In schöner Offenheit schreibt sie gleich zu Beginn: "Von mir wollte noch kein Ostdeutscher und keine Ostdeutsche wissen, welche Vorstellungen ich von der DDR hatte, was Mauerfall und Wiedervereinigung in meinem Leben für eine Rolle gespielt haben und wie ich Ostdeutschland heute wahrnehme". Es gab viele guter Dinge in der DDR: Sichere, wenn auch oft beschissene Abeitsplätze, Kinderkrippen für berufstätige Frauen, ausreichend sozialen Wohnungsbau, die Poliklinik, eine professionelle Autorenausbildung am Leipziger Johannes-R.-Becher-Institut, Kultur in den Betrieben, eine großartige Versorgung für Kulturschaffende, sofern sie nicht in offener Opposition waren, phantastische Autorenhonorare. Aber das wenigste davon wurde gewürdigt, (wie überhaupt die Lebensleistung der Menschen), nichts wurde übernommen, das meiste erst mal geschlossen. Stattdessen kamen Autobahnen, schön sanierte historische Innenstädte, aber auch Massenarbeitslosigkeit, die Betrügereien der "Treuhand", viel Besserwisserei und Wirtschaftskriminalität.
Das Gerede über "blühende Landschaften" erwies sich sehr bald als Gewäsch ohne solide Grundlage. Angesichts von Strukturbrüchen und Millionen zerstörter Existenzen war das "Überstülpen" westlicher Gesetze und Standards auf allen Ebenen vom Berufsabschluss und der Kita-Struktur bis hin zu Kirchen und dem Inhalt der meisten Supermarktregale. Wortbruch und Vertragsbruch hatten Hochkonjunktur, ein beherrschendes Gefühl der vom neoliberalen Turbokapitalismus Beherrschten, davor von der SED Gedemütigten, den inzwischen professionell Unselbständigen. Die, denen ihre Freiheit nichts wert war, weil sie den Preis dafür nicht bezahlt hatten. Die Spaltung der Gesellschaft geht tief und reicht lange zurück, weiter als bis Hoyerswerda und Lichtenhagen. Die Nazis sind im Westen verboten und bekämpft worden, im Osten haben sie als Parteimitglieder überlebt, als Pegina-Marschierer, als russland-affine Putinversteher. Ob das die oft geradezu demonstrative Ablehnung alles Schönen und Guten - von gutem oder auch nur gesundem Essen bis hin zu einer geradezu ideologischen Fixierung auf eine prollige Billig-Einkaufsphilosophie (egal, was da drin ist) rechtfertigt, kann jeder für sich selbst beurteilen. Ich finde so etwas nur einfach provinziell, altbacken und manchmal auch rückständig. Ich mag es, wenn jemand gut und gerne kocht, tolle selbst gemachte Marmelade verschenkt und seine Sachen in Ordnung hält - einfach, weil ich gutes Handwerk (und generell gute Arbeit) zu schätzen weiß. Dem verdankt auch Dagrun Hintze so manches schockierende Aha-Erlebnis.
Einen kapitalen Bock hat Dagrun Hintze aber doch geschossen, das muss bei allem Lob gesagt werden. Es ist nicht der billige Broschur-Einband mit der fantasielosen Abbildung zweier Gartenstühle aus Plastik Ost und West. Es ist die Unterstellung, in Deutschland könne niemand mehr sagen, er habe die Wiedergeburt des Rechtsextremismus aus der sozialen Kältekammer Ost nicht kommen sehen, wenn er das Buch 89/90" von Peter Richter gelesen habe. Niemand, den ich kenne, hat das gelesen. Ich habe keine Ahnung, wer Peter Richter war oder ist, vermutlich ein kluger Mann. Doch es macht mich einfach stutzig, dass ich seinen Namen nicht kenne, obwohl ich mich seit mehr als 40 Jahren mit dem Thema beschäftige. Ich würde gerne noch erfahren, wer das war oder ist. In diesem klugen Buch erfahre ich es leider auch wieder nicht. Schade. Inzwischen habe ich ihn gegoogelt. Er ist Kritiker, Autor Kulturkorrespondent der "Süddeutschen Zeitung" in Berlin, aufgefallen ist er mir aber trotzdem nicht. Das ist der Schicksal der Blasenbewohner. Ich lese eben andere Zeitungen.
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