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Samstag, 23. Juni 2007

Ein Dichter öffnet sich


nebenbei gelesen:
Essays oder so ähnlich von José F.A.Oliver


kürzlich ist bei der Edition Suhrkamp ein Originaltaschenbuch mit sehr persönlichen Essays von José F.A. Oliver erschienen: "Mein andalusisches Schwarzwaldorf" (138 S., 8,50 €). Dieses Dorf, in dem José als Kind andalusischer Gastarbeiter aufgewachsen und buchstäblich groß geworden ist, dieses Dorf, in dem er sich in der alemannischen Narrenzunft engagiert hat, heißt Hausach und steht im Mittelpunkt seiner ersten nennenswerten Prosaveröffentlichung. Alle Essays in diesem schmalen Band haben mit der Suche nach Heimat zu tun, mit tatsächlicher Heimatlosigkeit, aber auch mit der globalisierten Existenz des Poesie-Nomaden, der sein Zelt mal in Boston aufschlägt und mal in Stuttgart, mal in Málaga und mal in Helsinki, der aber immer zu Hause ist: In der Sprache.
Als ich vor ziemlich vielen Jahren die erste größere Radiosendung über José machte, nannte ich sie "Andalusien liegt auch im Schwarzwald". Denn das eine ist Metapher es anderen, ist Bild und Wurzel für die Heimat in der Fremde und das Fremde in und an der Heimat. José erzählt von sich, von seinen Gefühlen angesichts des Dazugehörens ond doch nicht Dazugehörens zu zwei Kulturen und Sprachen. Er berichtet von der Ankunft seines Vaters als Hutmacher in Hausach, von der Angst seiner Mutter nach den ersten Anschlägen auf "Ausländer" in Deutschland in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Er wundert sich (wie Recht hat er doch) über die Wirkung dieses Ausdrucks im Jahr 2007: "voriges Jahrhundert". Das klingt, als sei es weit weg, und ich uns doch nah. Ist meine, ist seine Lebenszeit, Lebenserfahrung. Von der aber schon zu erzählen lohnt, weil die Jüngeren davon oft schon keine Ahnung mehr haben. Ja, José, wir werden älter, und plötzlich sind wir Zeitzeugen.
José singt, wenn er irgendwo durchs Land tingelt und in Bibliotheken seine Gedichte vorträgt. Er singt nicht dauern, aber oft genug, um zu zeigen, die Lied und Sprache im Gedicht zusammenhängen. So ähnlich geht es oft auch in diesen Essays zu. Da sind Gedichte eingesprengselt, weil sonst die Gedanken über die Entstehung von Lyrik nicht zu beweisen wären. Und Fotos hat er in dieses Buch getan: schwarz-weiß, altmodisch, aber wetterfest und meist aus dem eigenen Album. Bilder aus Hausach im Winter und im Sommer, im Fasnetstaumel und in seltsamen Träumen nach Urlaub im Süden. Fotos von seinen Eltern, Fotos von Klein-José dienen nie der Eitelkeit, sondern zeigen Träume vom Zusammenleben, zeigen eine tiefere Wahrheit hinter der zweidimensionalen Oberfläche des Papiers: Andalusien im Schwarzwald eben, Existenzen in beidem, Existenzen mit seltsamen Eigenschaften, Schwarzwald-Andalusier eben oder auch mal andalusischen Schwarzwald.
Das geht nicht zusammen? - Haben Sie eine Ahnung! Lesen Sie selbst: "Gleich hinter dem Waldbergigen, hinter der Dämmerlinie der schweren, schwarzgrünen Tannen, lag Andalusien. Auch für mich.", schreibt er über seine Empfindungen aus der Jugend. Die haben sich bis heute nicht verändert. Er bringt sie mit zurück nach jedem Ausritt in die Welt, dieser Don Quijote mit alemannischen Dialektkenntnissen, wenn er daheim in Hausach arbeitet, schreibt, fertigt, feilt, was er draußen eingesammelt hat. Davon liest man in seinen Gedichten. Aus der Werkstatt der einen, der Schwarzwälder Heimat aber öffnet er sich erstmals in dieser Prosa. Noch nicht gerade philosophisch, noch ohne allzu große theoretische Ansprüche, sondern in einem eng begrenzten Terrain der Selbstvergewisserung. In der Provinz, im Abseits, in der Sprache ruhend, ausruhend. Zunehmend aber auch in sich selbst.


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