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Samstag, 15. Februar 2020

Musik für die Ewigkeit
















Teodor Currentzis hat am 13. und 14. Februar ein Abonnementkonzert des SWR Symphonieorchesters mit Strauss und Mahler in der Stuttgarter Liederhalle dirigiert, aber so etwas kann man nicht abonnieren. Es war ein Geschenk: Musik für die Ewigkeit. Es begann mit der Tondichtung "Tod und Verklärung" von Richard Strauss. Und in dieser knappen halben Stunde schafften es Dirigent und Orchester, die Lebensbilanz eines Todkranken, eines sterbenden und leidenden Menschen hörbar zu machen. Von einem Lächeln beim Aufwachen nach einem schönen Traum in einem zärtlich gestimmten Piano über Kaskaden furchtbare Schmerzen, Kampf, Hoffnung und schließlich eine Niederlage, die Übergabe der Seele, die keinem Menschen erspart bleibt. Das Stück stellt sich dem Äußersten, auch dem Unerträglichen. Und so hat der Komponist nicht nur im pathetischen Finale die Grenzen der symphonischen Orchestermusik ausgelotet und wohl überschritten. Wie auch Dirigent und jeder einzelne Musiker im Orchester.
Damit und in diesem Punkt traf sich Richard Strauss (1864 - 1949) mit seinem verehrten Vorbild Gustav Mahler (1860 - 1911). Beide waren Spätromantiker am Übergang zur Moderne, doch als Mahler 1888 seine erste Sinfonie c-Moll schrieb, hatte er vor, mit diesem virtuosen Stück etwas Neues jenseits der klassischen Sinfonie zu schreiben. Auch der Österreicher beginnt leise, verhalten, schleppend wie ein Naturgemälde, in dem vielleicht der böhmische Jude seine "Lieder eines fahrenden Gesellen" durchklingen lässt: Heimat und Fremde.
Im zweiten Satz greift Mahler Elemente der österreichischen Volksmusik auf, vor allem Tänze wie Ländler, Polka und Walzer, die durch die Instrumentengruppen eines großen Orchesters genial durchdekliniert und abgewandelt werden. Sehr reizvoll spielt er im dritten Satz mit dem französischen Volksliedes „Frère Jacques“: Er setzt die Melodie des Kanons in Moll und steigert die verblüffend verfremdete Wirkung durch vielstimmige Orchestrierung. Ähnlich verfährt er mit einem Klezmer-Mosiv, das wir aus "Fiddler on the Roof" bzw. dem Bernstein-Musical "Anatevka" kennen (Wenn ich einmal reich wär"), grausig gebrochen durch dissonante Erinnerungen an Judenpogrome in den galizischen Ostprovinzen der K.u.-K.-Monarchie.
Der vierte Satz ("stürmisch bewegt") ist die Apotheose der Sinfonie - grenzüberschreitend, transzendental, sehr dynamisch gestaltet und mit einem Choral im Finale, der in einem Jubel in C-Dur endet. Was für ein Finale nach 58 Minuten! Da entsteht etwas Neues, und das Publikum ist Zeuge.
Atemlose Stille, und dann ein Applaus, der nicht enden will. Bravo-Rufe, bei denen man gottlob selten weiß, ob Currentzis gemeint ist oder die großartigen, virtuos agierenden Instrumentalisten, die er gruppenweise aufruft, aufzustehen und sich einen verdienten Sonderapplaus abzuholen. Zwei hübsche Fußnote der Geschichte noch: Erstens trug Currentzis nach Monaten der Lackschuhe wieder seine geliebten schwarzen Röhrenjeans sowie die Boxerschuhe mit dem weichen Leder und den (neuen) roten Schnürsenkeln. Hat er nicht nötig, sind aber lustige Hingucker. Und zweitens ließ sich sogar ein Kritiker zu Jubelstürmen hinreißen, der sich nach den ersten Currentzis-Auftritten noch bemüßigt gesehen hatte, den Dirigenten mit einem gewissen Herrn Rasputin zu vergleichen und als finsteren Verführer zu dämonisieren. Nichts mehr davon.

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