María Cecilia Barbetta: Nachtleuchten. Roman, S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2018, 528 Seiten, 24 €
Schon der Erstling dieser Autorin, "Änderungsschneiderei Los Milagros", war ein ebenso leichter wie erfolgreicher Frauenroman mit dem besonderen Merkmal Humor und Imrovisationskunst zum Überleben in Buenos Aires. Milagros sind Wunder, die dort die Frauen stündig bewirken. Der zweite Roman liest sich stilistisch ebenso leicht und humorvoll, hat aber einen wesentlich ernsteren Hintergrund, um nicht zu sagen: einen düsteren. Buenos Aires 1974/1975: Die Einwohner des Randbezirks Ballester träumen wärend der heraufziehenden Militärdiktatur vom Lottogewinn, singen Boleros und Tangos, lauschen den Stimmen den Vergangenheit und denken an die Zukunft. Das geschieht dicht und lebensecht und wäre dennoch nicht originell ohne das ausgefallene Personal, das Argetinien vertritt: Das sind hier die 12jährige Teresa und ihre Freundinnen aus einem katholischen Mädchenpensionat, die eine eigenwillige Form der Theologie der Befreiung diskutieren und eine schutzspendende Plastikmadonna von Tür zu Tür "ausleihen", sowie ihre Freunde aus einer Jungenschule, die gern Detektiv spielen. Das sind auch die Mechaniker der Autowerkstatt "Autopia", zu denen einzelne der Jungs als Söhne eine seltsam fremdelnde Beziehung haben. Das sind zwei paranoide Polizisten mit Selbstzweifeln und Allmachtsphantasien im Sog des Peronismus im Kampf gegen paramilitärische Opposition. Das ist ein Kioskbesitzer, bei dem alle ihre Zeitungen und Zigaretten holen. Und das ist der schwule Friseur Celio vom Salon "Ewige Schönheit", der Evita Perón verehrt und um seine Mama trauert.
Allein diese Zusammenstellung gibt einiges an Unterhaltungswert her. Maria Cecilia Barbetta wurde 1972 in Buenos Aires geboren und lebt in Berlin. Für "Nachtleuchten" wurde sie mit dem Alfred-Döblin-Preis geehrt. Es ist eine phantasievoll erzählte und doch penibel recherchierte Geschichte über bedrohte Lebenswelten, die dem Untergang geweiht sind. Nichts ist heute in Argentinien mehr so wie in den Jahren nach 1970, und das führt Barbetta atmosphärisch dicht vor Augen. Politische Spannungen zerreißen das Land. Aberglaube und Gewalt schleichen sich in Normalität und traditionelle Lebensweisen ein. Sinnbild dafür ist viellleicht, wie ein Exhibitionist die Mädchen aus dem Pensionat irritiert.
Man wüsste gern mehr darüber, wie die Menschen in diesem Roman aus all dem hervorgehen. Doch leider zerfleddert das Bündel lose miteinander verknüpfter Erzählstränge und Episoden gegen Ende zunehmend, ein Problem, das es schon bei "Änderungsschneiderei Los Milagros" gab. Dieses Buch hat Humor, es ist ernst und heiter zugleich, es ist sinnlich und poetisch. Aber es fehlt ihm sowohl die programmatische (politische?) als auch die dramaturgische Zielstrebigkeit. Das ist möglicherweise ähnlich wie mit Argentinien und seiner neueren Geschichte: Bis heute geht Altes zugrunde, ohne dass es eine neue Orientierung gäbe.
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