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Dienstag, 21. September 2021

Echt witzig: "Kriminelles und Abwegiges" von Wolfgang Schlott

Skurrile Erzählungen zwischen Spaß und Ernst vom Post-sozialistischen Krimi bis hin zu zwölf Bockbier ohne Kater: Was auf den ersten Blick wirkt wie eine literarische Resterampe, erweist sich auf den zweiten als veritable und historisch sehr anspruchsvolle Unterhaltungslektüre. So arg viel gab´s ja nicht zu lachen in diesem zweiten Pandemiesommer. Doch bei diesem Buch aus dem Ludwigsburger Pop Verlag (193 Seiten, 16,50 Euro) fragte mich meine Frau öfters, was es denn da ständig zu schmunzeln gebe.

Wolfgang Schlott, geboren 1941 in Suhl (Thüringen), hat nach dem Abitur erst mal 5 Jahre gearbeitet und dann in Leipzig die unpassende Fächerpaarung Slawistik und Anglistik studiert. Unorthodox ging sein Leben weiter: "Nach einem längeren Gefängnisaufenthalt" in Rumänien und der DDR wegten versuchter Republikflucht reiste er in die BRD aus und studierte in Münster und Konstanz weiter. Über russische Lyrik schrieb er eine Doktorarbeit, und nach zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen zur ost- und mitteleuropäischen Literatur wurde er 1992 Professor für neuere slawische Literatur- und Kulturgeschichte an der Universität Bremen. Er publizierte Gedichte, Dramen und Prosa wie "Galaktisches Gewitter" (2008), "Die Laubenpieper. Botschaften aus dem Garten Eden" (2010), "Leben in Zeiten der Revolte" (2012), "Poetische Reflexionen über Irland" (2018) und Feuilletons. Seit 2006 ist er Präsident des Exil-P.E.N. der deutschsprachigen Länder. Kann so jemand witzig sein? - Und wie er kann!

Den Anfang (und das Zentrum) des vorliegenden Bandes macht die Kriminalerzählung oder der Kurzromen "Unsere Blindheit nimmt deutliche Konturen an", bei der sich verschiedene kriminelle Seilschaften westlicher wie östlicher Geheimdienste und Mafia-Syndikate um das Erbe des ebenfalls kriminellen DDR-Wirtschaftskonzerns KoKo von Schalck-Golodkowski, der Stasi und der SED schlagen. Bei der Beerdigung des Erfinders und Unternehmers Hans-Peter Rauschenbach, dessen Bruder Wolf der Stasi einst als Republikflüchtling der Liebe wegen den Rücken gekehrt hat, wird dessen Stieftochter Angela fast erschossen. Während sie die Trauerversammlung als Erbschleicher und Meuchelmörder beschimpft, schießt ihr ein Attentäter in den Arm und sie stürzt theatralisch ins offene Grab. Die Story fängt wie eine Posse an, ist aber peinlich genau recherchierte Zeitgeschichte sowie ein clever eingefädelter Plot.

Hauptkommissar Bensbach, seine Assistentin Fritzi und die Staatsanwältin ermitteln zwischen unübersichtlichen Fronten und Interessen. Der DDR-Bruder hat wohl seinem West-Bruder bei einem der wenigen Familienbesuche etliche Millionen aus den KoKo-Tresoren in der Absicht anvertraut, das Vermögen irgendwann nach der Wende für die SED-Nachfolger zu holen, hat aber aus berechtigen Sicherheitsgründen niemanden wirklich in das Versteck eingeweiht. Nun glaubte wohl jemand, die Halbschwester wisse darüber zu viel, und wollte sie aus dem Weg räumen. Aber die Angeschossene schweigt eisern über Zusammenhänge.

Die Ehefrau könnte ebenso ein Motiv für den Anschlag haben wie die Halbschwester oder die Nachkommen des Verblichenen aus zweiter Ehe, Mitwisser aus dem beruflichen Umfeld der Rauschenbach-Brüder oder ein Mafia-Clan. Jeder hat etwas zu verbergen und verschweigt etwas, die Sache wird immer undurchsichtiger. Die Entführung von Wolf Rauschenbach samt Rollstuhl und der Versuch von maskierten Bewaffneten, die gut bewachte "sichere" Pension, zu stürmen, wo Rauschenbachs Gattin davor geschützt werden soll, ebenfalls Opfer von Attentätern zu werden, machen die Lage noch komplizierter. Ich kläre hier nichts auf und nehme nichts vorweg, ich beschreibe nur die Technik des gekonnten Verwirrspiels, die Schlott ebenso perfekt beherrscht wie die Zeitgeschichte und den trockenen Humor bei Dialogen. Der Krimi gleicht übrigens auch insofern den historischen Tatsachen, als am Ende der größte Teil der Millionen verschwunden bleibt, die meisten Täter als arme Marionetten im Knast sitzen und die Frauen ihr Insiderwissen wohl bald versilbern werden, weil man ihnen nichts beweisen kann. Chapeau!

In einer anderen Geschichte macht der Autor anlässlich einer "Dienstreise" Anleihen bei Michail Bulgakows leider viel zu wenig bekanntem Faust-Roman "Der Meister und Margarita", einem modernen Meisterwerk der phantastischen Literatur. Ein andermal lässt Franz Kafka grüßen: Vergangenheitsarbeit Ost-West auf höchst unterhaltsame Weise. Deutsche Bürokratie gab´s ja auf beiden Seiten.


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