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Sonntag, 10. April 2022

 

Teodor Currentzis und der Bratscher Antoine Tamestit
Am 7. und 8. April 2022 spielte das SWR Symphonie Orchester unter der Leitung von Teodor Currentzis ein mehr als ungewöhnliches Abo-konzert in der Stuttgarter Liederhalle.

Im Mittelpunkt stand zweifellos der Solist Antoine Tamestit (Viola). Er begann allein, bespielte die ganze Bühne. Er bewegte sich tastend, erst versteckt saß er zwischen den Musikern der hinteren Reihen, bewegte sich dann kreuz und quer, setzte den Boden seines Instruments wie eine Bongo-Trommel ein und flirtete dann musikalisch mit einer Querflötistin, die ganz wunderbar mitpielte im Dialog mit einzelnen Instrumenten, der Harfe, den Bongo-Trommeln des Schlagwerks, dem Kontrabass. Ein sehr veränderter, ernster Currentzis setzte mit dem Dirigieren erst beim ersten Tutti ein. Das wieder einmal grandiose Orchester und ein Geiger von Weltformat spielten sich die Ton-Bälle zu, dass es eine Freude war. Jörg Widmanns Schüler Tamestit nutzte die Freiheiten, die sein Lehrer ihm 2015 dem Konzert eingeschrieben hatte, mit großem komödientischen Talent: Was für ein Konzert, was für Musiker! Nach und nach "unterliegt" der Solist mit seinem Instrument der geballten Tongewalt der schieren Masse und kann sich am Ende nur mit einem Schrei der Verzweiflung gegen den Untergang behaupten. Es ist ein elegischer Abgesang auf die Sehnsucht nach zerstörten Märchenwelten. Das jüdische "Stedtl" der Ukraine klingt mit Klezmer an, "Wenn ich einmal reich wär" meint man zu hören.
Das Konzert war ein großer "Appell für Frieden und Versöhnung" in der Ukraine mit Werken von Oleksandr Shchetynsky (Currentzis ist seit vielen Jahren mit dem Komponisten aus Kiew befreundet). Dessen "Glossolalie für Orchester" wirkte ein wenig wie eine Ouvertüre, dann  folgte Widmanns Violakonzert. 
Nach der Pause gab es die Sinfonie Nr. 5 von Dmitrij Schostakowitsch. Unter dem Titel "Mein Schostakowitsch" hat der ukrainische Komponist der "Glossolalie" fürs Programmheft geschrieben, diese Musik sei ein Zeichen der Auflehnung gegen Unfreiheit, Gewalt und Gesetzlosigkeit zur Stalinzeit gewesen: "Im Widerstand der Ukrainer gegen die neue Barbarei des Kreml ist Schostakowitsch mit seiner Musik unser aufrichtiger Verbündeter." Damit nicht genug, gab das Orchester als Zugabe den Bach-Choral "Jesus bleibet meine Freude, meines Herzens Trost und Saft, Jesus wehret allem Leiden, er ist meines Lebens Kraft". Hier spürte man, dass Currentzis ein gläubiger Mensch ist.
Einige Musiker spielten weiter, andere sangen - und mir kamen die Tränen. Das war ein Gebet um Frieden vor 2000 ergriffenen Menschen. Die Leute haben verstanden. Standing Ovations. Currentzis hält keine Fensterreden. Seine Sprache ist die Musik. Doch nicht verstanden hat es Susanne Benda. Die Kritikerin der Stuttgarter Zeitung lobt erst Currentzis und das Konzert ausführlich, um dann den zweiten Versuch zu machen, den Dirigenten öffentlich unter Druck zu setzen. Er soll seine Kunst und die seiner Musiker zur Waffe machen. Es ist eine völlig sinnlose, verquere Zumutung. Es ist die idealistische Forderung einer Frau, die nichts verstanden hat. Die tatsächlich zu glauben scheint, man dürfe Künstler nötigen, sich auch verbal zu positionieren. Das ist ungehörig, verantwortungs- und respektlos, und sie sollte sich schämen! Man weiß, dass Currentzis Verwandte, Freunde und viele Kolleginnen & Kollegen in Russland hat. Und die soll er einem Regime aussetzen, das für seine Sippenhaft berüchtigt ist? Kunst ist nun mal keine Waffe, die einen wie Putin beeindrucken könnte. Sie ist Licht und Trost in finsteren Zeiten, wenn wir das zulassen. Hier war das auf eindrucksvolle Weise der Fall.

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