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Samstag, 29. Dezember 2012

Der Islam muss weiblich werden!

SWR 2 Buchkritik Necla Kelek:
Hurriya heißt Freiheit. Die arabische Revolte und die Frauen“

Kiepenheuer & Witsch, Köln, 237 Seiten, 18,99 €.


Necla Kelek, in Istanbul geboren und in Berlin zu Hau­se, gehört seit Jahren zu den streitbaren Begleitern der Debatte über Islam und Integration in Deutsch­land. Sie kämpft gegen Zwangsehen, Beschneidung und Parallelgesellschaften, aber für Bildung und Frau­enrechte. Ihr Buch, „Hurriya heißt Freiheit. Die arabi­sche Revolte und die Frauen“ entstand nach einer Reise durch Ägypten, Tunesien und Marokko. Sie wollte aus erster Hand und nicht aus westlichen Medi­en hören, wie es den Frauen dort jetzt ergeht. Und ihre Bilanz ist ausgesprochen nüchtern:

Freiheit hat es zunächst für alle von den Regimes in Tunesien und Ägypten unterdrückten religiösen Eiferer und Fundamentalisten gegeben. Pressefreiheit und Freiheit im schwer kontrollierbaren Internet auch. Aber die Freiheit der Frauen, die Gleichberechtigung, der Sieg der Menschenrechte stehen noch aus.“

Ägypten, Tunesien, Marokko: drei sehr verschiedene Länder, die doch viele Probleme gemeinsam haben. Einerseits enorme Armut und Arbeitslosigkeit, vor al­lem bei den jungen Menschen; andererseits, als Kehrseite dieser Medaille, eine scheinbar unausrott­bare Korruption. Dazu ein furchtbarer Mangel an Wis­sen und Bildung, weshalb falsche Propheten leichtes Spiel haben. Und schließlich diese falschen Prophe­ten selbst: Salafisten, religiöse Eiferer der primitivsten Art, die jetzt wieder aus ihren Löchern kommen. Noch ein Zitat:

Dass bei den Protesten auf dem Tahrir-Platz Frauen teilnahmen, war für viele Männer ungeheuerlich und revolutionär. Die Frauen dringen mit ihrem Auftreten in den Bereich der Männer ein, wie sie in selbständiger Berufstätigkeit in männliche Domänen eindringen. Viele Männer sehen allein dies als Kriegserklärung.“

Die Autorin wirft die unterschiedlichen gesellschaftli­chen Strukturen und Traditionen der arabischen Län­der nicht in einen Topf. Aber mit einer Beharrlichkeit, die ahnen lässt, wieso konservative Muslime diese Frau hassen, kommt sie immer wieder auf einen zen­tralen Punkt: Die Geschichte islamischer Gesellschaf­ten war seit jeher eine Geschichte der Sklaverei. Seit Mohammed haben alle Kalifen Menschen zu Sklaven gemacht. Die Osmanen versklavten Christenkinder zu Janitscharen, Ägypten holte sich Tscherkessen als Mamluken. Das Prinzip gilt nach wie vor, so Kelek:
Die Frau ist die Sklavin des Mannes, auch wenn der Prophet und der Koran etwas anderes zulassen wür­den. Der Mann unterwirft sich Gott und herrscht über die Frauen wie über die Sklaven. Die islamische Ge­sellschaft lebt diese Hierarchie. Die Idee der Gleichbe­rechtigung von Männern und Frauen, sagt die marok­kanische Soziologin Fatima Mernissi, stellt eine grund­sätzliche Bedrohung der hierarchischen Ordnung des Islam dar.“

Allein mit ihren öffentlichen Auftritten bei Demonstra­tionen haben die arabischen Frauen an den Grundfes­ten dessen gerüttelt, was Necla Kelek die Apartheid der Geschlechter nennt. Bisher hat die Umma, die Ge­meinschaft der Gläubigen, alles dafür getan, diese Hierarchie als gottgewollte Ordnung zu verteidigen. Anführer des Kollektivs sind immer Männer, die Äl­testen und die Gelehrten – wie wenig gelehrt sie auch sein mögen. Daher der permanente Rückgriff auf Maß­stäbe wie Ehre, Ansehen, Schande und die Bereit­schaft zu nackter Gewalt. Letzten Endes fürchten tra­ditionell denkende Muslime nichts mehr als die Idee ei­ner demokratischen Gesellschaft gleichberechtigter Menschen. Echte Gleichberechtigung ist für sie unver­einbar mit dem Glauben. Noch ein Zitat:

Die Frauen in der islamischen Welt führen einen Mehrfrontenkampf. Gegen die Despotie der Herrscher, gegen die Geschlechterapartheid, für die Individualität. Sie haben mächtige Gegner – die Herrscher, die Männer und die geballte Macht der Verhältnisse.“

Necla Kelec erzählt von der jungen Bloggerin Meryam, die auf dem Tahrir-Platz in Kairo dabei war und immer noch in Angst lebt. Von jungen Frauen in Tunesien, die im Internet einen Muslim in Deutschland suchen, weil sie daheim keine Zukunft sehen. Und von Fatima in Casablanca, für die Freiheit bedeutet, Arbeit zu finden und ihren Lohn behalten zu dürfen. Keleks Analyse ist nüchtern und zeigt, warum der arabische Aufstand scheitern und trotz allem weiter gehen wird. Das System aus Macht und Religion ist noch nicht besiegt. Aber es gibt Hoffnung, und die ist weiblich.

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