SWR
2 Buchkritik
Necla
Kelek:
„Hurriya
heißt Freiheit. Die arabische Revolte
und die Frauen“
Kiepenheuer & Witsch, Köln,
237 Seiten, 18,99
€.
Necla
Kelek, in Istanbul geboren und in Berlin zu Hause, gehört seit
Jahren zu den streitbaren Begleitern der Debatte über Islam und
Integration in Deutschland. Sie kämpft gegen Zwangsehen,
Beschneidung und Parallelgesellschaften, aber für Bildung und
Frauenrechte. Ihr Buch, „Hurriya
heißt Freiheit. Die arabische Revolte
und die Frauen“ entstand nach einer Reise durch Ägypten,
Tunesien und Marokko. Sie wollte aus erster Hand und nicht aus
westlichen Medien hören, wie es den Frauen dort jetzt ergeht.
Und ihre Bilanz ist ausgesprochen nüchtern:
„Freiheit
hat es zunächst für alle von den Regimes in Tunesien und Ägypten
unterdrückten religiösen Eiferer und Fundamentalisten gegeben.
Pressefreiheit und Freiheit im schwer kontrollierbaren Internet
auch. Aber die Freiheit der Frauen, die Gleichberechtigung, der Sieg
der Menschenrechte stehen noch aus.“
Ägypten,
Tunesien, Marokko: drei sehr verschiedene Länder, die doch viele
Probleme gemeinsam haben. Einerseits enorme Armut und
Arbeitslosigkeit, vor allem bei den jungen Menschen;
andererseits, als Kehrseite dieser Medaille, eine scheinbar
unausrottbare Korruption. Dazu ein furchtbarer Mangel an Wissen
und Bildung, weshalb falsche Propheten leichtes Spiel haben. Und
schließlich diese falschen Propheten selbst: Salafisten,
religiöse Eiferer der primitivsten Art, die jetzt wieder aus ihren
Löchern kommen. Noch ein Zitat:
„Dass
bei den Protesten auf dem Tahrir-Platz Frauen teilnahmen, war für
viele Männer ungeheuerlich und revolutionär. Die Frauen dringen mit
ihrem Auftreten in den Bereich der Männer ein, wie sie in
selbständiger Berufstätigkeit in männliche Domänen eindringen.
Viele Männer sehen allein dies als Kriegserklärung.“
Die
Autorin wirft die unterschiedlichen gesellschaftlichen
Strukturen und Traditionen der arabischen Länder nicht in einen
Topf. Aber mit einer Beharrlichkeit, die ahnen lässt, wieso
konservative Muslime diese Frau hassen, kommt sie immer wieder auf
einen zentralen Punkt: Die Geschichte islamischer
Gesellschaften war seit jeher eine Geschichte der Sklaverei.
Seit Mohammed haben alle Kalifen Menschen zu Sklaven gemacht. Die
Osmanen versklavten Christenkinder zu Janitscharen, Ägypten holte
sich Tscherkessen als Mamluken. Das Prinzip gilt nach wie vor, so
Kelek:
„Die
Frau ist die Sklavin des Mannes, auch wenn der Prophet und der Koran
etwas anderes zulassen würden. Der Mann unterwirft sich Gott
und herrscht über die Frauen wie über die Sklaven. Die islamische
Gesellschaft lebt diese Hierarchie. Die Idee der
Gleichberechtigung von Männern und Frauen, sagt die
marokkanische Soziologin Fatima Mernissi, stellt eine
grundsätzliche Bedrohung der hierarchischen Ordnung des Islam
dar.“
Allein
mit ihren öffentlichen Auftritten bei Demonstrationen haben die
arabischen Frauen an den Grundfesten dessen gerüttelt, was
Necla Kelek die Apartheid der Geschlechter nennt. Bisher hat die
Umma,
die Gemeinschaft der Gläubigen, alles dafür getan, diese
Hierarchie als gottgewollte Ordnung zu verteidigen. Anführer des
Kollektivs sind immer Männer, die Ältesten und die Gelehrten –
wie wenig gelehrt sie auch sein mögen. Daher der permanente
Rückgriff auf Maßstäbe wie Ehre, Ansehen, Schande und die
Bereitschaft zu nackter Gewalt. Letzten Endes fürchten
traditionell denkende Muslime nichts mehr als die Idee einer
demokratischen Gesellschaft gleichberechtigter Menschen. Echte
Gleichberechtigung ist für sie unvereinbar mit dem Glauben.
Noch ein Zitat:
„Die
Frauen in der islamischen Welt führen einen Mehrfrontenkampf. Gegen
die Despotie der Herrscher, gegen die Geschlechterapartheid, für die
Individualität. Sie haben mächtige Gegner – die Herrscher, die
Männer und die geballte Macht der Verhältnisse.“
Necla
Kelec erzählt von der jungen Bloggerin Meryam, die auf dem
Tahrir-Platz in Kairo dabei war und immer noch in Angst lebt. Von
jungen Frauen in Tunesien, die im Internet einen Muslim in
Deutschland suchen, weil sie daheim keine Zukunft sehen. Und von
Fatima in Casablanca, für die Freiheit bedeutet, Arbeit zu finden
und ihren Lohn behalten zu dürfen. Keleks Analyse ist nüchtern und
zeigt, warum der arabische Aufstand scheitern und trotz allem weiter
gehen wird. Das System aus Macht und Religion ist noch nicht besiegt.
Aber es gibt Hoffnung, und die ist weiblich.
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