Christina Gansch strahlt ob des Lobes von Currentzis |
Die im Dunkeln sieht man nicht...
Leider war der Konzert-Anfang des SWR Symphonie Orchesters mit Teodor Currentzis am 22 02. in der Stuttgarter Liederhalle im abgedunkelten Bühnenraum und wohl absichtlich nicht fotografisch erfassbar. Dabei wäre die Inszenierung von Gedichten Federico Gacía Lorcas über Leid und Tod von Kindern ein Foto (oder auch viele) wert. Es waren Vertonungen des US-Amerikaners George Crumb (geboren 1929 in Cherleston, West Virginia) mit dem Titel "Ancient Voices of Children". Ergreifende, teils surrealistische Lyrik über das Leid der Kindern, die ihre Stimme verloren haben, bekam plötzlich durch Dia-Projektionen an der Wand des dunklen Konzertsaales eine zusätzliche Dimension, die verletzte und verstörte Kinder aus dem Bürgerkrieg in Syrien zeigten. Dazu erklang eine erst geisterhafte, später expressiv irrlichternde Spärenmusik des SWR Experimentalstudios, als die grandiose Sopranistin Sophia Burgos aus Puerto Rico über die Saiten des geöffneten Flügels in das Instrument hineinsang, wo ein natürliches Echo entstand und durch Mikrophone verstärkt wurde. Ein simpler, aber großartiger und präzise berechneter Effekt für ihre Stimme: kristallklar, wandlungsfähig und ausdrucksstark.
Als nach der Pause das Licht wieder an war, spielte das Orchester die Sinfonie Nr. 4 G-Dur von Gustav Mahler (1860 - 1911). Seine "klassischste" und fröhlichste Sinfonie hat der Österreicher 1901 irgendwo zwischen Paradies und Parodie angesiedelt. Der Dirigent wieder schwungvoll mit seiner Mimik und der Gestik von Händen und Armen das Orchester inspirierend, Einsätze und Betonungen mit dem ganzen Körper setzend. Die Musiker bewältigten diesen emotionalen und technischen Spagat zwischen der Klangwelt einer fernen, unsäglich friedlichen Bergwelt, der Sehnsucht nach einem schönen Jenseits und den Erschütterungen durch die schon erkennbaren Abgründe und Konflikte des Alltags, die dann 1914 zum Erst Weltkrieg führen sollten, gleichermaßen souverän. Da ein Gleichgewicht herzustellen, das Unglaubliche glaubhaft zu machen, war die besondere Leistung des Dirigenten. Es auch glaubwürdig zu gestalten, muss neben der technischen Brillanz große Wachheit, Disziplin und einen überdurchschnittlichen Übungsfleiß bedeutet haben. Das war zu hören und kam hervorragend an. Die österreichische Sopranistin Christina Gansch sang im letzten Satz nach Texten aus "Des Knaben Wunderhorn" von himmlischen Vergnügungen, die so weltlich daherkommen, dass Diesseits und Jenseits, Ironie und Ernst völlig ineinander verschwimmen. Das gestaltete diese famose Darsteller-Sängerin so stimmgewaltig, so kokett, so sprunghaft und changierend wie der Text selbst. Ein Bravourstück.
Als Zugabe spielten der Pianist, eine Flötistin und eine Cellistin des Orchesters wieder im Dunkeln. Sie trugen Masken, ob Faschingsmasken oder Spezialbrillen in Form von Masken, um bei UV-Licht Noten lesen zu können, bleibt Spekulation. Es war, man verzeihe diese flapsige Bemerkung, eher ein leichtes, unernstes Spiel, eine Art schräger Nacht- und Katzenmusik vor dem Einschlafen. Da hätte ich Noten für unnötig gehalten, aber es sieht halt so ernsthaft aus, wenn alle synchron umblättern... Im Grunde bestand dieses Spiel neben technischen Rafinessen darin, zu improvisieren, mit Klängen und akustischen Assoziationen zu experimentieren. Dass man sich dabei so viel Mühe gibt, den Instrumenten Töne zu entlocken, für die sie nicht gemacht sind - geschenkt. Freundlicher, lang anhaltender Applaus, es ist ja Fasnet. Und das Fazit zum Mitnehmen: Diese Orchestermusiker können auch ganz andere Sachen als Klassik und sind enorm vielseitig. Ihre enorme Spielfreude überträgt sich aufs sichtlich verjüngte Publikum. Chapeau!
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