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Dienstag, 2. März 2021

Stuttgarter Lyrik-Köpfe: alles nur geklaut?

Kleiner aktueller Beitrag zum Thema Lyrik und die große Verachtung für Kunst in der öffentlichen Wahrnehmung - speziell zu Corona-Zeiten: Eben öffne ich einen Flyer der Stadtbücherei Stuttgart, wo Festangestellte das Programm machen und solche Dinge mehr. Da steht eine große Werbung drin für einen Stuttgarter Lyrik-Cast in Farbe. Für diesen "crossmedialen Pod- und Video-Cast werden 30 Lyrikerinnen und Lyriker der "Literaturszene Stuttgart" mit zwei Gedichten von einer Schauspielerin und einem Schauspieler präsentiert - natürlich mit Fördergeld des Kunstministeriums. 12 der klugen Köpfe werden sogar von der Stuttgarter Künstlerin Hanna Wenzel illustriert. Die zeichnerischen Prozesse sind als Video zu sehen. Ich bin seit Beginn aktiver Teil der "Stuttgarter Literatur-Szene", aber hier mal wieder nicht dabei, weil ich nicht prominent bin.

Die Bücherei schmückt sich mit den lokalen Kreativen (tut aber in der Praxis kaum je etwas für sie, es sei denn, sie haben gerade einen Preis erhalten oder so). Meist begnügt sich die Bücherei mit dem Schnorren von Büchern, die dann im Regal stehen. Nun sind die unter dem Titel "Stuttgarter Lyrik-Cast" abgebildeten Köpfe nicht 12, sondern 30. Und sie gehören zu Kolleginnen und Kollegen, die mehrheitlich gar nicht in Stuttgart leben, teilweise nie gelebt haben. Auch wenn ich Nico Bleutge aus Tübingen oder Walle Sayer aus Dettingen bei Horb sehr schätze: Sie stammen ebenso wenig wie Peter Frömmig (Marbach), Christine Langer Ulm), Eva Christina Zeller und Kaus F. Schneider (beide Tübingen) oder Tina Strohecker (Ulm, Esslingen) oder Susabeh Mohafez (Stationen: Teheran Berlin Lissabon Stuttgart Althütte Schwäbisch Hall) aus Stuttgart und der näheren Umgebung. Auch Jochen Kelter nicht (Bodenseeraum) und José F.A. Oliver (Südschwarzwald). Sie sind aber irgendwie "prominent" und haben vielmehr fast alle im Verlag Klöpfer & Meyer publiziert. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt! Es ist ja auch nicht böse, aber schon sehr einseitig.

Nein, es ist nicht alles nur geklaut, aber die Köpfe, meistens. Dafür fehlen andere. Vielleicht hat auch der auswählende Kollege nicht genug Ahnung von Lyrik oder ihm fehlt die Zeit für eine sorgfältigere Auswahl. Ich mache mich jetzt garantiert mal wieder unbeliebt. Aber mich tröstet, dass ich nicht allein bin. Unsichtbar wie ich sind viele. Man könnte ja nachfragen im Stuttgarter Schriftstellerhaus, beim Stuttgarter Schriftstellerstammtisch, bei Autorengruppen wie "Wrtrose". Wegen der Pandemie nicht nur ohne Aufträge, sondern weil ich als kleiner Rentner auch noch wage, nach Aufmerksamkeit für meine Kunst zu fragen, soll ich mich auch noch die Klappe halten und mich mit Begeisterung unsichtbar machen. Andere haben´s nötiger. Also verzichte ich gern aufs Geld und überlasse es denen, die es nötiger haben. Aber wieso soll meine Kunst unsichtbar sein?

Gut möglich, dass man für die Förderung durchs Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst einfach die Prominenten brauchte. Die, die oft genug eh schon a dabei sind, seit immer und ewig. Die üblichen Verdächtigen, die sich meistens gegenseitig einladen, weil sie in Juries sitzen oder Festivals leiten oder in anderen Gremien Einfluss haben. Und wenn es mit dieser Gewichtung Jahrzehnte lang so geht, komme ich halt als Stuttgarter Lyriker nicht vor. Auch wenn ich kurz vor der Pandemie der zuständigen Dame der "Stuttgarter Literaturszene" meinen neuen Lyrikband "Suleikas rebellische Kinder" schenken durfte. Der steht halt da jetzt rum. Und ich bin mal wieder nicht dabei, vermutlich einfach bloß vergessen. Und überhaupt: Man kann ja nicht alles lesen, wo kommen wir da hin? Wahrscheinich bin ich ja nur neidisch und gönne den anderen nichts. Weil ich so eitel bin und die anderen nicht. Und als alter weißer cis-Mann habe ich sowieso nichts mehr zu melden oder zu wollen.

Nach 14 Tagen meldet sich die Stadtbibliothek und gibt kund und zu wissen: Auswahlkriterium war, dass man einen Lyrikpreis aus Stuttgart oder der Region bekommen hat. Also doch Prominenz. Aber warum sagt das niemand gleich? Es könnte ja "Stuttgarter Lyrik-Preisträger" heißen. Aber dann ist es eben doch wieder Promi-PR. Lieber schmückt man sich unverdächtig scheindemokratisch mit Lokalpatriotismus, auch wenn´s nicht stimmt.


1 Kommentar:

Michael Seehoff hat gesagt…

Die Wut des Nichtbeachteten

Widmar Puhl kann leicht wütend werden. Spätestens seit seiner Streitschrift Die Quellen des Zorns. Gefahr für Rechtsstaat & Demokratie, die er im Book on Demand Verfahren bei epubli 2015 veröffentlichte, ist das klar. Ich habe dieses Werk enttäuscht zur Seite gelegt, nachdem ich mich durch die immer wieder vorgebrachten Allgemeinplätze gequält hatte und ich mir den Abgesang auf "die da Oben" nicht weiter antun wollte. Was Widmar Puhl in diesem Werk in abfälliger Art und Weise beschreibt, die Korruptheit der Eliten, den Widerstand der kleinen Leute, war sprachlich kaum auszuhalten, mal ganz abgesehen von seinen abenteuerlichen Schlussfolgerungen, die er immer wieder zu den unterschiedlichen Komplexen zog.

Nun hat er sich mit diesem Blogeintrag wieder in ähnlicher Art und Weise hervorgetan. Nur wird hier viel deutlicher, aus welcher Quelle sich sein Zorn speist: es ist der Neid und die Missgunst eines Lyrikers, der nicht Eingang in ein Projekt der Stadtbibliothek Stuttgart gefunden hat. Mit harschen Worten beschreibt er das Projekt "Stuttgarter Lyrik-Cast in Farbe" so: "aktueller Beitrag zum Thema Lyrik und die große Verachtung für Kunst in der öffentlichen Wahrnehmung - speziell zu Corona-Zeiten."

Und er liefert auch gleich in der Überschrift die Begründung, warum ihn das so wütend macht. Er beschreibt die Quelle seines Zorns mit den Worten "alles nur geklaut". Und warum? "Ich bin seit Beginn aktiver Teil der "Stuttgarter Literatur-Szene", aber hier mal wieder nicht dabei, weil ich nicht prominent bin." Da tritt er aber mächtig mit dem Fuß auf und es zerreißt ihm im weiteren Text gerade so wie das Rumpelstilzchen im Grimmschen Märchen.

Ungenaue Beobachtungen führen ihn zu weiteren, vernichtenden Urteilen. "Sie sind aber irgendwie "prominent" und haben vielmehr fast alle im Verlag Klöpfer & Meyer publiziert. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!" Hätte er ein wenig recherchiert, hätte er festgestellt, dass diese Behauptung haltlos ist. Auch fragt er sich, warum man nicht im Schriftstellerhaus nachgefragt hat, um auf Stuttgarter Autoren zu kommen (dann wäre er eventuell dabei gewesen). Leider auch das falsch, immerhin sind unter den 30 Autoren und Autorinnen welche, die in Stuttgart leben: Carmen Kotarski, Ingeborg Santor, Susanne Stephan, S. v. Keyserling. Und der große Ulf Stolterfoht ist in Stuttgart geboren und hat ein wichtiges Werk seinem Heimatstadtteil gewitmet: "Holzrauch über Heslach". Aber die Recherche war Herrn Puhl wohl zu aufwändig. Er hätte seine Schimpf-Litanei gleich ganz einstampfen können, hätte er den Untertitel des Projektes aufmerksam gelesen: Ein "sichtbares und hörbares Buch der Zukunft" aus Werken der Stuttgarter Literaturszene und Region.

Ah, es geht also gar nicht einzig und allein um Stuttgart! Das Projekt weist über die Stadt hinaus. Da er das überlesen hat, kann er die Ausgewählten als die immer wieder ausgesuchten AutorInnen titulieren und - übler noch - als "die üblichen Verdächtigen" beschreiben und unterstellt: "Lieber schmückt man sich unverdächtig scheindemokratisch mit Lokalpatriotismus, auch wenn´s nicht stimmt.

Immerhin kommt er gegen Ende seines Schmähtextes zu einer Einsicht, die überall durch die Zeilen schimmert:

"Wahrscheinlich bin ich ja nur neidisch und gönne den anderen nichts. Weil ich so eitel bin und die anderen nicht." Da kann man nur sagen: Einsicht ist der beste Weg zur Besserung