Fazil Say: Foto @ Marco Borggreve |
Schon bevor das Konzert mit den Klaviersonaten Nr. 14 c-Moll und Nr. 12 F-Dur von Wolfgang Amadeus Mozart begann, verkündete ein Festival-Sprecher, der Künstler werde das Programm gleich eingangs um die Fantasie c-Moll von Mozart ergänzen. Er spielte so hingebungsvoll, leichthändig, sicher und beseelt, dass sofort ein Funke der Begeisterung übersprang. Die Zuhörer im ausverkauften Saal vergaßen den strömenden Schweiß und die Gerüche der Menge. Derentwegen wurde im Orient einst der Weihrauch erfunden, weil er hilft, jede feierliche Hochstimmung vor dem Abgleiten in Abscheu vor dem nur noch profan Menschlichen zu bewahren). Schon der Applaus zur Pause war mehr als nur freundlich.
Nach der Pause spielte Say seine Sonate für Klavier op. 52 "Gezi Park 2": ein beeindruckendes Stück aus seiner Trilogie über die bewegenden und schrecklichen Ereignisse um den Gezi-Park von Istanbul im Frühsommer 2013. Aus dem Geist der demokratischen Proteste gegen eine wildgewordene Baumafia in der Megacity am Bosporus und den repressiven Polizei-und Justizapparat des autokratischen, reaktionären und fundamentalislamischen Präsidenten Erdogan entstand ein musikalisches Hörspiel. Fazil Say begann mit rhythmischen dumpfen Saitenschlägen mit der Hand ohne Tastatur und steigerte das Ganze zu einem Hörbild der Protestslogans, der polizeilichen Übergriffe, der Verzweiflung über die Toten und Verletzten in diesem offenen Kampf zwischen orientalischer Despotie und rechtsstaatlicher Demokratie. Die Trauer um den 14-jährigen Jungen Berkin Elvan, der auf dem Weg zum Bäcker als Unbeteiligter durch eine Tränengas-Granate der Polizei tödlich getroffen wurde, mischte sich mit Trotz und Witz und einem Beharren auf etwas Melodie mitten in Chaos und Gewalt. Es gab ja auch fast täglich Konzerte im Park, als die Demonstranten ihn besetzt hatten. Das konnte selbst hartgesonnene Männer zu Tränen rühren: Neue Musik mit solcher Macht über die Gefühle ist selten. Das alles bewirkte nur ein einziger Mann mit einem Klavier. Laute Bravos und tosender Beifall.
Es folgten einige Preludes von Claude Debussy, in denen sich Fazil Say als technisch perfekter Clown und leichter musikalischer Plauderer zeigte. Noch einmal zu ganz großer Form lief er bei zwei Zugaben auf: großartige Improvisationen zur "Summertime-Fantasie" von George Gershwin und dem Stück "Wintermorgen in Istanbul" von Sait Faik zeigten einen außergewöhnlichen und temperamentvollen Jazzpianisten. Da groovte er den Saal, als täte er nichts anderes. Fazit: Eine Vielseitigkeitsprüfung der besonderen Art, ein sehr politisches und sehr poetisches Klavierfest war dieses Konzert. Applaus, Applaus, Applaus und Standig Ovations. Und dann war er weg, plötzlich verschwunden wie ein Geist. Dieser Abend wird noch lange nachwirken bei allen, die dabei waren.
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