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Sonntag, 13. Oktober 2013

Chorlabor VIII: Sephardische Liebeslieder mit Alon Wallach

Der Gitarrist Alon Wallach
Der Chorlabor-Workshop der Internationalen Bachakademie in Stuttgart gehörte am 13. Oktober sephardischen Liebesliedern. Gerade weil weder Bernhard König, der Leiter des TRIMUM-Projekts für interreligiöses Singen, noch der Fachreferent und Gitarrist Alon Wallach Chorleiter sind, war das "Einsingen" wieder ausgesprochen phantasievoll, verspielt und einfallsreich. Auch ein "Chaos-Kanon" von König war wieder dabei, der mit minimalem Material musikalisch verblüffend viel anfangen kann.
Wallach demonstrierte dann ebenso temperamentvoll wie einfühlsam den Kulturunterschied zwischen mitteleuropäischen Hörgewohnheiten und dem Orient an einer einfachen Tonleiter in D-Dur und d-Moll: die Verschiebungen der Tonhöhe beim zweiten und dritten von sieben Tönen. Wer das einmal im Ohr hat, kann es singen. Aber "Wer es einmal geschafft hat, glaubt oft, er werde das jetzt immer schaffen", warnte Wallach, - Irrtum! Fast immer geht es beim zweiten Mal schief." Das erinnert mich irgendwie an den kürzesten der zahlreichen Golf-Witze: "Ich kann´s".
Also war Üben angesagt, und das taten Choristen und Profis mit ungebrochener Begeisterung. Mehr noch: Von Wallach gewarnt, passten die Sänger auf und trafen die Töne meistens gleich auf Anhieb wieder. Wenn sie heute Nacht im Schlaf die d-Moll-Tonleiter ein paar Mal rauf und runter singen, sitzt sie wahrscheinlich wirklich. Ich kann nur hoffen, dass der häusliche Frieden das aushält. Dann kamen Noten in Umlauf: Wallach hatte zwei sephardische Romanzen mitgebracht.
Dabei sollte man kurz erklären: Romanzen heißen nicht so, weil sie so romantisch sind (obwohl das auch durchaus der Fall sein kann). Diese Lieder bekamen ihren Namen nach der Sprache, dem Romance, in der die Volkslieder der iberischen Halbinsel vor 1000 geschrieben und gesungen wurden. Das war - wie unser Mittelhochdeutsch für das Hochdeutsche - ein Vorläufer der späteren Hochsprache Spanisch. Es war die Volkssprache im Gegensatz zum Latein der Kleriker und der Gebildeten, hatte aber viel mit dem späten römischen Vulgärlatein gemeinsam und wurde deshalb "romanisch" genannt. Inhaltlich waren Romanzen (also die Volkslieder der sephardischen Juden, die auf diesem Gebiet besonders tüchtig waren und nachweislich die meisten davon aufgescheieben haben), teils Liebeslieder im Sinne unseres Minnesangs, teils Balladen - und Schlaflieder in Balladenform. Es gibt Tausende dieser Lieder für alle Gefühlslagen.
Statt aber ins Sammeln zu verfallen, übte Wallach mit den Choristen nur zwei dieser Lieder ein (ein Schlaflied, ein temperamentvolles Liebeslied). Der Rest des Tages gehörte dem Improvisieren. Denn es sollte ja kein Workshop über Alte Musik sein, sondern über etwas Quicklebendiges. Und sephardische Romanzen werden bis heute permanent variiert und durch Improvisation erneuert. Die Einflüsse dafür kommen aus allen Ländern rund ums Mittelmeer, aus deren Kultur die Juden nach Ihrer Vertreibung im Jahr 1492 als Einwanderer Neues aufnahmen. Damit zu spielen, machte allen Beteiligten sichtlich Spaß.

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