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Dienstag, 22. Mai 2018

Solitäre eines poetischen Einzlgängers

Klaus F. Schneider: "pret-a-porter", Gedichte. Edition Peter Schlack, Epplestraße 69,70597 Stuttgart, 30 S., 8 €

Gleich vorweg eine Entschuldigung: Ich bin zu blöd für das allseits beliebte Einfügen von Sonderzeichen aus anderen Sprachen, daher ist der französische (mir auf Anhieb unverständliche) Titel hier ohne diese Akzente geblieben. Übersetzt, so lerne ich bei Google, hat der Ausdruck "bereit zum Tragen" oder "tragfertig" auch die Bedeutung "Von der Stange" oder "nicht maßgeschneidert" und stammt aus der Mode. Das kann aber nur ironisch gebrochen stimmen, denn von der Stange ist hier gar nichts: weder die Büchlein selber - 200 signierte und nummerierte Exemplare der nahezu unverkäuflichen Gattung Lyrik - noch der Inhalt: alles von Hand gemacht und sehr ungewöhnlich. Und die Grau in Grau gehaltene graphische Gestaltung des Umschlags kommt beim Abfotografieren ohne spezielle Hilfsmittel ebenfalls schlecht weg. Auch das könnte eine Metapher sein für die meistens schwere Auffindbarkeit so einer Dichtung im digitalen, optisch dominierten Marktgeschrei. Trotzdem möchte ich hier dieses schmales Büchlein sehr empfehlen. Es sind 15 Gedichte eines Lyrikers, der es nicht leicht hat und die es vielleicht gerade darum in sich haben.
Schon mit der ersten Zeile fällt das lyrische Ich mit der Tür ins Kartenhaus der Naturpoesie: "ich war heut im wald / und hab kein reh gesehen". Vom "einkaufen gehen" ist hier nicht gerade im hohen Ton die Rede, vielmehr vom "anstimmen der laubbläser" und anderen Zumutungen. Trotzdem outet sich Schneider auch gleich als hintersinniger Wortschöpfer, der "lebkuchenherzkatheter" legt.
Diesem Autor fallen Wörter vor die Füße wie Äpfel, aus denen ein Wurm kommt, wenn man unachtsam hineinbeißt. Wortspielereien betreibt er mit Hingabe, aber kaum je als Selbstzweck, sondern zur doppelbödigen Entlarvung einer Welt, in der Dinge mit dem Dichter gleichberechtigt das Wort ergreifen. Da unterhalten sich klappernde Fensterläden, oder "zeichensysteme mit grundlegend romantischer konnotation" bilden eine Art transzendentales Grammatikmodell mit umgehend angezweifelter Funktionalität: "wir befinden uns auf einer lichtung / in einem stillgelegten wald umgeben von dingen, / deren ausgemachte bestimmung es war, / sich uns als natur zu offenbaren".
Kommunikation zeigt sich hier als Problem zwischen Synapsen und Algorythmen:
"beim versuch daraus die wurzel zu ziehen
scheiterte ich an den endlosen stellen
hinter dem komma".
Arbeitswelt, Sozialpolitik und Sprache offenbaren sich in diesen Versen so ganz nebenbei als Quadratur des Kreises, bitterböse und luzide analysiert. Lebensraum, so kalt wie das All. "ach erde du alte", der Vers von Johannes Poethen fällt mir da ein. Aber vielleicht würden beide Dichter solche Vergleiche gar nicht wollen. Die eigene Bildungsbiographie als Lehrer, die Sozialisierung im Umfeld der Rumäniendeutschen von Klausenburg, im Nomadentum erst des Exils und dann des Unverstandenseins und Unverständnisses, "ständig in gefahr in gewissheiten abzustürzen", meint auch sich selbst. Die prekäre Lage der Poesie und der Symbiose mit einer Leserschaft und einem Buchmarkt, der so nicht mehr ist, zeigt sich im widersprüchlichen Bild:
"wir stand für eine gedankenbewegte wortart,
die alle insoweit einbezog, dass jeder
sich davon ausgenommen fühlen konnte".
Gedichte sind ja seit jeher auch Experiment, Spiel mit Gedanken über das Ich, die Umwelt, die Zustände der Gesellschaft - ein Stück Selbstvergewisserung durch Kunst und Reflexion. Trappatoni-Deutsch als Zitat kommt da ebenso vor wie das Klischee der eigenen Gattung: "hallo, hört mich jemand? / hier spricht das lyrische ich". Aber das macht Schneider sehr selbstironisch und gar nicht wehleidig. Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Dass sich der ganze Guttenberg´sche Setzkasten gelegentlich selbständig macht, hat unzählige komische Situationen zur Folge.
Dass man die geradezu obszöne Explosion wieder erwachenden Lebens an einem schönen Frühlingstag durch die Sprache des Hardcore-Pornos bricht, mag nicht jedermanns Ding sein; treffend und originell ist es allemal: "die natur wichst sich einen ab und du bekommst / den pantheistischen cumshot voll in die Fresse." Ich musste erst nachschlagen, aber das Bild sitzt - vor allem in Zeiten des Missbrauchs von Natur durch Tourismus und Werbung. Da ist es nur folgerichtig, solche Ambivalenzgefühle ins Autobiographische zu übertragen, obwohl Vorsicht auch hier geboten bleibt: Das lyrische Ich lügt gern:
"beim schreiben wie beim vögeln
ist mir die lust vergangen. immer etwas beweisen zu müssen.
nur noch programme die insgeheim ablaufen und erwartungen
die man sich gehalten sieht zu erfüllen oder getrieben
ihnen zuwider zu laufen. manierismen & regelwerk."
Es ist das Spiel mit Sprache, Welt, Denken und Nach-Denken, wodurch diese Gedichte auch eine ernsthafte philosophische Dimension bekommen - jenseits jeder "insgeheimen eigentlichkeit". Die scheinheilig-amüsante Fragen an den Leser "wie hältst du es mit dem diskurs?" mündet in eine aberwitzige Behindertenolympiade der Schreibtherapieteilnehmer und gastrosophischen-Workshops: Köstlich, bitterböse, funkelnd vor Intelligenz und Bosheit einem Verwertungsapparat gegenüber, der von Beuys ("Jeder ist ein Künstler") direkt zu den Daniel Kübelböcks der Fernsehunterhaltung und ihren literarischen Ablegern führt. Geradezu eine Charta der zeitgenössischen Lyrik, X-Mal in sich selbst gebrochen, zerbrochen und gespiegelt, ist der Text "dieses gedicht stellt sich zu beginn die Frage". Für mich ist er sozusagen eine Poetologie des Absurden. Zitat:
"dieses gedicht lacht sich in die geballte faust.
es ist nackt. so fährt es in hoheitliche paraden."
Ich genieße diese Parade der Wortschöpfungen wie "plastiklackstelzen", "mastwachtel", "tussnelkengilde", "panpapappelpogo" und so fort. 15 Texte auf 30 Seiten mit Fadenheftung. Diese Poesie erzeugt einen Rausch, und ich weiß nicht, ob ich dazu kiffen möchte oder lieber nicht. Klaus F. Schneider wurde 1958 im rumänischen Mediasch geboren, hat in Klausenburg/Cluj studiert, war Lehrer, schrieb Gedichte und Rezensionen, das Übliche halt bis zur Ausreise 1987. Hierhat er als Bibliothekar gearbeitet und war lange krank, blieb anfällig. Er  bekam er 1991 ein Stipendium der Kunststiftung Baden-Württemberg und 1999 ein Stipendium des Landes, 2003 den DAHON-Förder-Award für Europa. Nie gehört. Wieso Förder-Award, dieser denglische Begriffshybrid? Ich wünschte, Schneider bekäme endlich mal einen richtig fetten Literaturpreis.





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