Claus Probst: Die Jagd. Am falschen Ort. Thriller, S. Fischer Taschenbuch, Frankurt am Main, 344 S. 9,99 € (2017)
Claus Probst (geboren 1959) ist ein seltsamer Mann: einer, der sich mit halb offenem Rollkragenpulli und Mantel fotografieren lässt und dreinschaut, als ob ihm das peinlich wäre (warum tut er es dann?), einer der mit seiner Familie in Mannheim lebt und eine Praxis als Psychotherapeut, Kinder- und Jugendpsychiater führt, aber gleichzeitig Zeit findet, Thriller zu schreiben. Der erste bereits (Vermint, 2010) erzählt voller Spannung vom Wert der Zeit in einem Minenfeld, wo sich Vergangenheit und Gegenwart in der Hoffnung auf eine Sekunde in der nächsten Zukunft treffen. Der zweite (Nummer zwei, 2014) erschien bereits als Fischer Taschenbuch, ebenso der dritte (Spiegelmord, 2015) und der hier besprochene vierte. Wie gut geschrieben er ist, kann womöglich am besten jemand beurteilen, der selbst schreibe, aber Krimis und gar Thriller nur liest.Ich gebe zu: Das Buch lag lange bei mir rum. Erstens hatte ich wegen einer größeren OP Besseres zu tun, nämlich möglichst gesund werden. Zweitens hatte ich dann Prioritäten abseits des Rezensententums. Ich bin nämlich als Rentner kein Literaturkritiker mehr. Wenn ich trotzdem noch über ein Buch schreibt, muss es gute Gründe dafür geben - vielleicht auch gnadenlos subjektive. Hauptgrund: Ich war beeindruckt von einem schreibenden Psychiater im wirklichen Leben.
Ein weiterer Grund ist die Idee, einen Gejagten zum Jäger zu machen. Das hat was. Der Ich-Erzähler des Romans ist ein junger Mann, der zum Geburtstag ein neues Mountainbike bekommt und auf seiner ersten Ausfahrt damit auf einem Waldweg Zeuge eines brutalen Doppelmordes wird. Ein berüchtigter Mafiaboss erschießt kaltblütig seine schöne junge Frau und deren Geliebten, einen Buchhalter. Der Zeuge, der nur wenige Meter entfernt vom Rad springt, ruft instinktiv "Nicht!" und macht den Mörder auf sich aufmerksam, kann aber in eine Fichtenschonung fliehen. Als der Killer hinter ihm herkriecht, kann der Zeuge die Schonung umgehen, das Auto erreichen und flüchten. Aber der Mafiaboss hat ihn gesehen, was er auch bei seiner Aussage im Polizeirevier erzählt. Er bleibt namenlos, weil er als Zeichner ein Porträt des Mörders erstellen kann, das direkt in den Zeugenschutz führt. Er ist egal, wie er heißt, denn von da an wechselt er die Namen wie Hemden. Es ist ihm auch (fast) egal, wie es weiter geht, denn noch am ersten Tag lässt seine Freundin ihn fallen wie die sprichwörtliche heiße Kartoffel: Freunde, Familie? - Kannste vergessen.
Der Mörder wird vor Gericht gestellt und verurteilt, aber weil der den einzigen Zeugen umbringen lassen will, bringt ihn die Polizei sofort außer Landes. Die Mafiakiller finden ihn, doch er kann den Spieß umdrehen und wird zum Mörder. Insgesamt zehn Menschen tötet er auf diese Weise. Mal mus auch ein bestochener Polizist mit einem Auftragskiller sterben, mal kommt der instinktsichere Flüchtling seinen Jägern einfach nur zuvor. Mit der Präzision, Disziplin, Kondition und Improvisationsgabe eines ESK-Kämpfers wird dieses absolute Naturtalent als Wild zwar jeden Jäger los. Doch jedes Mal lässt er auch sein gerade neu erworbenes, trotzig verteidigtes Leben zurück und muss neu anfangen, sich Unterstützung suchen, Tarnung aufbauen, ein legales Einkommen beschaffen, eine neue Freundin finden. Quer durch Europa hetzen ihn ihn Mafiakiller, und das Opfer ist inzwischen mörderischer als jeder von denen.
Das Misstrauen gegen jeden und alles lässt diesen Mann komplett abtauchen und den Kontakt zu seinem "Führungsoffizier" bei der Polizei abbrechen. Was macht das mit einem Menschen? Probst hat diese Frage mit einem meisterhaften Psychogramm beantwortet. Und er hat es nach den Regeln stilsicherer Spannungslektüre getan: Kurze Sätze, knappe Dialoge, ständige Cliffhanger, kurze Schnitte, Komik und schwarzer Humor, auch brutale Szenen, aber trotzdem moralisch ernsthaft und nicht einfach bloß reißerisch. Deshalb habe ich es mit Genuss gelesen bis zum überraschenden Finale.
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