters, ist ein genialer Star, ein umjubelter und beliebter Musiker der Extraklasse. Der Grieche hat aber auch einen russischen Pass und ist politisch umstritten. Vor allem seit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine wirft ihm eine kleine, aber lautstarke Gruppe vor, sich nicht ausreichend deutlich gegen Vladimir Putin zu positionieren und öffentlich von dessen Krieg zu distanzieren. Besonders respektlos und aggressiv agiert dabei Moritz Eggert, Präsident des Verbandes deutscher Komponistinnen und Komponisten. Der Mann polarisiert und polemisiert, wo er nur kann. Und zu seinem Sprachrohr hat sich die Stuttgarter Journalistin Susanne Benda gemacht, die für die "Stuttgarter Zeitung" und die "Südeutsche Zeitung" schreibt (die beide dem gleichen Verlegerkonsortium gehören). Hier ist ein spezieller, besonders infamer Populismus zu beobachten, der immer öfter in die unterste Schublade sprachlicher Verrohung greift. Die Blaupausen dafür liefert der feine Herr Moritz Eggert. Doch niemand zwingt dazu, dessen Entgleisungen auch genüsslich zu übernehmen. Außer, die Herren Verleger wollen das so. Man kann ja über Currentzis denken, wie man will. Und einen Krieg zu verurteilen kann doch nicht schlecht sein, oder? Aber so zu reden wie Moritz Eggert, ist undiskutabel und sollte es bleiben: "Zu diesem Krieg zu schweigen, ist ein Tritt in die Fresse von Schostakowitsch, Herr Currentzis!"
"Einen
guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht
mit einer Sache, auch nicht mit einer guten" (Hanns Joachim Friedrichs).
Gegen diesen Ehrenkodex ihrer Zunft verstößt Susanne Benda von der
"Stuttgarter Zeitung" mit unschöner Regelmäßigkeit, wenn es um den
Chefdirigenten des SWR Symphonieorchesters Stuttgart geht. Der zieht es nämlich vor, sich der Kunst zu widmen und nicht dem russophoben Geschrei von Leuten, die die um jeden Preis eine eindeutige
Positionierung gegen Vladimir Putin und seinen Krieg fordern - bis hin
zur Nötigung und ohne Rücksicht auf die Folgen, die sie ja nicht selbst tragen müssen. Wobei es stets Sache der selbst ernannten Moralwächter
bleibt, wie viel Positionierung denn nun genug ist und welche nicht.
Es ist meiner Meinung nach besonders perfide, die pöbelnde
Wortwahl der untersten Schublade von Eggert als Zitat zu übernehmen, ohne sich zumindest verbal davon zu distanzieren. Ich finde, das erfüllt alle Merkmale einer politisch
motivierten Hexenjagd. Denn weder schweigt Currentzis zu diesem Krieg,
noch tritt er Schostakowitsch "in die Fresse". Er verehrt ihn vielmehr,
das zeigen viele Konzerte der letzten Jahre mehr als deutlich. Der
Gossenjargon führender Kulturvertreter gegenüber einem überragenden
Künstler, der sich einfach der geforderten Unterwerfung unter bestimmte
Formen des Kotau verweigert, bringt solche Leute zur Weißglut. Mit
Schaum vor dem Mund lobt Frau Benda den Dirigenten Currentzis in den
höchsten Tönen, um dann festzustellen: Die Schere zwischen Politik und
Kunst schließt sich bei Currentzis so wenig wie bei Schostakowitsch.
Auch wenn sie das gerne anders hätte, sie wird es aushalten müssen. Auch wenn es, mit Verlaub, eine Schande ist, wenn sie so ein wunderbares Konzert zum Podium für ihre Schmutzkampagne herabwürdigt.
Eine großartige Uraufführung erlebte das Publikum nämlich am 22. und 23. September beim ersten Abonnementkonzert des Stuttgarter SWR Symphonieorchesters zum Auftakt neuen Saison in der Liederhalle: "Gospodi Vozvah", eine Psalmodie für Viola und Orchester, großartig und intensiv gespielt von dem französischen Bratschisten Antoine Tamestit. Als Chefdirigent Teodor Currentzis und der Solist den serbischen Komponisten Marko Nikodijevic beim Schlussapplaus auf die Bühne holten, stand er da ein bisschen schüchtern und verloren, sichtlich war ihm so viel Lob und Aufmerksamkeit fremd. Zur Zeit kenne ich keine ergreifendere Trauernusik auf den Zustand der geschundenen slawischen Seele im Krieg.
Ganz anders nach der Pause die Sinfonie Nr. 13 B-Moll von Dmitrij Schostrakowitsch (Babi Jar). Die Komposition ist eine Klage über den größten Massenmord an Juden außerhalb der Vernichtungslager. Am 29. und 30. September 1941 erschossen in einer Schlucht bei Kiew deutsche Soldaten und ihre ukrainischen Helfer über 33.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder. Jewgeni Jewtuschenko beklagte in dem Gedichtzyklus "Babi Jar", dass wegen des latenten Antisemitismus in Russland niemand bereit war, dort auch nur eine Gedenktafel zu errichten. Noch Nikita Chruschtschow wollte diesen Massenmord totschweigen. Die Vertonung der Jewtuschenko-Gedichte durch Dmitrij Schostakowitsch und ihre Uraufführung waren daher auch 1962 noch riskant. Die Texte sangen ein hervorragend einstudierter Estnischer Nationaler Männerchor und als Solist der herausragende russische Bass Alexander Vinogradov. Ein ergreifender dramatischer Abend. Das Publikum bedankte sich mit Bravorufen, stehenden Ovationen und lang anhaltendem, begeistertem Applaus.
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